123. Ärztekammertag: Im Brennpunkt: E-Health

25.06.2011 | Politik


Die Vollversammlung der ÖÄK hat sich für einen sofortigen Stopp der E-Medikation ausgesprochen. Weitere zentrale Themen des 123. Ärztekammertages: die Kostenexplosion bei ELGA, Pflegebegutachtung, eine Informationsoffensive gegen Gewalt sowie der aktuelle Stand der Qualitätssicherungs-Verordnung.

Von Agnes M. Mühlgassner

Für einen sofortigen Stopp des Pilotprojekts „E-Medikation“ hat sich die Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer einstimmig beim 123. Ärztekammertag in Seefeld ausgesprochen. Die Begründung: Durch den Bescheid des Bundesvergabeamtes vom 13. Mai 2011 wurde das Projekt rechtlich in Frage gestellt. Deswegen dürfe die Sozialversicherung das Projekt nicht in der geplanten Form weiterführen. Bekanntlich hat das Bundesvergabeamt festgestellt, dass die Auftragsvergabe besonders an die beteiligten Softwarefirmen durch den Hauptverband der Sozialversicherungen gesetzwidrig ist. Auch ist dem Hauptverband der direkte Kontakt mit den Softwarefirmen untersagt.

Der Vorschlag des Hauptverbandes, wonach die im Pilotprojekt involvierten Ärzte für die Neuinstallation oder Supportleistungen nun selbst die Softwarefirmen beauftragen sollen und die Rechnungen an den Hauptverband zur Bezahlung weiterleiten sollen, wirft – so heißt es in der Resolution weiter – „privatrechtliche, sozialversicherungsrechtliche Fragen auf und besonders die Frage, ob damit eine verbotene Umgehung der Entscheidung des Bundesvergabeamtes verbunden ist“. Somit dürfen derzeit keine weiteren Installationen von Softwarefirmen bei Ärzten vom Hauptverband beauftragt werden.

Die schon jetzt involvierten Ärzte werden u.a. aufgefordert:

  • keine administrativen Aufträge an involvierte Softwarefirmen zu erteilen;
  • keine Neuinstallationen von Software für die E-Medikation vorzunehmen;
  • keine Supportleistungen zu bestellen;
  • keine neuen Patienten für die E-Medikation zu akquirieren;
  • keine neuen Patientendaten in die Verordnungsdatenbank elektronisch einzutragen und mit der vom Hauptverband vorgeschlagenen Weise zu administrieren;
  • keine Rechnungen von diesen Softwarefirmen entgegen zu nehmen und an den Hauptverband zur Bezahlung weiterzuleiten, stattdessen die Rechnungen an die ÖÄK zu senden.

Des Weiteren hat die Vollversammlung der ÖÄK Gesundheitsminister Alois Stöger aufgefordert, die offenen Rechtsfragen zu klären, um die „Pilotärzte“ vor rechtlichen und finanziellen Nachteilen zu schützen.

Heftig diskutiert wurde im Anschluss daran auch über ELGA, die elektronische Gesundheitsakte. ÖÄK-Präsident Walter Dorner berichtete, dass das Gesundheitsministerium nach wie vor auf einer Opt out-Regelung beharre, da es sich um ein öffentliches Infrastrukturprojekt handle und wenn der Staat Geld in die Hand nehme, müsse auch eine entsprechende Teilnahme herbeigeführt werden. Hier besteht Dissens mit der Ärztekammer: „Wir wollen eine Opt in-Regelung“, so Dorner.

Bezüglich der tatsächlichen Kosten von ELGA wurde die Debold & Lux-Studie aus dem Jahr 2008 modifiziert mit einer Studie, die die Wiener Ärztekammer 2011 bei Hübner & Hübner in Auftrag gegeben hat. Ergebnis: Bei ELGA ist eine gewaltige Kostenexplosion zu erwarten. Demnach belaufen sich bis 2017 die Installationskosten auf 198,8 Millionen Euro (frühere Berechnung: 135,4 Millionen), was einer Steigerung von 47 Prozent entspricht. Bei den jährlichen Betriebskosten fallen 89 Millionen Euro (frühere Berechnung: 37 Millionen) an, was einer Steigerung von 140 Prozent entspricht. Für die Ärztekammern entstehen dadurch zusätzliche Kosten (etwa durch die Bereitstellung von Daten aus der Ärzteliste); davon sind 2,8 Millionen Euro Investitionskosten sowie Betriebskosten von 3,8 Millionen Euro.

Der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Günther Wawrowsky, erinnerte an die Aussage von Gesundheitsminister Alois Stöger, dass ‚ELGA und E-Medikation nur dann Sinn machen, wenn die Bevölkerung und die Ärzte davon profitieren‘. ÖÄK-Vizepräsident Artur Wechselberger ergänzte: „Die Frage ist, welchen Benefit hat der Arzt davon. Und wer, wenn nicht wir Ärzte, sollten beurteilen können, ob es ein Benefit ist. Das ist eine rein medizinische Frage, die nur wir Ärzte beantworten können.“ Walter Dorner meinte dazu: „ELGA ist ein Milliardengrab. Ich wundere mich nicht, dass andere Länder wie etwa Deutschland das schon gestoppt haben.“

Pflegebegutachtung: nur mit Ärzten

Einstimmig wurde beim Kammertag auch eine Resolution, in der die ÖÄK die alleinige Begutachtung des Pflegebedarfs durch das Pflegepersonal ablehnt. Die Mitglieder der Vollversammlung sprachen sich für eine kombinierte Beurteilung des Pflegebedarfs durch Ärzte und Pflegepersonal an Pflegestufe 5 aus. Da Änderungen im Pflegebedarf meist mit einer medizinischen Indikation verbunden sind – also einer Verbesserung oder Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes – bedürfe dies einer ärztlichen Diagnose. Eine alleinige Begutachtung des Pflegepersonals, wie dies vom Sozialministerium geplant ist, würde hingegen die Versorgungsqualität gefährden und sei daher nicht im Interesse der Patientinnen und Patienten. Ziel müsse ein Modell sein, das eine enge Kooperation zwischen Ärzte und Pflegepersonal etabliere.

Zeichen gegen Gewalt

Darüber hinaus hat die ÖÄK ein Zeichen gegen Gewalt gesetzt: Die Vollversammlung hat sich in einer Resolution für gezielte Maßnahmen ausgesprochen, um „physische und psychische Gewalt als Ursachen für Krankheit, Verletzung, Leid und Tod quantitativ sowie der Form nach zu erfassen“, wie es in der Resolution wörtlich heißt, und somit langfristig einzudämmen. Neben der Errichtung eines Gewaltschutzregisters soll es auch eine zentrale Anlaufstelle für Gewaltopfer geben sowie eine informelle Vernetzung der Ansprechpartner innerhalb der Ärzteschaft, Behörden, Gerichte und sozialen Einrichtungen. Unter www.docwissen.at wurde von der österreichischen akademie der ärzte eine spezielle Wissensplattform errichtet. Mit einer breiten Informations- und Fortbildungsinitiative gegen Gewalt soll das Thema auf ärztlicher Ebene nachhaltig verankert werden.

Mit dem „unendlichen Thema Qualität“ befasste sich der Präsidialreferent für Qualitätssicherung, Otto Pjeta, in seinen Ausführungen. „Wir haben uns viele Monate bemüht, die Qualitätssicherungs-Verordnung betreffend, wo es Änderungsbedarf aus den Praxisevaluierungen gegeben hat, Klärungen herbeizuführen“, betonte Pjeta. Die Arbeiten dazu seien im wissenschaftlichen Beirat, in dem auch Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Patientenvertreter, der Patientenanwalt, Gesundheitsministerium und auch der Hauptverband vertreten sind, „konstruktiv“ verlaufen. Elf Sitzungen gab es insgesamt, bis der wissenschaftliche Beirat die Empfehlungen formuliert hatte und sie einstimmig verabschiedet wurden. Die Rückmeldungen aus der Begutachtungsphase wurden neuerlich eingearbeitet; nochmals wurde im wissenschaftlichen Beirat ein einstimmiger Beschluss gefasst. Neu aufgenommen in die Qualitätssicherungs-Verordnung wurde etwa die Hygiene-Verordnung (Details dazu gibt es unter www.arzthygiene.at), Informationen zur sicheren Aufbewahrung von Suchtgiften, eine professionelle Anleitung für das Vorgehen beim Notfall und auch Fragen bezüglich der Medizinprodukte-Verordnung. „Allerdings hat es zur jetzt vorliegenden Version der Qualitätssicherungs-Verordnung einige Einwände von Seiten des Ministeriums gegeben“, wie Pjeta berichtete. So wird etwa eine Veröffentlichung der Ausstattungslisten gefordert; die Zahl der Stichproben soll erhöht werden und einiges anderes mehr. Verhandlungen sollen hier noch eine Einigung erzielen; die aktuell gültige Verordnung zur Qualitätssicherung läuft mit Jahresende aus. Die neue Verordnung soll bei der nächsten Vollversammlung der ÖÄK im Dezember beschlossen werden.

Aus der Bundeskurie angestellte Ärzte

  • Die Bundeskurie hat sich dafür ausgesprochen, dass jede Organisationseinheit einen deklarierten Leiter vor Ort hat.
  • Die ärztliche Aufklärung darf nicht ausgelagert werden; d.h. die Aufklärung muss durch die Ärzte jener Organisationseinheit erfolgen, wo auch der medizinische Eingriff vorgenommen wird.
  • Ordinationsbewertung: Nach Ansicht der Bundeskurie muss es ein direkt proportionales Verhältnis zwischen Ausmaß der Mitarbeit und dem Gesellschaftsanteil geben.
  • Universitäten: Es kann nicht sein, dass Ärztedienstposten eingespart werden, während in der Verwaltung der Universitäten laufend mehr Personal aufgenommen wird.
  • Auf internationaler Ebene hat die Bundeskurie bei der FEMS (Fédération Européenne des Médicins Salariés) ihren Standpunkt, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie und auch die österreichischen Regelungen so bleiben sollen, wie sie derzeit sind, vertreten.

 

Aus der Bundeskurie niedergelassene Ärzte

  • SVA: Durch eine interne Umstellung der Verrechnungsstellen (so werden etwa alle Internisten in Kärnten abgerechnet, alle Gynäkologen in Tirol etc.) kommt es zu Schwierigkeiten bei der Abrechnung; zur Klärung wurde ein gemeinsamer Interpretations-Ausschuss eingerichtet.
  • BVA: Die Zusatzübereinkommen Labor, Radiologie, Struktur sowie die Gruppenpraxen-Gesamtverträge (ohne Abschläge) wurden vereinbart.
  • VAEB: Das Zusatzübereinkommen Labor (Valorisierung) wurde vereinbart sowie eine Österreich-weite Honorarordnung der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
  • Die vier von ÖÄK und Hauptverband besetzten Arbeitsgruppen ruhen – wegen des „Masterplans Gesundheit“.
  • Die „Vorsorgeuntersuchung neu“ ist mittlerweile fünf Jahre alt; ein Ansuchen der Bundeskurie auf Honorarerhöhung wurde vom Hauptverband abgelehnt.
  • Mammographie-Screening: Hier konnte eine Einigung mit dem Hauptverband erzielt werden.
  • Hausarztmodell: Laut Kurienobmann Günther Wawrowsky droht ein Mangel an Allgemeinmedizinern im niedergelassenen Bereich; in manchen Bereichen ist er bereits existent. „Wir werden das nicht abwenden können, wenn Ministerium und Hauptverband weiter die bürokratischen Daumenschrauben festziehen“, so der Kurienobmann. Bundes-Qualitätsleitlinien machten diesen Job nicht leichter.

Kosten für die Einführung von ELGA (bis 2017) in Euro

Investitionskosten ELGA gesamt (Ärzteanteil: 101,7 Mio.)

Neu (2011)

Alt (2008)

Differenz

In Prozent

198,8 Mio.

135,4 Mio.

+ 63,4 Mio.

+ 47 %

Betriebskosten/Jahr gesamt (laufend, ab 2012, Ärzteanteil: 62,7 Mio.)

Neu (2011)

Alt (2008)

Differenz

In Prozent

89,0 Mio.

37,0 Mio.

+ 52,0 Mio.

+ 140 %

Gesamtkosten (bis 2017)

Neu (2011)

Alt (2008)

Differenz

In Prozent

649,0 Mio.

325,7 Mio.

+ 323,3 Mio.

+ 99 %

Kosten für die Kammer (in obigen Zahlen nicht enthalten; bis 2017)

Investitionskosten

2,8 Mio. Euro

Betriebskosten

3,8 Mio. Euro

Gesamtkosten Ärztekammern

6,6 Mio. Euro (bis 2017)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2011