Kindliches Rheuma: Ähnlich und doch anders

10.03.2011 | Medizin

Da das klinische Bild der juvenilen idiopathischen Arthritis sehr vielgestaltig ist, bedarf es bei der Erstdiagnose besonderer Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu Erwachsenen sieht man bei Kindern nur selten eine Rötung der betroffenen Gelenke.
Von Irene Mlekusch

In Österreich leidet etwa eines von 1.000 Kindern unter 16 Jahren an juveniler idiopathischer Arthritis (JIA), wobei die jährliche Inzidenz circa acht Fälle pro 100.000 Kinder entspricht. „Das ergibt für Österreich etwa 1.300 Kinder mit Rheuma“, erklärt Univ. Doz. Christian Huemer, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Landeskrankenhaus Bregenz. Univ. Prof. Wolfgang Emminger, Leiter der Rheumatologischen Ambulanz an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Wiener AKH ergänzt: „Bei einer persistierenden Gelenksentzündung im Kindesalter, die länger als sechs Wochen anhält, sollte man nach Ausschluss anderer Ursachen in jedem Fall an Rheuma denken.“ Liegen die Beschwerden bereits mehr als drei Monate vor, kann man sich der Diagnose fast sicher sein, da eine reaktive Arthritis basierend auf einer vorangegangenen Infektion der oberen Atemwege oder des Gastrointestinal-Traktes nach einer so langen Zeit unwahrscheinlich erscheint. Die konkrete Einteilung der juvenilen idiopathischen Arthritis in die verschiedenen Subtypen ist allerdings erst nach einem Beobachtungszeitraum von sechs Monaten möglich.

Eine Arthritis äußert sich im Kindesalter durch Schmerzen, Schwellung, Bewegungseinschränkung und Überwärmung. „Eine Rötung der betroffenen Gelenke sieht man bei Kindern mit dieser chronischen Gelenksentzündung fast nie“, meint Emminger und gibt zu bedenken, dass die Schmerzäußerungen vor allem bei kleinen Kindern oft nonverbal sind. Die Kinder schlafen unruhig, wollen getragen werden, sind nur begrenzt belastbar und können rasch gelenksspezifische Schonhaltungen einnehmen; Funktionseinschränkungen und Ausweichbewegungen sind die weiteren Folgen. Als erste Untersuchungen empfiehlt er ein Blutbild mit Differentialblutbild inklusive Blutsenkungsgeschwindigkeit sowie die Untersuchung eines Harnstreifens. Huemer ergänzt dies mit Leberfunktionsparameter, CRP, LDH, BUN, Kreatinin und Bestimmung der Harnsäure. Anamnestisch sollte geklärt werden, ob das Kind in der letzten Zeit an einer Infektion gelitten hat. Ist das der Fall, lassen sich mit gezielten serologischen Untersuchungen eventuell noch Antikörper nachweisen. Huemer erwartet sich bei einem Infektionshinweis zusätzliche Informationen aus Kulturbefunden sowie bei einer spezifischen Anamnese und Klinik aus ASLO, Strepto-DNAse-B und Rachenabstrich. Vor allem eine Infektion mit Borrelien kann die Ursache für lang andauernde Gelenksentzündungen sein.

Für die weitere Diagnostik ist es essentiell, zu erheben, wie viele und welche Gelenke betroffen sind und ob die Arthritis symmetrisch oder asymmetrisch vorliegt. Ein orientierender Ultraschall der betroffenen Gelenke zeigt meist eine Hyperplasie der Synovia und/oder einen Erguss. Die Röntgenuntersuchung dient in erster Linie dem Ausschluss von Differentialdiagnosen wie zum Beispiel Osteochondrodysplasien. Die MRT dagegen ist in der Lage, Knorpelschäden, Knochenmarksödeme und die synoviale Inflammation aufzuzeigen. „Bereits zwei Jahre nach der Diagnose können sich Erosionen und Knochenabbau in den Bildgebungen bemerkbar machen“, weiß Emminger und schreibt dies vor allem dem späten Therapiebeginn zu.

Jüngere Kinder unter sieben bis acht Jahren weisen meist ein bis vier arthritische Gelenke auf, wobei die großen Gelenke wie Knie- und Sprunggelenk asymmetrisch befallen sind. Mädchen sind von diesem Typ der juvenilen idiopathischen Arthritis häufiger betroffen; bei mehr als der Hälfte dieser Kinder liegen positive antinukleäre Antikörper vor. Bei älteren Kindern wiederum tritt eher eine symmetrische Polyarthritis mit fünf und mehr betroffenen, eher kleinen Gelenken auf. Der Rheumafaktor ist nur bei ungefähr fünf Prozent aller Patienten mit einer juvenilen idiopathischen Arthrose positiv und hat daher im Kindesalter eher prognostischen als diagnostischen Wert; oft ist er unspezifisch im Rahmen von Infektionen erhöht.

Werden antinukleäre Antikörper und der Rheumafaktor bei einer Polyarthritis erhoben, so sind diese Ergebnisse in jedem Fall nach drei Monaten zu wiederholen. „Oft ist das kindliche Rheuma ein Zufallsbefund nach einem Sturz“, sagt Emminger und macht darauf aufmerksam, dass jedes vierte Kind mit einer frühkindlichen juvenilen idiopathischen Arthritis an einer Uveitis erkrankt. Wird die Uveitis erst über eine Fehlsichtigkeit entdeckt, führt sie zu 80 Prozent beinahe zur kompletten Erblindung. Bei Verdacht auf eine juvenile idiopathische Arthritis sollten vor allem Kinder unter sieben Jahren in den ersten zwei Jahren alle sechs Wochen zur Spaltlampenuntersuchung zum Facharzt für Augenheilkunde gehen. Huemer bekräftigt dies: Alle Kinder mit Verdacht auf eine juvenile idiopathische Arthritis – speziell bei Oligoarthritis und positiven antinukleären Antikörpern – sollen so rasch wie möglich mit Hilfe einer Spaltlampe untersucht werden. Generell weisen Kinder, die zuerst an einer Uveitis und dann an Rheuma erkranken, eine schlechtere Prognose auf.

Eine systemische Beteiligung ist im Rahmen der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis – früher als Morbus Still bekannt – möglich. Auffällig ist lang andauerndes Fieber mit Entzündungszeichen wie bei einer Sepsis; bereits zu Beginn oder aber nachfolgend tritt eine Arthritis der großen und/oder kleinen Gelenke auf. Exantheme können flüchtig oder persistierend sein. Zusätzlich können sich Lymphknotenvergrößerungen, Serositis, Hepatosplenomegalie und ausgeprägte Entzündungszeichen finden.

Sonderform: Psoriasis-Arthritis

Eine Sonderform der juvenilen idiopathischen Arthritis stellt die juvenile Psoriasis-Arthritis dar. Dabei steht die Arthritis im Vordergrund und kann zunächst gänzlich ohne Psoriasis in Erscheinung treten. Meist folgt die Hauterkrankung der Arthritis innerhalb von 15 Jahren nach oder die Gelenksentzündung steht in direktem zeitlichen Zusammenhang mit einer positiven Familienanamnese für Psoriasis, Tüpfelnägel oder einer Daktylitis.

Egal um welche Form der juvenilen idiopathischen Arthritis es sich handelt, ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn wirkt sich positiv auf die weitere Prognose aus. „Dank der modernen Rheumatherapie sind fast 80 Prozent der betroffenen Kinder später im Erwachsenenalter in der Lage, fast komplett berufstätig zu sein“, freut sich Emminger und merkt an, dass diese positiven Daten erst durch die verbesserten Therapiestrategien der letzten Jahre nachgewiesen werden konnten. Beide Experten empfehlen daher in jedem Fall entsprechend dem Stufenkonzept bei Verdacht auf juvenile idiopathische Arthritis immer den sofortigen Einsatz von NSAR in Form von Naproxen, Ibuprofen oder eventuell Diclofenac zwei bis drei Mal täglich. Emminger: „Wesentlich ist die kontinuierliche und regelmäßige Verabreichung der NSAR und die Überweisung in eine Spezialambulanz für Kinderrheumatologie wie man sie an den Universitätskinderkliniken Wien, Graz und Innsbruck, sowie in Wien dem SMZ-Ost und dem Preyer´schen Kinderspital und in Linz, Salzburg, Bregenz und Klagenfurt in den entsprechenden Kinderkliniken findet.“ Zusätzlich ist die Anwendung von Cool packs sehr hilfreich. Auch das Führen eines Schmerzkalenders kann die Diagnose und das Ansprechen auf die Therapie erleichtern.

Basistherapie: gute Ansprechraten

Das Einleiten der Basistherapie mit niedrig dosiertem Methotrexat und intraartikuläre Steroidinjektionen sollten den Spezialisten vorbehalten bleiben. Da sich die Wirkung von Methotrexat erst nach drei bis vier Wochen entfaltet, kann eine zusätzliche Einstiegstherapie mit niedrig dosiertem Kortison notwendig sein. „80 von 100 Kindern sprechen sehr gut auf Methotrexat an“, stellt Emminger fest. In niedriger Dosis treten nur selten Nebenwirkungen wie erhöhte Leberwerte oder Blutbildveränderungen auf. Kinder, die jünger als zehn Jahre sind, benötigen fast nie einen zusätzlichen Protonenpumpenhemmer. Bei über Zehnjährigen kommt es in etwa zehn Prozent der Fälle zu gastrointestinalen Unverträglichkeiten. Stellt sich diese Unverträglichkeit nicht ein oder kommt es nach zwölf Wochen zu keiner adäquaten Besserung der Gelenksbeschwerden unter Methotrexat, werden als dritte Behandlungsstufe Biologicals und Zytokinantagonisten eingesetzt. Huemer dazu: „Seit der Einführung der Biologicals besteht auch in der pädiatrischen Rheumatologie eine signifikant verbesserte Chance, anhaltend Remission zu erzielen.“ Vor allem der TNF-Inhibitor Etanercept wird verordnet, da er als einziges Biological bereits für sehr kleine Kinder ab vier Jahren zugelassen ist und mit diesem TNF-Inhibitor die meiste Erfahrung im Kindesalter vorliegt. Emminger verweist auf neue Alternativen: „Zugelassen wurden mit Abatacept ein zweiter Signalübertragungshemmer ab sechs Jahren, der intravenös verabreicht wird und der ab dem Jugendlichenalter subkutan verabreichbare TNF-Antikörper Adalimumab. Vielversprechend in der Therapie der systemischen JIA erscheinen die Verabreichung von IL1-Rezeptorantagonist Anakinra und von IL1-Antikörpern subkutan, sowie IL6-Antikörpern intravenös, alle jedoch außerhalb der Zulassung.“

Die Behandlung von Kindern, die an Rheuma leiden, ist interdisziplinär zu gestalten. Da als oberstes Ziel die Funktionserhaltung und ein normales Wachstum gelten, sind eine ergänzende Physio- und Ergotherapie unerlässlich. Zusätzlich kann eine Ernährungsumstellung mit Senkung der Zufuhr von Arachnidonsäure und Zufuhr antiinflammatorischer Substanzen einen positiven Einfluss auf die Schmerzempfindung bei einer bestimmten Subgruppe von Patienten haben. Durch diese diätische Maßnahme kann eventuell NSAR eingespart werden. Zusätzlich kann versucht werden, mit Pflanzen- und Lachsöl oder Antioxidantien wie Vitamin E und C einen antiinflammatorischen Effekt zu erzielen. In jedem Fall sollte eine altersentsprechende Calciumzufuhr angestrebt werden.

„In der Entzündungsruhe ist den betroffenen Kindern Sport erlaubt, sie dürfen sogar Schi fahren“, meint Emminger und wünscht sich für die Kinder in der Schule eine Möglichkeit zur sportlichen Betätigung und zum Handarbeitsunterricht ohne Notenstress. Er betont außerdem, dass alle Kinder mit einer juvenilen idiopathischen Arthritis die regulären Impfungen erhalten müssen. Lediglich bei Lebendimpfungen sei laut Emminger eine Rücksprache mit dem behandelnden Kinder-Rheumatologen wünschenswert. Das Längenwachstum wirkt sich bei Kindern mit juveniler idiopathischer Arthritis vorteilhaft aus; Tag- und Nachtschienen helfen dabei, die Funktionalität zu erhöhen und Fehlstellungen zu korrigieren oder zu vermeiden. Positiv bewertet Emminger die Tatsache, dass heute viele Patienten mit juveniler idiopathischer Arthritis nach Wachstumsabschluss keine Defektoperationen benötigen und noch dazu das funktionelle Ergebnis generell besser als früher ist.

Wichtigste Differentialdiagnosen bei Erstvorstellung

Akut

Entzündlicher Prozess (Osteomyelitis, septische Arthritis)

Maligner Prozess

Solider Tumor, Leukämie, Lymphom

Trauma/Gelenksblutung

Nicht-entzündliche Erkrankung

Aseptische Nekrose

Bei Verdacht auf septische Arthritis sofortige Gelenkspunktion indiziert

Quelle: Univ. Doz. Dr. C. Huemer für die Österreichische Arbeitsgruppe Pädiatrische Rheumatologie 2004

Anamnese bei Arthritis im Kindesalter

Zeitpunkt des Beginnes und Dauer
der Gelenksbeschwerden

Schmerzcharakter und -tagesverlauf

Bewegungseinschränkung morgens

Arthralgien oder Arthritis

Vorangegangene Infektionen oder Verletzungen

Zum Beispiel Infekte der oberen Atemwege, HWI, Enteritis, Fieber, Zeckenstich…

Andere Krankheitszeichen außer Arthritis

Fieber, Exantheme, spezifische Organsymptome, Visusprobleme

Familienanamnese

Rheumatoide Arthritis, M. Bechterew, Psoriasis, IBD

Quelle: Univ. Doz. Dr. C. Huemer für die Österreichische Arbeitsgruppe Pädiatrische Rheumatologie 2004

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2011