Infektionen mit Listerien: Steigende Tendenz

10.03.2011 | Medizin

Die typischen Symptome einer Listeriose sind schwer zu definieren; bei intaktem Immunsystem kommt es meist nur zu einer Durchfallerkrankung. Einen Nährboden für Listerien stellt der zunehmende Verzehr von sogenannten „ready to eat“-Produkten dar.
Von Irene Mlekusch

Listerien sind in der Umwelt weit verbreitet; für den Menschen ist fast ausschließlich Listeria monocytogenes von pathogener Bedeutung. Die Infektion mit den gram-positiven stäbchenförmigen Bakterien ist zwar selten, kann aber verheerende Folgen haben. „Die Infektion mit Listerien verläuft beim Gesunden häufig ohne Symptome und ist in der Regel selbst limitierend“, erklärt Univ. Prof. Reinhard Würzner vom Department für Hygiene, Mikrobiologie und Sozialmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Als Symptome können Fieber, Durchfall und Erbrechen auftreten, die vor allem bei Risikopatienten wie Schwangeren, über 60-Jährigen, Immunsupprimierten oder Alkoholikern Ernst genommen werden sollten. „Auch wenn typische Symptome schwer zu definieren sind, sollte man an die Möglichkeit einer Listeriose denken“, so Würzner. Univ. Prof. Franz Allerberger, Fachbereichsleiter Humanmedizin bei der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) fügt dem hinzu, dass etwa zehn Prozent der an Listeriose Erkrankten nicht den Risikogruppen entsprechen. Bei intaktem Immunsystem kommt es meist nur zu einer Durchfallerkrankung.

Listeriose tritt im Vergleich zu anderen Durchfallerkrankungen wie Campylobacteriose und Salmonellose (bis zu 7.000 Fälle pro Jahr) selten auf. Von 150 erkrankten Personen der Jahre 1997 bis 2007 wiesen allerdings 131 prädisponierende Faktoren auf. „Trotzdem hat es 2010 vier Todesfälle gegeben“, bedauert Allerberger.

Die systemische Form der Listeriose zeigt sich in Form einer Sepsis oder Meningitis. Vom klinischen Bild her ist die Erkrankung vergleichbar mit einer Staphylokokken- oder E. coli-Sepsis; davon gibt es auch bis zu 6.000 Fälle pro Jahr. Bei älteren Menschen ist das Fieber trotz einer Sepsis oft nicht ausgeprägt. Allerberger merkt im Gespräch mit der ÖÄZ an, dass die Betroffenen ein reduziertes Allgemeinbefinden, Schwäche und Stürze aufweisen. Kulturen aus Liquor und Blut geben hier Aufschluss. Äußerst selten kann es zu einer Rhombenzephalitis kommen. Die ein bis zwei Fälle pro Jahr werden nie rechtzeitig erkannt, da Hirnnervenausfälle oft unspezifisch sind und vor allem beim älteren Menschen meistens mit einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder einem Insult verwechselt werden.

Veränderte Inzidenz

In den vergangenen Jahren wurden Infektionen mit Listerien in verschiedenen europäischen Ländern zunehmend registriert. Die Häufigkeit der Listeriose liegt in Österreich mit einer Inzidenz von 0,56 Fällen pro 100.000 Einwohner über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Die Gründe für die Veränderung der Inzidenz sind nicht geklärt. „Eine Hypothese ist die zunehmende Verschreibung von Protonenpumpenhemmern“, sagt Allerberger. Und weiter: „Die Alterung der Bevölkerung alleine kann es nicht sein.“ Der reduzierte Kochsalzgehalt vieler Speisen sowie der zunehmende Verzehr sogenannter „ready to eat“-Produkte stellen einen günstigen Nährboden für Listerien dar. Diese vermehren sich auch im Kühlschrank; beim Kochen werden sie aber abgetötet. Trotzdem können sich auch in pasteurisierten Lebensmitteln Listerien befinden. Da Listerien Umweltkeime sind, erfolgt die Kontaminierung der zum Teil sogar pasteurisierten Lebensmittel durch das Umfeld. Selten ist auch eine Übertragung von Tier auf Mensch möglich zum Beispiel bei der Mastitis einer Kuh. „Ein einzelner Ausbruch gibt noch keine Auskunft über die generelle Situation, nur der Anstieg der Todesfälle zählt“, ergänzt Würzner und fügt dem hinzu, dass humane Stuhlausscheider eher selten sind (nur bei ein bis fünf Prozent finden sich Listerien vorübergehend im Stuhl) und auch bei der Pflege von erkrankten Angehörigen ist in der Regel nicht mit einer Ansteckung zu rechnen.

„Bei sporadischer Listeriose ist die Frage nach dem ursächlichen Nahrungsmittel in der Praxis meist nicht beantwortbar“, weiß Allerberger. Bei jungen Patienten reicht eine Stuhlprobe aus, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass routinemäßig nicht auf Listerien untersucht wird. Der serologische Antikörper-Nachweis ist nicht zielführend, denn jeder Mensch kann Antikörper gegen Listerien in sich haben. Markant ist nur ein vierfacher Titeranstieg innerhalb von drei Wochen, wie man es bei der Rhombenzephalitis sieht. Der Experte rät aber bei Verdacht auf lebensmittelinduzierte Listeriose, die Angehörigen aufzufordern, nach möglichen Quellen unter den Lebensmittelresten zu suchen und diese einzusenden. „Die Fokussuche zur Abklärung, woher die Listerien kommen, ist regelrechte Detektivarbeit. Zum Teil werden sogar die Einkaufszettel der Patienten durchsucht“, weiß Würzner. Allerberger bestätigt: „Diese Information soll die Quelle klären und weitere Infektionen verhindern.“ „Eine höhere Listerienkeimzahl findet sich häufiger in Räucherlachs, Milchprodukten, Käse und Aufschnitten. Gerade französischer Ziegenkäse kann stärker belastet sein. Abgelaufene Produkte sollten entsorgt werden, denn Listerien können sich auch im Kühlschrank vermehren“, sagt Würzner.

Gesunde Erwachsene haben gegen eine gewisse Keimzahl von Listerien eine natürliche Immunität. Die für eine Infektion tatsächlich erforderliche Keimzahl ist nicht bekannt. Empfindliche Produkte wie Weichkäse müssen in der Fabrik vor der Auslieferung keimfrei sein. Je näher das Kaufdatum beim Ablaufdatum liegt, umso höher kann die Listerien-Keimzahl werden – wobei im Handel bis zu 100 Keime pro Gramm Lebensmittel zulässig sind. Für bestimmte Produkte wie beispielsweise Säuglingsnahrung gilt jedoch generell eine Nulltoleranz.

Schwangerschaft: Sekt oder Lachs?

Eine direkte Form der Übertragung der Bakterien findet im Rahmen der Schwangeren-Listeriose statt. Dabei infiziert die Mutter, die unter Umständen selbst kaum Symptome zeigt, ihr Kind in utero oder während der Geburt. Die perinatale Listeriose kann zu Abort, Totgeburt, Granulomatosis infantiseptica, Meningitis oder Sepsis beim Neugeborenen führen. Bis zu einem Drittel der in utero infizierten Babys sind nicht lebensfähig; andererseits ist die Prognose für lebend geborene infizierte Babys gut. Der Großteil der maternalen Infektionen findet im dritten Trimester statt, da hier die T-Zellimmunität am meisten herabgesetzt ist. Zehn bis 20 Prozent der klinischen Listeriose-Fälle betreffen schwangere Frauen. Allerberger rechnet nach: „Auf etwa 80.000 Schwangerschaften in Österreich kommen circa drei Fälle von Schwangerschaftslisteriose.“ Würzner bringt die Sache folgendermaßen auf den Punkt: „Für Schwangere ist es ungefährlicher, auf einer Party ein Gläschen Sekt zu trinken, als Lachs zu essen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2011