Alternative Therapie nach Klappenersatz: Protektion durch Clopidogrel

10.03.2011 | Medizin

Hochpotente Thrombozytenaggregationshemmer wie Clopidogrel zeigen in der frühen postoperativen Phase nach Aortenklappenersatz dieselben protektiven Eigenschaften wie die bislang übliche Therapie mit Coumarin-Derivaten, wie die Ergebnisse einer Studie am Krankenhaus Wien Hietzing belegen.
Von Corina Petschacher

Patienten, die aufgrund einer Erkrankung der Aortenklappe, bei der es sich meist um Klappenstenosen und massive Klappenverkalkungen, aber auch um Klappeninsuffizienzen verschiedener Ursachen handelt, einen Aortenklappenersatz benötigen, sind meist auf eine lebenslange antikoagulative Therapie zur Senkung des postoperativen Risikos angewiesen. Dabei entscheidet die Art des Klappenersatzmaterials über die Dauer der Einnahme der Blutverdünner sowie darüber, welche Medikamente zum Einsatz kommen. Zur Auswahl stehen einerseits mechanische Klappen, die eine lange Haltbarkeit aufweisen und deshalb bevorzugt bei jüngeren Patienten Verwendung finden. Ihr Einsatz ist allerdings aufgrund der erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Klappenthrombose an eine lebenslange Antikoagulation mittels Coumarin-Derivaten gebunden. Biologische Klappen, die meist aus dem Perikard von Kälbern gewonnen werden oder aber Herzklappen sind, die einem Schwein entnommen werden, haben den Vorteil, dass nach einer dreimonatigen postoperativen Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten auf eine Therapie mit niedrig dosiertem Aspirin gewechselt werden kann, ohne mit einem erhöhten Risiko für eine erneute Klappenthrombose rechnen zu müssen.

Voraussetzung für eine Therapieumstellung ist ein bestehender Sinusrhythmus des Herzens. Da die „Lebenserwartung“ einer biologischen Klappe allerdings zehn bis maximal 20 Jahre beträgt, werden diese bevorzugt bei älteren Patienten eingesetzt. Nach operativem Aortenklappenersatz besteht immer das Risiko einer Klappenthrombose oder arteriellen Thromboembolie, die zu einem Schlaganfall führen kann. Um das Risiko der Patienten zu minimieren, wird deshalb nach einer Klappenersatz-OP immer eine antikoagulative Therapie eingeleitet. Die derzeitige internationale Standard-Therapie nach Aortenklappenersatz, die auf Empfehlungen kardiologischer Gesellschaften, wie der European Society of Cardiology (ESC) oder der American Heart Association (AHA), beruht, besteht in einer dreimonatigen postoperativen Antikoagulation mittels Coumarin-Derivaten (Marcoumar, Warfarin, Coumadin), wobei ein INR zwischen zwei und drei angestrebt wird. Darauf folgt – nach Einstellung eines Sinusrhythmus – die lebenslange Therapie mit der Minimaldosis von 100mg Aspirin/Tag, wenn der Patient einen biologischen Klappenersatz erhielt. Bei mechanischen Klappen wird eine lebenslange Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten empfohlen.

Alternative zu Coumarinen

Waren bis jetzt Coumarin-Derivate die Therapie der ersten Wahl und die einzig denkbare Option zur Risikominimierung nach Aortenklappenersatz, werden in den letzten Jahren immer mehr Stimmen laut, die Überlegungen zu alternativen Therapieformen anstellen. So auch in Wien, wo im Krankenhaus Hietzing eine Studie die protektive Wirkung von Clopidogrel nach biologischem Aortenklappenersatz untersucht und bestätigt hat.

Die Studie, an der 115 Patienten in der Studiengruppe sowie 277 Patienten in der Kontrollgruppe teilnahmen, wurde an der Abteilung für Chirurgie, Herzchirurgie und Gefäßchirurgie des Krankenhauses Hietzing unter der Leitung von Peter Poslussny durchgeführt. Verglichen wurde dabei die Wirkung des Thrombozytenaggregationshemmers Clopidogrel(Plavix) mit der Wirkung von Warfarin, dem bisherhigen Standardpräparat nach Aortenklappenersatz. Über drei Monate hindurch wurde von der Studiengruppe anstelle der Standardtherapie eine Dosis von 75 mg Plavix pro Tag eingenommen und die 115 teilnehmenden Patienten hinsichtlich des Auftretens von Rethrombosierungen, Blutungen und neurologischen Ereignissen beobachtet. Das mit Plavix behandelte Patientenkollektiv, das aus 47 Männern und 68 Frauen in einem durchschnittlichen Alter von 76 Jahren bestand, wurde dabei mit einer aus 277 Patienten bestehenden Kontrollgruppe (166 Männer, 111 Frauen, Durchschnittsalter 72), die die Standardtherapie erhielt, verglichen. Sowohl die Studien- als auch die Kontrollgruppe erhielt in den ersten vier postoperativen Tagen eine subkutane Antikoagulation mittels Lovenox. Am fünften Tag wurde auf das jeweilige Medikament umgestellt. Bei allen Patienten wurde kurz vor ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus und nach der dreimonatigen Therapie eine Herzechographie durchgeführt.

Clopidogrel, das normalerweise zur Antikoagulation nach Einlage von Koronararterienstents oder nach rezidivierenden Schlaganfällen zum Einsatz kommt, zeigte auch hier eine erstaunlich gute Wirksamkeit. Während der gesamten Studiendauer traten keinerlei thromboembolische Komplikationen oder neurologische Störungen sowie Blutungen bei Patienten der Studiengruppe auf. Die Klappenfunktion der Patienten war regulär. Lediglich ein Patient musste aufgrund einer Endokarditis neuerlich operiert werden und verstarb. Im Vergleich dazu kam es in der Kontrollgruppe, die die Standardtherapie erhielt, in zwei Fällen zu intrazerebralen Blutungen. Beide Patienten waren in fortgeschrittenem Lebensalter und verstarben infolge daran.

Therapie noch sicherer?

Die im Krankenhaus Hietzing durchgeführte Studie zeigt durchwegs positive Ergebnisse, was den Einsatz von Clopidogrel als Alternative zur herkömmlichen Therapie nach Aortenklappenersatz mit biologischen Klappen betrifft. Und noch mehr: Clopidogrel stellt nicht nur eine wirksame Therapiealternative zur Antikoagulation nach Klappenersatz dar, sie ist möglicherweise sogar sicherer, wie Poslussny erklärt: „Die Therapie mit Coumarin-Derivaten schützt den Patienten zwar in einem gewissen Ausmaß vor Rethrombosierungen. Die Gefahr von massiven Blutungen, die unter einer solchen Antikoagulation auftreten können, darf allerdings nicht unterschätzt werden.“ So zeigen sich Patienten unter Coumarin-Therapie mit harmlosen Blutungsvarianten wie etwa Nasenbluten; aber auch solche mit massiven Blutungen im Magen-Darm-Trakt kommen vor bis hin zu Patienten, die eine mitunter tödlich ausgehende Hirnblutung aufweisen.

Manche Wissenschaftler und Ärzte gehen sogar soweit und diskutieren den generellen Nutzen der antikoagulativen Therapie nach Klappenersatz. Studien dazu sind noch im Gange. Poslussny: „Soweit würde ich nach momentanem Standpunkt der Dinge noch nicht gehen. In manchen Fällen ist eine Antikoagulierung lebensnotwendig. Das Risiko einer thrombotischen Ablagerung besteht nach Klappenersatz immer. Mit dem Einsatz von Clopidogrel haben wir aber meiner Meinung nach eine exzellente Alternativtherapie gefunden, von der auch besonders ältere Patienten profitieren können.“

Bessere Compliance

Die Einnahme einer 75mg Tablette Plavix pro Tag stelle im Vergleich zur Dosis der bisherigen Standardtherapie, bei der drei- bis viermal täglich unterschiedliche Dosierungen des gleichen Medikaments eingenommen werden müssen, eine enorme Erleichterung für die Patienten dar und erhöhe so gleichzeitig deren Compliance. Es könne so auch nicht mehr so leicht zu Fehldosierungen und somit einer Erhöhung der Blutungswahrscheinlichkeit durch den Patienten selbst kommen, so der Experte. Ein weiterer Vorteil von Clopidogrel sei außerdem, dass die ständigen Labor-Kontrolluntersuchungen, die unter Coumarintherapie im Durchschnitt alle drei Wochen zur Bestimmung des INR durchgeführt werden müssen, wegfallen. „All diese Punkte sollten bei der medikamentösen Antikoagulation nach Aortenklappenersatz überdacht werden. Clopidogrel führt unseren Studienergebnisse zufolge zu einer Reduktion der Nebenwirkungen durch Blutverdünnung bei gleicher Wirkung wie unter der Standardtherapie und kann zu einer massiven Erhöhung der Lebensqualität der betroffenen Patienten beitragen“, so Poslussny abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2011