Ärzte-Kooperationen: Alles ist möglich?

25.05.2011 | Politik

Im Juli 2011 öffnet die erste Ärzte-GmbH in Wien ihre Pforten. Grund genug, um zu hinterfragen, ob und wie ärztliche Kooperationsmodelle tatsächlich in der Lage sind, zur Stärkung der ambulanten Gesundheitsversorgung in Österreich beizutragen.
Von Ruth Mayrhofer

Bisher waren als Kooperationsmöglichkeiten für Ärzte Ordinations- und Apparategemeinschaften und Gruppenpraxen – Letzere seit 2001 als Offene Gesellschaften (OG) – möglich. Seit 18. August 2010, also anlässlich der 14. Novelle zum Ärztegesetz, steht Ärzten nun auch die GmbH als Gesellschaftsform offen. Damit wurde erstmals Ärzten seitens des Gesetzgebers die Möglichkeit geboten, eine Kapitalgesellschaft zu gründen. Diese Novelle zielt explizit darauf ab, einerseits die ambulante Gesundheitsversorgung der Österreicher zu stärken und zu optimieren, andererseits die Krankenhaus-Ambulanzen zu entlasten.

So weit, so gut. Das Gesetz ist fertig, viele Fragen müssen aber erst in der Praxis erprobt werden, manche bedürfen noch weiterer Verhandlungen. Dazu zählen unter anderem eine klare Abgrenzung zu selbstständigen Ambulatorien, Fragen der Honorierung fächerübergreifender Gruppenpraxen durch die Krankenkassen, das Faktum, dass in einer Ärzte-GmbH keine Anstellung von Ärzten erfolgen darf und bei bestehenden Praxen es aufwändiger Umbegründungen bedarf. Außerdem kommt bei Wahl-Gruppenpraxen noch eine langwierige Bedarfsprüfung hinzu, die nicht nur bürokratischen Aufwand verursacht, sondern zudem nach Meinung von Andreas Joklik, Rechtsanwalt in Wien, durchaus rechtlich kritisch zu betrachten ist. Für Joklik ist die Frage, ob Ärzte-GmbHs tatsächlich zukünftig die Krankenhaus-Ambulanzen entlasten werden können, mit „Jein“ zu beantworten. Ärzte-GmbHs seien zwar ein wichtiger Schritt für neue Kooperationsmöglichkeiten für Ärzte, doch erscheinen einerseits kleinere, notwendige gesetzliche Nachbesserungen nötig, und wird andererseits die praktische Umsetzung „noch dauern“. Insgesamt gelten indes – mit Berücksichtigung der Ärzte-gesetzlichen Sonderregelungen – auch für Ärzte-GmbHs die „normalen“ gesetzlichen Vorgaben wie für andere Unternehmen dieser Rechtsform.

Gruppenpraxen und „die Kassen“

Ein kurzer Blick zurück: Am 1. Jänner 2011 trat der Gruppenpraxen-Gesamtvertrag, der auch die Ärzte-GmbHs inkludiert, zwischen der Ärztekammer für Wien und der Wiener Gebietskrankenkasse in Kraft. Am 1. April 2011 wurde seitens der ÖÄK ein Gesamtvertrag mit der Versicherung öffentlich Bediensteter (BVA) und der Versicherung für Eisenbahnen und Bergbau (VAEB) geschlossen. Für 1. Juli 2011 wird der Vertragsabschluss mit der Krankenfürsorgeanstalt der Bediensteten der Stadt Wien (KFA Wien) angestrebt. Noch ausständig und noch nicht absehbar ist ein Vertragsschluss mit der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA); für diese Krankenkasse gelten die seit 1. Juli 2010 laufenden OG-Verträge weiter. Thomas Holzgruber, Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien, ist somit durchaus stolz darauf, dass Ärztekammer und Sozialversicherungsträger inklusive Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger es geschafft haben, nach nicht einmal einem Jahr fast alle notwendigen Verträge zur Etablierung von Ärzte-GmbHs in Wien zu schließen. Derzeit wird auch in anderen Bundesländern eifrig über Gesamtverträge für Ärzte-GmbHs verhandelt. Der Zeitplan dafür ist allerdings noch offen.

In Wien gelten für fachgleiche Gruppenpraxen dieselben Regelungen wie für Einzelpraxen. Die flexibleren Öffnungszeiten werden – insbesondere in den Tagesrandzeiten – besonders am Abend von den Patienten gerne gesehen und in Anspruch genommen. Nacht- und Wochenend-Öffnungszeiten sind grundsätzlich möglich. Diese werden jedoch von den Kassen wegen der dann zu bezahlenden Zuschläge ein wenig scheel beäugt. Daher bedarf es, so Thomas Holzgruber, speziell für Nachtöffnungszeiten neuer Strukturen oder aber den Ausbau des Ärzte-Funkdienstes, was natürlich nicht nur eine strukturelle, sondern vor allem eine finanzielle Frage ist. Die vorgesehene Barrierefreiheit der Praxen ist in der Innenstadt aufgrund der Bausubstanz durchaus limitiert, aber auch hier laufen Bemühungen; die für Wien vereinbarte vertragliche Quote ist für Holzgruber aber „längst erfüllt“. Er ortet außerdem einen neuen Trend: Gassenlokale – insbesondere ehemalige Gasthäuser – würden sich auch aus baulichen Gegebenheiten besonders gut für einen Umbau zur Errichtung von Gruppenpraxen eignen.

Auch bei fachunterschiedlichen Gruppenpraxen, die nach dem Gesetz ebenfalls möglich wären, sind die Regelungen zu Einzelpraxen analog. Die Honorierung erfolgt jedoch nach Fallpauschalen, die im Einzelfall zwischen Kammer und Kasse verhandelt werden. Aufgrund dieser Komplexität sind sie derzeit lediglich im Zuge von interdisziplinären Spezialversorgungsstrukturen – etwa Diabeteszentren – brauchbar. Die Ärztekammer für Wien fördert jedoch Ärztehäuser und Ärztezentren, die nicht nur billiger und wirtschaftlicher, sondern durch die „Mischung“ von Kassen- und Wahlärzten beziehungsweise von Gruppenpraxen und Ärzte-GmbHs auch für die Patienten vorteilhafter sind und insgesamt den Weg „weg von intramural hin zu extramural“ (Holzgruber) weisen.

Gruppenpraxen: Status quo in Wien

Derzeit gibt es in Wien 45 fachgleiche Gruppenpraxen, die als OG geführt werden. Bei der Labormedizin gilt die Strukturreform hin zu Gruppenpraxen als de facto abgeschlossen, indem statt etwa 20 Einzelpraxen ab Mitte 2011 zwei große Gruppenpraxen dominieren werden. In der Radiologie ist sie derzeit in vollem Gang, obwohl, wie Holzgruber schätzt, durch notwendige Standort- und Praxen-Fusionierungen ein tatsächlich durchgängiger „Umbau“ der Strukturen hin zu ausschließlich Gruppenpraxen mit Schnittbildanschluss noch wahrscheinlich bis mindestens 2020 dauern wird.

Bei allgemeinen Fachärzten mit Kassenverträgen heißt es für viele „Gruppenpraxis-Willige“ noch: „bitte warten“. Der Bedarf wird nämlich nach wie vor nach dem Vertragsarztstand aus 1960 (!) erhoben, sodass eine Gruppenpraxis nur gegründet werden kann, wenn es eine freie Stelle durch Pensionierung oder Ähnliches gibt. Während bei insbesondere weiblichen Allgemeinmedizinern, Internisten, Orthopäden und anderen das Interesse an der Gründung einer Gruppenpraxis langsam steigt (Stichwort: Familienfreundlichkeit), geht es bei Fächern wie Urologie oder Neurologie noch eher langsam voran. Derzeit warten immerhin 29 Fachärzte auf eine freie Stelle; 26 fachärztliche Gruppenpraxen befinden sich bereits im Stellenplan mit der Wiener Gebietskrankenkasse im Gründungsprozess.

Eine Spitalsentlastung durch Ärzte-Kooperationen ist möglich und wird auch durch die Ärztekammer stark gefördert. Mit dem Vertragsärzte-Stand aus 1960 wird dies aber kaum umfassend möglich sein, gibt Holzgruber zu bedenken. Er verweist darauf, dass die Wiener Ärztekammer eine Forderung nach 80 zusätzlichen fachärztlichen Gruppenpraxisstellen erhoben hat, um die Wiener Spitalsambulanzen zu entlasten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2011