Originalarbeit: Borrelien-Serologie in der Praxis

15.12.2011 | Medizin


Nur bei 20 Prozent der Patienten kommt es nach dem Stich einer mit Borrelien infizierten Zecke zur Serokonversion; nur zwei Prozent entwickelt ein Erythema migrans. Eine positive Borrelien-Serologie ist nicht mit einer Infektion gleichzusetzen; deswegen ist die Suche nach anderen Ursachen für die Beschwerden unerlässlich.

Von Elisabeth Aberer et al.*

Österreich ist ein Endemiegebiet für die Lyme Borreliose – eine Erkrankung, die durch Zecken übertragen wird. Patienten mit frühen Hautsymptomen, dem Erythema migrans, werden vor allem von Allgemeinmedizinern betreut. Diese sind aber auch die Anlaufstelle für weitere mögliche Symptome der Lyme Borreliose – Herzbeschwerden, Gelenks- und Muskelschmerzen, neurologische Symptome sowie Kopfschmerzen. Spezielle Hautsymptome der Lyme Borreliose und neurologische Symptome wie Facialisparese werden meist vom niedergelassenen Facharzt oder an der Klinik behandelt. Die Diagnose der Lyme Borreliose erfolgt vor allem klinisch, durch den typischen Hautbefund, andere Symptome aber auch durch die Anamnese eines Zeckenstichs.

Die Borrelien-Serologie ist ein diagnostischer Test zur Bestätigung der Diagnose bei klinischen Symptomen der Lyme Borreliose. Positive Befunde kann man erwarten:

  • Erythema migrans: 50 Prozent positiv
  • Borrelienlymphozytom: 75 Prozent positiv
  • Acrodermatitis chronica atrophicans: 100 Prozent positiv
  • Lyme Arthritis: 100 Prozent positiv
  • Neuroborreliose: Beweis einer Infektion durch positiven Liquor/Serum-Antikörper-Index, lymphozytäre Pleozytose und Schrankenstörung.

Für den Dermatologen interessant ist die Frage, ob die Morphea (zirkumskripte Sklerodermie) der Lichen sclerosus und maligne B-Zell-Lymphome mit einer Lyme Borreliose assoziiert sind, da bei all diesen Erkrankungen auch über einen Erfolg einer antibiotischen Therapie berichtet wurde. Die Serologie gibt dafür einen Anhalt. Weitere beschriebene, mit einer Lyme Borreliose einhergehende Symptome sind Tinnitus, Hörsturz, Uveitis, Arthralgien, Myalgien, Neuropathien sowie das sympathische Dystrophie-Reflexsyndrom. Deshalb werden Borrelien-Antikörper bei allen möglichen Beschwerden der Patienten untersucht.

Durchseuchung der Bevölkerung

Der Kontakt mit Borrelien muss nicht zu einer manifesten Krankheit führen. Eine Serokonversion tritt bei 20 Prozent der Patienten nach Stich einer mit Borrelien infizierten Zecke auf; nur zwei Prozent entwickeln ein Erythema migrans. Bei vielen Personen kann es somit zu einer „stillen Feiung“ kommen; diese sind ganz gesund. Aufgrund der hohen Durchseuchung der Bevölkerung (zehn Prozent der Blutspender, 30 Prozent der Waldarbeiter, 70 Prozent bei 70-jährigen Jägern) lässt sich schwer ermitteln, bei welchen Patienten tatsächlich die nachgewiesene Borrelien-Infektion zu Beschwerden führt und bei welchen ganz andere Krankheiten dahinterstehen.

Die Universitätsklinik für Dermatologie in Graz führt im Landeskrankenhaus Graz die serologische Borrelien-Diagnostik durch. Nach den Richtlinien wird als Suchtest ein ELISA eingesetzt, der durch einen Immunoblot bestätigt werden soll. Mittels Immunoblot werden Antikörper bestimmt, aus deren Muster man eine Früh- oder Spätinfektion ablesen kann. Das Problem bei der Serologie ist, dass die Antikörper, die nach einer Infektion gebildet werden, auch nach der Therapie nachzuweisen sind und auch Gesunde abhängig von ihrer Zeckenexposition in einem hohen Prozentsatz Antikörper zeigen, ohne dabei erkrankt zu sein. Wenn nun diese Borrelien-Antikörper bei den verschiedenen Symptomen der Lyme Borreliose untersucht werden, ist es für den Zuweisenden hilfreich, wenn man aus dem Immunblotmuster eine Interpretation der Ergebnisse anbietet.

Interpretation und Korrelation

Bei der Interpretation der Borrelien-Serologie sind oft mehrere Möglichkeiten gegeben. Die Beurteilung der Serologie ergibt sich aber aus dem Ergebnis des Immunoblots (Tab. 1). Selbst wenn Antikörper im ELISA positiv sind, aber durch den Immunoblot nicht bestätigt werden können, ist dies kein Beweis für eine Infektion.

Die Beurteilung liegt im Ergebnis des Immunoblots!

ELISA

IB

Interpretation

Weitere Maßnahmen

IgM, IgG neg.

IgM neg. IgG neg.

Negativ

Bei Verdacht auf Erythema migrans sofortige Therapie

IgM oder IgG pos.

IgM neg. IgG neg.

Kein Beweis für Infektion

Bei Verdacht auf Erythema migrans sofortige Therapie

IgM neg. (pos.)
IgG neg. (pos.)

IgM pos. IgG neg.

Frühinfektion möglich

Bei Verdacht auf Erythme migrans sofortige Therapie
Serologische Kontrolle in 1 Monat

IgM neg. (pos.)
IgG neg. (pos.)

IgM pos. IgG pos.

Infektion bestätigt

Wurde antibiotische Therapie durchgeführt?

IgM neg. (pos.)
IgG neg. (pos.)

IgM neg. IgG pos.

Stattgehabter Kontakt mit B. burgdorferi

Antibiotische Therapie bei Beschwerden

Tab. 1

Projekt: Zuweiserbefragung

Seit einem Jahr wird an der Universitätsklinik für Dermatologie Graz der Immunoblot-Befund mit einer ärztlichen Interpretation ausgegeben. Um herauszufinden, ob diese Interpretation für den Zuweisenden auch hilfreich ist, wurde im Juli 2011 eine Zuweiserbefragung durchgeführt und erging an verschiedene Kliniken des LKH Graz (HNO, Rheumatologie, Neurologie, Kinderklinik, Kinderchirurgie, Augenklinik, Innere Medizin/Infektiologie sowie an Ärzte der Universitätsklinik für Dermatologie). Weiters wurden 100 Krankengeschichten der Klinik dahingehend überprüft, ob die gegebene Interpretation zum klinischen Bild passt. Aus den 60 ausgegebenen Fragebögen kamen 16 Antworten. Die meisten Zuweiser sind zufrieden mit einer Interpretation. Meist ist die Interpretation auch hilfreich, fallweise stimmt sie aber mit dem klinischen Bild nicht überein. Hilfreich für eine Interpretation wären anamnestische Angaben wie Zeckenstich, vorangegangenes Erythema migrans oder antibiotische Therapie.

Frühinfektionen weisen sich durch IgM-Antikörper aus, wie sie bei Erythema migrans vorkommen. Nach einem Monat sollte eine IgG-Serokonversion erfolgen. Erst wenn IgG-Antikörper gebildet werden, kann eine Bestätigung einer Borreliose erfolgen. Bei isoliert vorkommenden IgM- ohne sich entwickelten IgG-Antikörpern, ist die Interpretation der Befunde als unspezifisch zu werten. In Tab. 2 wird gezeigt, dass bei Erythema migrans die Serologie vor der Therapie nur zu 35 Prozent positiv ist. Eine neuerliche Blutabnahme nach einem Monat wäre erforderlich, um eine Serokonversion zu bestätigen, die nach Therapie am häufigsten zu erkennen ist (50 bis 70 Prozent positiver Test, nur IgM oder IgM + IgG Antikörper).

Interpretation der Borrelienserologie

Auswertung von 100 Patienten

Klinische Diagnose

Diagnose bestätigt

Diagnose nicht bestätigt

Bestätigte Infektionen

EM

15/43

28/43

35% (Vgl. Literatur 50%)

BL

1/1

0/1

100%

ACA

6/6

0/6

100%

Morphea

2/6

4/6

33%

Arthritis/Arthralgien

5/6

1/6

83%

Andere Diagnosen

9/38

29/38

27%: Infektion mit B. burgdorferi? Seroprävalenz?

EM: Erythema migrans
BL: Borrelienlymphozytom
ACA: Acrodermatitis chronica atrophicans

Tab. 2

Vorgehen bei klassischen Hautsymptomen

Das Erythema migrans ist immer eine klinische Diagnose (Abb. 1). Man darf nicht auf die Serologie warten; die Therapie muss sofort erfolgen. Die Durchführung einer Serologie bei dieser Frühform der Lyme Borreliose ist daher nicht erforderlich. Anders ist es beim Borrelienlymphozytom und bei der Acrodermatitis chronica atrophicans. Bei beiden Erkrankungen muss auch eine histologische Bestätigung der Diagnose erfolgen (Ausnahme: Kinder mit Lymphozyton). Beim Lymphozytom können in rund 75 Prozent, bei der Acrodermatitis chronica atrophicans in 100 Prozent Antikörper nachgewiesen werden.

Vorgangsweise bei weiteren Symptomen

Bei der klinischen Diagnose einer Neuroborreliose wird von Seiten des Neurologen die Indikation zu einer Liquorpunktion gestellt. Es werden zur Diagnosebestätigung autochthon im Liquor produzierte Borrelien-Antikörper mittels Liquor/Serum-Index bestimmt. Bei Herzrhythmusstörungen lässt sich aufgrund einer Titerbewegung in der Serologie die Diagnose einer zugrunde liegenden Lyme Borreliose vermuten. Die Anamnese eines Zeckenstichs und der Ausschluss anderer Erkrankungen spielt aber auch hier eine wichtige Rolle. Einseitige Gelenksschwellungen und migratorische Gelenksschmerzen sind heterogener Natur. Auch hier ist die Anamnese eines Zeckenstichs oder von Hautsymptomen für die Diagnose einer Lyme-Arthritis entscheidend.

Bei anderen Symptomen (Morphea 33 Prozent seropositiv in unserer Auswertung, Arthritis/Arthralgien 83 Prozent positive Serologie; bei Myalgien, Kopfschmerzen, Tinnitus und Augensymptomen wie Uveitis) lässt sich in einem gewissen Prozentsatz eine Borrelien-Infektion nachweisen. Eine antibiotische Therapie ist daher anzuraten. Bei einem länger zurückliegenden Infektionszeitpunkt sollte über 30 Tage behandelt werden. Wenn unklare Symptome vorliegen (27 Prozent Seropositive, Tab. 2) und Borrelien-IgG-Antikörper vorliegen, schlagen wir ebenfalls eine „Sicherheitstherapie“ über 30 Tage vor.

Bei den angegebenen Kommentaren wünschen sich die Zuweiser eine genauere Zuordnung nachgewiesener Banden, ob diese einer Früh- oder Spätinfektion entsprechen. Wie die zuweisenden Kollegen richtig bemerken, muss man akzeptieren, dass der Antikörper-Nachweis allein kein Beweis für eine Infektion ist und dass der kulturelle Erregernachweis den einzigen Beweis erbringen kann. Eine PCR gibt den Hinweis, dass die DNA des Erregers vorhanden ist, aber nicht, ob der Erreger noch vermehrungsfähig ist und nicht ob er pathogen und für die jeweilige Krankheit relevant ist. Unser Wunsch an Zuweiser ist es, Anhaltspunkte zu haben wie etwa die Angabe der Diagnose, eine Anamnese bezüglich Zeckenstich (wann?), Erythema migrans (wann?) und bereits erfolgte antibiotische Therapie der Lyme Borreliose. Damit lässt sich die Interpretation optimieren. Die Entscheidung über eine antibiotische Therapie bleibt aber in allen Fällen beim behandelnden Arzt.

Zusammenfassung

Die Diagnose einer Lyme Borreliose erfolgt vor allem durch klinische Diagnostik der Hautsymptome, der neurologischen Symptome, Gelenksbeschwerden und weiterer Symptome. Ganz wichtig sind auch die Anamnese eines Zeckenstichs, einer nachfolgenden Rötung, einer Grippe-artigen Erkrankung, der Beginn und die Dauer der Beschwerden. Der Nachweis von Borrelien-Antikörpern dient jeweils zur Bestätigung der Diagnose. Eine Immunoblot-Untersuchung dient zur Bestätigung des ELISA, der ein Suchtest ist, und sollte bei einem positivem ELISA in jedem Fall erfolgen. Die Interpretation der Ergebnisse hängt stark von der angegebenen Diagnose und den angegebenen anamnestischen Angaben ab. Der Arzt darf sich nicht darauf verlassen, dass eine positive IgG-Borrelien-Serologie einer Infektion gleichzusetzen ist. Deshalb ist die Suche nach anderen Ursachen für die gegebenen Beschwerden unerlässlich.


*) Univ. Prof. Dr. Elisabeth Aberer,
Dr. Nora Wutte,
Dr. Agnes Bretterklieber,
Dr. Alexandra Maria Brunasso;
alle: Medizinische Universität Graz/Universitätsklinik für Dermatologie,
Auenbrugger Platz 8, 8036 Graz;
Tel.: 0316/385-12423; E-Mail: elisabeth.aberer@medunigraz.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2011