Nicht-konvulsiver Status epilepticus: Häufig verkannt

15.12.2011 | Medizin


Verwirrtheitszustände werden bei älteren Menschen gerne mit einer Demenz gleichgesetzt. Vor allem bei Patienten mit vaskulären Erkrankungen in der Vorgeschichte kann ein nicht-konvulsiver Status epilepticus die tatsächliche, häufig verkannte Diagnose sein.

Von Irene Mlekusch

Mit einer Prävalenz von sieben bis acht Promille zählt die Epilepsie mit zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Inzidenz von epileptischen Anfällen und Epilepsien steigt mit zunehmendem Lebensalter steil an; ein Drittel der Epilepsien beginnt nach dem 60. Lebensjahr. Die klinische Symptomatik von epileptischen Anfällen wird durch die Funktion der von den epileptischen Entladungen betroffenen Nervenzellverbänden bestimmt. In vielen Fällen – besonders beim generalisierten tonisch-klonischen Anfall – stellt die Diagnose kein Problem dar und kann zumeist bereits klinisch gestellt werden.

„Insbesondere stellt der sogenannte nicht-konvulsive Status epilepticus eine diagnostische Herausforderung dar“, erklärt Univ. Prof. Christoph Baumgartner, Abteilungsvorstand der 2. Neurologischen Abteilung am Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel in Wien. Klinisch kommt es dabei zu Änderungen des Verhaltens und Verwirrtheitszuständen mit oder ohne Bewusstseinstrübungen, bei denen die Betroffenen oft auch komplexe und durchaus zielgerichtete Handlungen setzen können. Die Symptomatik kann über Stunden andauern. Laut Baumgartner kommt es in manchen Fällen zu oralen Automatismen wie Kauen, Schmatzen, Schlucken und dergleichen oder auch zu manualen Automatismen wie beispielsweise Nesteln sowie zu Lidmyoklonien. Diese Symptome können aber auch fehlen.

„Einem nicht-konvulsiven Status epilepticus kann einerseits ein fokales Anfallsgeschehen wie eine Aura continua oder ein fokal-komplexer Status zugrunde liegen, wobei die epileptischen Entladungen dann oft vom Temporal- oder Frontallappen ihren Ausgang nehmen“, so Baumgartner, „Andererseits kann auch eine generalisierte Epilepsie im Rahmen eines Absencen-Status zum Bild eines nicht-konvulsiven Status epilepticus führen. Eine klinische Differentialdiagnose dieser Statusformen ist nicht möglich. Es bedarf hierfür einer EEG-Untersuchung.“ Ein nicht-konvulsiver Status kann im Rahmen einer bestehenden Epilepsie auftreten oder aber die Erstmanifestation eines epileptischen Geschehens darstellen. Als Ursachen nennt Baumgartner zerebrovaskuläre Erkrankungen, entzündliche ZNS-Erkrankungen, Demenzen, Hirntumore, Schädel-Hirntraumen, metabolische Entgleisungen sowie Elektrolytentgleisungen.

Auch andere Ursachen

Univ. Doz. Martin Graf von der Neurologischen Abteilung im Sozialmedizinischen Zentrum Ost-Donauspital Wien sieht den Schwerpunkt der zugrundeliegenden Pathologien im vaskulären ischämischen Bereich. „Ein Absencen-Status kann de novo im höheren Alter auch bei Benzodiazepinentzug auftreten“, ergänzt Graf. Auch Alkohol, Butyrophenone, Phenothiazine, trizyklische Antidepressiva, Lithium und Ifosfamide können dem Auftreten eines nicht-konvulsiven Status zugrunde liegen oder diesen begünstigen. Ein Status atypischer Absencen findet sich wiederum eher im Kindesalter im Rahmen des Lennox-Gastaut-Syndroms.

„Differentialdiagnostisch abzugrenzen ist ein nicht-konvulsiver Status von metabolischen Encephalopathien, Aphasien, Intoxikationen sowie von psychiatrischen, deliranten und dementiellen Zustandsbildern“, weiß Baumgartner und gibt zu bedenken, dass eine klinische Differentialdiagnose schwierig bis unmöglich ist, sodass eine konklusive Diagnose oft erst durch eine EEG-Untersuchung gelingt, die großzügig indiziert werden sollte. Baumgartner fasst zusammen: „Das Wesentliche ist hier, an einen nicht-konvulsiven Status zu denken und dann rasch die EEG-Untersuchung zu veranlassen, wobei dies in der klinischen Praxis sicherlich noch zu wenig geschieht.“

In einer Studie mit Patienten, die an Verwirrtheit unklarer Genese litten und über 60 Jahre alt waren, konnte festgestellt werden, dass beinahe 16 Prozent an einem nicht-konvulsiven Status epilepticus litten. Im Rahmen der Untersuchung waren vor allem jene Patienten betroffen, die Schwierigkeiten hatten, auf einfache Kommandos zu reagieren und deren Symptome plötzlich eingesetzt hatten. „Der nicht-konvulsive Status epilepticus kann sich im Rahmen einer beginnenden Epilepsie zeigen“, so Graf.

Der nicht-konvulsive Status epilepticus kann mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sein. Graf verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie, in der gezeigt werden konnte, dass mehr als 14 Prozent der Patienten, deren konvulsiver Status epilepticus erfolgreich kontrolliert werden konnte, innerhalb der darauf folgenden Stunden im EEG auffällige, einem nicht-konvulsiven Status epilepticus entsprechende Muster aufwiesen. Die betroffenen Patienten waren komatös und zeigten keine klinischen Anzeichen einer Konvulsion. „Ein nicht-konvulsiver Status epilepticus ist ein medizinischer Notfall und sollte deshalb rasch behandelt werden,“ sagt Baumgartner. Graf empfiehlt ein i.v.-verfügbares, nicht sedierendes Antiepilepticum wie Valproat oder Levetiracetam und erklärt: „Im Krankenhaus möchte man den Patienten nicht sediert empfangen, weil das die weitere Diagnostik erschwert.“ Gibt man bei einem nicht-konvulsiven Status epilepticus ein Antikonvulsivum, so kann es schon während der EEG-Ableitung zu einer deutlichen Besserung der Gehirnaktivität und einem Aufklaren des Bewusstseins des Patienten kommen. „Die Status-Therapie-Guidelines sind derzeit hoch in Diskussion“, merkt Graf abschließend an.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2011