Nächtlicher Wadenkrampf: Überlastungs-Folge

10.04.2011 | Medizin

Nächtliche Wadenkrämpfe können die Folge einer Überlastung sein – vor allem, wenn der durch Schwitzen verursachte Flüssigkeitsverlust nicht ausgeglichen wurde. Aber auch eine Vielzahl von Medikamenten wie etwa Betablocker, Diuretika, Statine etc. oder auch Hormone wie Östrogen kommen als Verursacher in Frage.
Von Irene Mlekusch

Die Pathophysiologie der Muskelkrämpfe ist bis heute nicht ausreichend geklärt zumal die zugrunde liegenden Erkrankungen sehr vielfältig sein können. Eine mit dem Alter zunehmende Sehnenverkürzung und die inadäquate Dehnung der Wadenmuskulatur werden als prädisponierende Faktoren der modernen Gesellschaft diskutiert. Etwa 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung kennen nächtliche Wadenkrämpfe.

Prinzipiell können Menschen jeden Alters darunter leiden. Bei Personen, die älter als 60 Jahre sind, Frauen und Schwangeren in der zweiten Schwangerschaftshälfte kommt es jedoch häufiger zu den schmerzhaften Muskelkrämpfen. Univ. Prof. Josef Zeitlhofer von der Universitätsklinik für Neurologie in Wien betont, dass die Krampi unbedingt von krampfartig geschilderten Myalgien ohne sichtbare Muskelkontraktion unterschieden werden müssen. „Gewöhnliche Muskelkrämpfe treten abrupt auf und führen zu einer sicht- und palpierbaren Kontraktion eines Muskels oder einer Muskelgruppe“, erklärt er. Betroffen sind dabei überwiegend die Wadenmuskulatur und das Fußgewölbe. Die Krampi dauern wenige Sekunden bis einige Minuten und lösen sich dann entweder spontan oder durch passives Strecken. Steifigkeitsgefühl und Schmerzen können noch für mehrere Stunden nach einem Krampf anhalten; die Creatinphosphokinase kann als Muskelenzym, das bei Muskelschädigung freigesetzt wird, ansteigen.

Nächtliche Wadenkrämpfe können die Folge einer Überlastung sein, betont Univ. Prof. Stefan Quasthoff von der Universitätsklinik für Neurologie in Graz, vor allem dann, wenn der Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen nicht ausreichend ausgeglichen wurde. Auch ohne Sport kann ein starker Flüssigkeitsverlust zum Beispiel bei Durchfall oder Erbrechen zu Krämpfen in der Wadenmuskulatur führen. „Diese paraphysiologischen Gelegenheitskrämpfe treten bei an sich Gesunden unter speziellen Bedingungen wie etwa auch der Schwangerschaft auf“, ergänzt Zeitlhofer.

Medikamenteninduzierte Muskelkrämpfe können bei einer Vielzahl von Pharmaka auftreten wie zum Beispiel bei Betablockern, Calciumantagonisten, Diuretika, Statinen, Fibraten, Penicillamin, Insulin oder auch Hormone wie Östrogen und Progesteron.

In den meisten Fällen lässt sich keine Erkrankung oder andere Erklärung für die Muskelkrämpfe finden. Diese idiopathischen Krämpfe stellen den Großteil aller Muskelkrämpfe dar und können entweder sporadisch oder vererbt auftreten. Dazu zählen der Klassifikation von Parisi et al. entsprechend unter anderem das Krampf-Faszikulationssyndrom, das Myokymie-Krampfsyndrom, das Syndrom progressiver Muskelkrämpfe mit Alopezie und Diarrhoe sowie das Myokymie-Hyperhidrose-Syndrom. Quasthoff merkt an, dass die genannten hereditären Muskelkrampfsyndrome extrem selten sind: „In der neuromuskulären Ambulanz unserer Abteilung mit über 2.500 Patienten haben wir trotz eingehender Suche nur zwei betroffene Familien finden können.“ Wie der Experte bedauert, sind diese Erkrankungen kausal nicht behandelbar.

Auch andere Ursachen

Muskelkrämpfe können aber auch ein wichtiges Leitsymptom bei Erkrankungen des peripheren oder zentralen Nervensystems oder bei speziellen Muskelerkrankungen sein. „Symptomatische Muskelkrämpfe können auch unter Hämodialyse auftreten oder sich im Rahmen einer endokrin-metabolischen Erkrankung zeigen“, sagt Zeitlhofer. Kardiovaskuläre Erkrankungen, Hydro-Elektrolytstörungen, psychiatrische Erkrankungen und toxikologische Einflüsse können weitere Ursachen darstellen.

„Bei der Behandlung der nächtlichen Wadenkrämpfe steht zunächst die Suche nach der Ursache und im Anschluss deren Behandlung beziehungsweise das Vermeiden des Auslösers im Vordergrund“, betont Quasthoff. Nächtliche Wadenkrämpfe seien häufig und in aller Regel zwar störend, jedoch eher harmlos. Und weiter: „Wenn die Ursache nicht vom Hausarzt gefunden werden sollte, dann empfehle ich eine Abklärung bei einem Neurologen.“ Beide Experten raten außerdem dazu, prädisponierende Faktoren wie Überanstrengung, massive Hitzeexposition, Alkohol, koffeinhältige Getränke, Nikotin und Schlafmangel sowie unausgeglichenen Flüssigkeitsverlust zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Zeitlhofer legt besonderen Wert auf die Familien- und Medikamentenanamnese sowie das Erheben einer möglichen Provokationssituation. Eine neurologische Untersuchung zum Ausschluss von symptomatisch neurogenen Krämpfen sowie anderen Ursachen schmerzhafter Muskelkontraktionen sollte ebenso erfolgen wie eine entsprechende Blutuntersuchung und im Einzelfall elektromyografische Untersuchungen. Außerdem kann eine Kontrolle der venösen und arteriellen Durchblutung weitere ursächliche Hinweise liefern.

Regelmäßig dehnen

Therapeutisch steht an erster Stelle die Behandlung der Grunderkrankung. Lässt sich keine Ursache für die Muskelkrämpfe finden, so besteht die Behandlung zunächst aus physikalischen Übungen. Die Experten raten in diesen Fällen zu Bein- und Fußgymnastik, Hochlagerung der Beine und einfachen Dehnungsübungen der betroffenen Muskeln. Einige Studien konnten bestätigen, dass regelmäßiges Dehnen der Wadenmuskulatur untertags zu einer Reduktion der nächtlichen Krämpfe führen kann. „Die zur Verfügung stehenden medikamentösen Therapiemaßnahmen sind eher unspezifisch“, bemerkt Zeitlhofer. Quasthoff rät zum nebenwirkungsarmen Versuch mit Magnesiumpräparaten, da besonders in der Schwangerschaft die Wirksamkeit der Magnesiumgabe belegt ist. „Therapeutisch sind Dehnungsübungen vor dem Schlafengehen und Magnesium am wirkungsvollsten“, bestätigt auch Quasthoff. Behandlungsversuche mit Chinin-Präparaten zeigten zwar in Studien zum Teil sehr gute Erfolge; diese Präparate sind aber aufgrund der zahlreichen, mitunter lebensgefährlichen Nebenwirkungen in Österreich nicht mehr erhältlich. Untersuchungen über die therapeutische Wirkung von diversen durchblutungsfördernden Substanzen wie zum Beispiel Naftidrofuryl Oxalat, Calciumkanalblocker, Vitamin E und B, Injektionen mit Lidocain oder Botulinumtoxin sowie einzelne Antiepileptika brachten bisher keine einheitlichen Ergebnisse.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2011