NDM-1: Metallo-Betalaktamase knackt Antibiotika

25.02.2011 | Medizin


Laut der Europäischen Gesundheitsbehörde ECDC breitet sich NDM-1 in Europa aus: Der als „Superbakterium“ bezeichnete Erreger wurde bisher in 13 Ländern insgesamt 77-mal registriert. Hauptproblem bei einer Infektion mit NDM-1: Es ist gegen nahezu alle gängigen Antibiotika resistent. In Österreich gab es bisher drei nachgewiesene Infektionen.

Von Corina Petschacher

Nachgewiesen wurden die NDM-1 produzierenden Bakterien erstmals bei einem schwedischen Patienten, der den Erreger aus New Delhi (Indien) nach Schweden gebracht hat. Spricht man vom Begriff NDM-1, so ist das „New Delhi Metallo Betalaktamase Gen 1“ gemeint, das eine durch Selektion entstandene Mutation darstellt. Dieses Gen kann plasmidisch in verschiedenen Bakterienstämmen auftreten. Betroffen sind vor allem sogenannte Enterobakterien wie Escherichia coli, aber auch Klebsiella pneumoniae, Proteus sp. oder Enterobacter cloacae; es kann aber auch jederzeit zur Übertragung des NDM-1-Resistenzgens auf andere Bakterienstämme kommen. „Dabei handelt es sich keineswegs um ein Superbakterium, sondern vielmehr um Bakterien, die bestimmte Erbinformationen tragen, die für Enzyme kodieren, welche Breitbandantibiotika unwirksam machen“, wie Univ. Prof. Elisabeth Presterl, Leiterin des Klinischen Instituts für Krankenhaushygiene am Wiener AKH erklärt. Die von den Bakterien produzierten Beta-Laktamasen bauen Antibiotika, die einen Betalaktamring besitzen, ab. Betalaktamasen knacken die Beta-Laktam-Ringstruktur, die an gewissen Stellen hydrolysiert werden kann. Zu den Beta-Laktam-Antibiotika gehören Penicilline, Cephalosporine oder Carbapeneme. Betalaktame verhindern die Vernetzung von Molekülen, die die Bakterien-Zellwand aufbauen, wodurch das Bakterium instabil wird und zu Grunde geht. Presterl weiter: „Neu ist, dass auch Carbapeneme keine Wirkung gegen diese Bakterienstämme zeigen. Sie sind multiresistent.“

Das NDM-1-Gen stellt einen spezifischen Resistenzmechanismus, nämlich die Bildung einer sogenannten Carbapenemase dar. Diese führt zur Resistenz gegen Carbapeneme (Imipenem, Meropenem, Ertapenem und Doripenem). Es gibt bereits verschiedenste bekannte Resistenzgene, die zu einer Carbapenem-Resistenz führen können; NDM-1 stellt dabei die neueste Variante dar. Enterobakterien, die ein oder mehrere solche Enzyme bilden, werden seit Jahren in zunehmendem Ausmaß vor allem in Südeuropa und im Mittelmeerraum isoliert und führen dort im Falle von Infektionen zu massiven therapeutischen Problemen.

Antibiotika-Resistenz

Durch unachtsame und großzügige Anwendung von Antibiotika kann es zur Selektion von Bakterien-Mutanten kommen, die gegen Antibiotika resistent sind. Abhängig von der Stabilität und der Menge der Bakterien kann es zur Selektion von solchen kommen, die durch Enzymbildung Antibiotika unwirksam machen. Entsprechende Mechanismen sind beispielsweise mobile DNA-Elemente oder extrachromosomale DNA, sogenannte Plasmide. Durch diesen horizontalen Gen-Transfer können Resistenz-Gene leicht von einem zum anderen Bakterium weitergegeben werden. Bakterien können so Resistenz-Gene untereinander austauschen und es kann rasch zu einer starken Vermehrung derjenigen kommen, die die entsprechenden für die Antibiotika-Resistenz verantwortlichen Enzyme bilden. „Antibiotika können Druck auf Bakterienpopulationen ausüben. Wenn man Breitbandantibiotika wie beispielsweise Carbapeneme relativ oft verwendet, wie dies etwa in Indien und Pakistan in manchen Kliniken erfolgt, kann es zur Bildung von Resistenzen kommen“, berichtet Presterl. Die Expertin plädiert daher dafür, dass eine Antibiotika-Therapie gezielt und konsequent zu Ende geführt werden sollte, um Resistenzbildungen zu vermeiden. Ebenso müsse auf die richtige Dosierung geachtet werden, da durch niedrige Konzentrationen die Resistenzbildung von Bakterien gefördert werde.

Häufige multi-resistente Erreger

NDM-1 ist keineswegs das erste Bakterium, das eine Antibiotikaresistenz aufweist. Während NDM-1-Stämme derzeit eher vereinzelt vorkommen oder dies zumindest so publiziert ist, gibt es eine Reihe anderer multiresistenter Erreger, die sehr viel häufiger im klinischen Alltag zu finden sind. Dazu zählen vor allem ESBL(Extended spectrum Betalaktamase)-produzierende Enterobakterien. Diese sind gegen nahezu alle Betalaktam-Antibiotika unwirksam. Carbapeneme sind bei ESBL-positiven Stämmen oft jene Antibiotikagruppe, die dann für eine Therapie zur Verfügung steht. Unter Beobachtung stehen aber auch andere multiresistente Erreger wie beispielsweise MRSA oder multiresistente Tuberkulosestämme (MDR-Tbc).

Beeinflussende Faktoren, die die Entstehung solcher multiresistenter Erreger fördern, sind dabei der zum Teil unkritische Einsatz von Antibiotika und auch deren Verwendung in der Veterinärmedizin. Aber auch die immer größer werdende Mobilität der Menschen führt zu einer wachsenden Ausbreitung solcher Erreger. „Betrachtet man die Daten von Überwachungssystemen wie zum Beispiel des European Antimicrobial Surveillance System, sind in manchen Ländern bereits über 50 Prozent der nachgewiesenen Enterobakterien ESBL-Produzenten!“, ergänzt Univ. Prof. Andrea Grisold vom Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der Medizinischen Universität Graz. Auch Österreich beteiligt sich an solchen Überwachungssystemen; zusätzlich gibt es von vielen mikrobiologischen Labors Jahresberichte, in denen für die jeweiligen Krankenhäuser die lokale Resistenzsituation klar und übersichtlich dargestellt wird.

Multiresistente Erreger können generell immer in einem Krankenhaus auftreten, seien dies nun Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA), ESBL-produzierende Enterobakterien oder aktuell NDM-1-Resistenzgen-tragende Stämme. Für all diese Erreger gibt es in Österreich Krankenhaus-spezifische Hygienerichtlinien. Darin geht es um die Isolierung solcher Patienten in Abhängigkeit von der Lokalisation des nachgewiesenen Erregers, der Grunderkrankung des Patienten beziehungsweise der möglichen Infektionswege. Die Information, ob bei Proben eines Patienten multiresistente Erreger nachgewiesen wurden, erfolgt dabei in enger Kooperation mit den mikrobiologischen Laboren und soll in erster Linie eine Übertragung solcher Erreger auf andere Patienten verhindern.

Nur noch wenige wirksame Antibiotika stehen für die Therapie dieser speziellen NDM-1-produzierenden, multiresistenten Bakterienstämme zur Verfügung. Ein relativ neues Antibiotikum, das noch Wirkung zeigt, ist Tigecyclin, ein älteres Colistin. Allerdings kann es bei der Anwendung von Colistin zu schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Nephrotoxizität und Neurotoxizität kommen. Tigecyclin stellt eine Weiterentwicklung der Tetracycline dar, ist besser verträglich, muss allerdings intravenös verabreicht werden. Auch Fosfomycin könne laut Presterl bezüglich seiner Wirkung gegen NDM-1-Bakterien nach Austestung verwendet werden. Sollte es auch bei diesen Antibiotika zu Resistenzen kommen, können gegebenenfalls von den mikrobiologischen Labors sogenannte Synergie-Testungen verschiedenster Antibiotika durchgeführt und dann individuelle Therapieempfehlungen zusammengestellt werden.

Tests für „Superbakterium“

Es gibt verschiedene Methoden, um eine Infektion mit NDM-1-Bakterienstämmen nachzuweisen. Bei Verdacht werden Resistenz-Testungen von Keimen, die beim Patienten aus Wundabstrichen oder Blutkulturen isoliert werden, durchgeführt. Man kann aber auch den Stuhl „screenen“, wo am ehesten eine Besiedelung mit Enterobakterien vermutet werden kann. Inzwischen gibt es auch molekulargenetische Tests, mit Hilfe derer rasch die jeweiligen Betalaktamasen nachgewiesen werden können.

„Aufgrund der Analysen unseres Instituts wissen wir, dass am LKH Graz bisher drei Patienten mit NDM-1-tragenden Enterobakterien behandelt wurden“, berichtet Grisold. Alle drei wurden innerhalb des letzten Jahres am LKH Graz behandelt; alle wurden aus dem Ausland transferiert oder wiesen eine positive Reise- beziehungsweise Krankenhausanamnese auf. Ein Patient kam von Pakistan zurück, ein weiterer wurde nach Komplikationen bei einer Operation aus dem Kosovo nach Graz transferiert, der dritte wurde nach einem Krankenhausaufenthalt in Indien nach Österreich zurückgeflogen. Zwei der nachgewiesenen NDM-1-positiven Stämme waren Klebsiella pneumoniae-Stämme, einer ein Escherichia coli. Bei allen drei Patienten gab es als therapeutische Option nur noch Colistin und Tigecyclin, wobei bei allen drei Patienten auch andere multiresistente Erreger wie etwa multiresistente (MDR) Acinetobacter-Stämme nachgewiesen werden konnten. Ein Patient wurde gesund entlassen, ein weiterer befindet sich noch immer in stationärer Behandlung, der dritte schließlich wurde bereits kurz nach seiner stationären Aufnahme in Graz in seinen Heimatort in das dortige Krankenhaus transferiert. Die drei betroffenen Patienten wurden wegen der Multiresistenz der bei ihnen nachgewiesenen Erreger isoliert; in keinem der Fälle kam es zur Übertragung der Erreger auf andere Patienten.

NDM-1 tragende Bakterien seien derzeit sicher noch selten; was jedoch im Auge behalten werden müsse, sei die Tatsache, dass multiresistente Erreger generell im Zunehmen seien. Dies gelte auch für den niedergelassenen Bereich, betont Grisold: „Vor allem bei hartnäckigen Infektionen und/oder einer positiven Auslandsanamnese und hier besonders bei der Rückkehr aus Südeuropa oder Ländern Asiens sollte an das Auftreten solcher Stämme gedacht und in jedem Fall eine mikrobiologische Untersuchung durchgeführt werden.“ Die Multiresistenz von Bakterienstämmen bedinge generell meist keine höhere Pathogenität der Stämme, sondern könne im Fall von Infektionen in erster Linie ein therapeutisches Problem darstellen.

Verhinderung der Übertragung

Erhöhte Schutzmaßnahmen, Isolierung des Patienten, vermehrte Händehygiene beziehungsweise Händedesinfektion sowie erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber Patienten mit positiver Reise-Anamnese in ein Land mit einer hohen Antibiotika-Resistenz und bekannter NDM-1-Besiedelung stellen die wichtigsten Maßnahmen zur Verhinderung einer Übertragung der multiresistenten Erreger auf andere dar. Im Krankenhaus ist daher strikte Händehygiene für Personal und die Patienten selbst einzuhalten. Ein Stuhl-Screening bei Verdacht auf eine Infektion und die Information aller in Kontakt stehender Personen sind ebenfalls wichtige Maßnahmen. „Es gilt, nicht nur die Übertragung der NDM-1-Bakterien, sondern generell auch die Selektionierung durch ungezielten Antibiotika-Gebrauch zu verhindern“, so Presterl abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2011