3. Internationales Symposium zur Ärztemigration: Länderübergreifendes Handeln

10.02.2011 | Politik

Die Erfolgsgeschichte setzt sich fort; zum dritten Mal diskutierten hochrangige Vertreter aus der Politik, den Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen deutschsprachiger Länder und Syddanmark über gemeinsame Probleme und länderübergreifende Lösungsstrategien Ende Jänner in Wien.
Von Birgit Oswald

Grenzüberschreitende Bildungsprojekte sind nur dann möglich, wenn heimische und ausländische Kollegen gleichgestellt sind, wie ÖÄK-Präsident Walter Dorner in seinem Eröffnungsstatement anlässlich des international besetzten Symposiums zur Ärztemigration Ende Jänner in Wien erklärte. Dieser Schritt sei mit der Einführung des „ius migrandi“ – welches österreichischen Absolventen denselben Status wie ausländischen Kollegen im jeweiligen Land zukommen lässt – gelungen. Ab sofort können so Nachwuchsärzte ärztlichen Aufgaben im EU-Ausland, darunter auch der praktischen Aus- oder Weiterbildung, nachgehen. Wartezeiten in Österreich kann damit ausgewichen werden. „Dies ist auch insofern ein großer Vorteil, als in manchen Fächern wie zum Beispiel der Kinder- und Jugendpsychiatrie schon jetzt wenig Ausbildungsstellen in Österreich vorhanden sind. Durch die Ausbildung im Ausland stehen unsere Absolventinnen und Absolventen rascher zur Verfügung, der drohende Ärztemangel kann abgefedert werden“, so der ÖÄK-Präsident.

Das „ius migrandi“ solle Dorner zufolge aber keineswegs zum „Massenexport“ österreichischer Mediziner beitragen. Die Ärzte würden hierzulande vor allem in den nächsten Jahren dringend gebraucht werden, besonders bei den Fachärzten wird es zum Engpass kommen. „Rund ein Viertel unserer Fachärzte ist bereits über 55 Jahre alt; in den kommenden Jahren rollt eine Pensionswelle auf uns zu, die offenen Stellen müssen dann neu besetzt werden“, erklärte Dorner. Hier spiele die Migration eine tragende Rolle: Die offenen Stellen könnten einerseits durch im Ausland ausgebildete österreichische Spezialisten, andererseits auch durch ausländische Kollegen besetzt werden.

Um den wechselseitigen Ärzteaustausch zu unterstützen, seien mehrere Projekte geplant; darunter eine virtuelle Berufs- und Karriereplattform, auf welcher sich in- und ausländische Ärzte über internationale Jobangebote informieren können. In Kooperation mit den Partnerländern sollen Jobmessen und weiterhin grenzüberschreitende Symposien veranstaltet werden. Zukunftshoffnungen setzt Dorner vor allem in die bereits bestehenden Freundschaftsvereinbarungen mit einigen deutschen Bundesländern sowie der Region Syddanmark und in eine gemeinsame Drehscheibe zum Informationsaustausch.

Wie eine Win-Win-Situation zwischen den Ländern Europas aussehen kann, veranschaulichte der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, Prof. Jan Schulze, anhand eines Bedarfsvergleichs der Situationen in Österreich und Sachsen. Auf der einen Seite hätten österreichische Jungärzte mit langen Wartezeiten auf eine Facharzt-Ausbildung zu rechnen; sächsische Krankenhäuser hätten aber andererseits offene Weiterbildungsstellen – aktuell in den Fächern Psychiatrie, Anästhesie, Innere Medizin, Chirurgie, Allgemeinmedizin und Neurologie – zu bieten. „Derzeit absolvieren 60 österreichische Jungärzte ihre Weiterbildung an sächsischen Krankenhäusern. Erfahrungsgemäß kehren viele aber sobald wie möglich in die Heimat zurück, um dort ihre Weiterbildung fortzusetzen oder als Facharzt zu arbeiten“, so Schulze. Die Vorteile der Zusammenarbeit sieht der sächsische Ärztekammer-Präsident für österreichische Ärzte vor allem in der sofortigen und hervorragenden Weiterbildungsmöglichkeit nach Studienabschluss sowie in den vereinfachten Zulassungs- und Zugangsbedingungen; Sachsen würde wiederum durch die Besetzung der offenen Stellen profitieren. Auch die gemeinsame Organisation der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum sollte zukünftig Thema der Zusammenarbeit sein.

Gegenseitiger Austausch

Dorner betonte in der anschließenden Diskussion, dass sich die Stellenangebote deutscher Institutionen in Österreich und umgekehrt das Gleichgewicht halten. 1.600 deutsche Ärzte arbeiten seinen Aussagen zufolge derzeit in Österreich, 2.100 österreichische Ärzte in Deutschland.

Der Staatssekretär von Brandenburg, Daniel Rühmkorf, warnte davor, die ärztliche Kündigungswelle in Tschechien auszunutzen: „Gegenseitige Hilfe ist nur möglich, wenn kein Gefälle besteht. Zwischen Deutschland, Österreich und Dänemark gibt es kein Gefälle. Ein Gefälle haben wir in den ostdeutschen Bundesländern und Osteuropa“, so Rühmkorf. Es gehe nicht darum, aktiv Ärzte aus Tschechien abzuwerben. Viele tschechische Ärzte wollen allerdings nicht warten, bis sich die Situation im eigenen Land bessert. „Die Attraktivität des Arztberufes ist nicht überall gleich. Viele tschechische Ärzte wollen ihr Land verlassen, daraus resultiert ein sehr einseitiger Austausch“, so Rühmkorf. Es sei daher auch Länderverantwortung, zu sichern, dass in den östlichen Ländern der Nachwuchs erhalten bleibt. Weiters sieht Rühmkorf Problematiken in der Ärzteverteilung, ein Mangel und Überschuss bestehe in Deutschland gleichzeitig. Es müsse die Frage gestellt werden, wie Rahmenbedingungen verändert werden können.

Beim Prinzip des gegenseitigen Austauschs käme es laut Theodor Windhorst, Ärztekammer-Präsident von Westfalen-Lippe, daher auch nicht auf den Profit im eigenen Land an: „Während in Deutschland junge Menschen auf einen Studienplatz warten, warten Jungmediziner in Österreich auf einen Weiterbildungsplatz. Die Freundschaftsvereinbarung beruht auf Gegenseitigkeit“, so Windhorst.

Richard Fritsch, Vertreter des Wissenschaftsministeriums, zeigte sich skeptisch, inwiefern wirklich ein beidseitiger Austausch und nicht nur ein Export inländischer Ärzte nach Deutschland stattfinden würde. Dorner entgegnete, dass der Austausch der Ärzte im Gleichgewicht sei. Die Politik müsse sich daran gewöhnen, dass es einen europäischen Markt für Ärzte gibt, fügte ÖÄK-Präsidialreferent Reiner Brettenthaler hinzu. Für die Ausbildung in Österreich fühle sich niemand verantwortlich. „Österreich ist gut beraten, die Attraktivität der Ausbildung raschest in die Hände zu nehmen, sonst wird die eingeforderte Symbiose zu einer Einbahnstraße“, so Brettenthaler.

Übergreifende Lösungen

„Weiterbildung hat in vielen Ländern verschiedene Schwerpunkte und somit verschiedene gute und schlechte Seiten. Wir sollten uns über die Stärken und Schwächen der Länder austauschen“, so Windhorst. Er plädiert für grenzüberschreitende Lösungen, indem sich die Länder „gegenseitig befruchten“.

Deutsche Bundesländer, die noch nicht im Freundschaftsvertrag mit Österreich sind, betonten ebenfalls den Wunsch nach Austausch. So etwa der Präsident der bayrischen Landesärztekammer, Max Kaplan: „Wir sind interessiert an einem Freundschaftsvertrag und an Austausch. Koordination ist auf europäischer Ebene notwendig.“

Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, führt den Ärztemangel auf zwei Ursachen zurück: „Die Probleme folgen einerseits aus dem Erfolg der Medizin, andererseits aus dem Misserfolg der Politik“. Mit dem Wandel der Medizin sei das Rollenverständnis der Ärzte als Helden vorbei. Der Arzt sei heute oft Letztverantwortlicher und Sündenbock. Jonitz zufolge braucht es einer gemeinsamen Verantwortung, einer besseren rationalen Grundlage und einer besseren Datenlage.

Auch Dorner betonte, dass in Österreich vieles, das nicht gelingt, in die Schuhe der Ärzte geschoben werde. Ärzte seien hierarchisch trainiert und würden sich vor der Politik verneigen. „In Mitteleuropa muss so viel Kraft sein, um länderübergreifende Rotationen möglich zu machen“, so Dorner. Die gemeinsame Sprache sei hierfür von Vorteil, scheitern würde es lediglich am Dienstrecht. Von Seiten der EU erwartet sich der ÖÄK-Präsident keine Unterstützung.

Beim zweiten Tag des Symposiums stand die landärztliche Versorgung im Mittelpunkt. Hier sind die Aussichten laut dem Referenten für Landmedizin und Hausapotheken in der ÖÄK, Otto Pjeta, „alles andere als rosig“. Demzufolge ist seit 2006 die Bereitschaft junger Ärzte, sich auf dem Land niederzulassen, dramatisch gesunken: „Die Stellenbewerbungen sind um 20 Prozent zurückgegangen und das, obwohl in den nächsten Jahren ein Drittel aller Allgemeinmediziner in Pension geht“, schilderte der Ärztevertreter. Kassenplanstellen könnten erst nach mehrmaliger Ausschreibung im In- und Ausland nachbesetzt werden. Neben den Rund-um-die-Uhr-Bereitschaften hätten Landärzte mit überdurchschnittlich vielen sozialmedizinischen Aufgaben zu kämpfen, die nicht honoriert werden. Jährlich absolvieren Hausärzte etwa 1,7 Millionen Hausbesuche mit teils weiten Wegstrecken. Besonders für Jungärzte und Frauen mit Familie werde der Beruf dadurch wenig attraktiv.

Hinzu komme, dass immer mehr Hausapotheken von der Schließung bedroht sind. Folglich sind auch viele Ordinationen wegen der dann fehlenden Wirtschaftlichkeit gefährdet. Im gebirgigen Tirol etwa drohe gerade ein Drittel aller Hausapotheken verloren zu gehen. Neben der flächendeckenden Versorgung spiele die Hausapotheke aber auch eine wichtige Rolle bezüglich der Compliance: „Natürlich erhöht sich damit auch die Sicherheit und Wirksamkeit einer Medikation, wenn der Patient beim Arzt das Präparat erhält und sofort mit der Einnahme beginnen kann“, so der Experte. Die Aufwertung des Allgemeinmediziners und die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für Landärzte könnten hier Lösungsansätze sein. Dies könne vor allem durch die Umsetzung des von der ÖÄK entwickelten Hausarztmodells möglich gemacht werden. Pjeta weiter: „Politik und Hauptverband sind aufgefordert, schnellstmöglich für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen.“

Auch einige der deutschen Referenten beim Symposium klagten über die stetig sinkende Zahl an Allgemeinmedizinern; auch in Deutschland stehe eine Pensionierungswelle an: Bis 2019 würden dort sogar 37.370 Ärzte fehlen, österreichische Mediziner seien gerne willkommen. Mecklenburg-Vorpommern etwa lockt mit Praxisassistenten, um Ärzte von Verwaltungsaufgaben zu entlasten.

Landarztstellen unattraktiv

Bei der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, warum eine landärztliche Tätigkeit für viele Ärzte heute unattraktiv ist. „Ein junger Mensch ist nicht ausschließlich an Geld, sondern vor allem an Lebensqualität interessiert“, hatte Dorner am Vortag betont. Dies spiele auch deshalb eine Rolle, da die Medizin immer weiblicher werde. Diesen Punkt griff Annette Rommel, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, auf und wies anhand von Umfrageergebnissen darauf hin, dass der Beruf des Landarztes sehr wohl interessant für Frauen sei. Als Landärztin sei sogar eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Karriere möglich. Durch die hohe Mobilität seien Städte und größere Gemeinden leicht mit dem Auto erreichbar. Außerdem würden junge Kollegen sehen, dass es eine Aufwertung in der Honorierung gab. Für Österreich empfiehlt Rommel dringend die Einführung eines Facharztes für Allgemeinmedizin, um den Hausarzt aufzuwerten. Pjeta erklärte, dass dies an der Finanzierung der Lehrpraxis scheitere. Eine Aufwertung der Honorierung sei ebenso hierzulande gewünscht.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2011