Interview – Univ. Prof. Thomas Klausberger: Was geschieht beim Denken?

10.11.2011 | Medizin

Was passiert im Gehirn rein biologisch während eines kognitiven Prozesses? Dies ist laut Univ. Prof. Thomas Klausberger, Leiter der Abteilung für kognitive Neurobiologie am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien, die Kernfrage seines Fachgebiets, wie er im Gespräch mit Corina Petschacher erklärt.


ÖÄZ: Was genau versteht man unter dem Fachgebiet kognitive Neurobiologie?

Klausberger: Die Idee, die hinter der kognitiven Neurobiologie steckt, ist kognitive Prozesse zu untersuchen, zu verstehen, wie komplexe Vorgänge, wie Lernen, unser Gedächtnis und das Treffen von Entscheidungen auf zellulärer Ebene funktionieren. Unser Augenmerk ist darauf gerichtet, welchen Zellen welche Aufgabe bei diesen Prozessen zukommt und wie sie miteinander interagieren. Die Kernfrage unseres Fachgebiets lautet: ‚Was passiert in unserem Gehirn rein biologisch während eines kognitiven Prozesses?’

Woran forschen Sie momentan konkret?

Der Aufbau des Gehirns auf zellulärer Ebene ist noch immer weitgehend unklar. Wir beschäftigen uns speziell mit dem cerebralen Cortex, der für viele Arten von Kognition verantwortlich ist. Bis heute wissen wir noch immer nicht genau, welche und wie viele verschiedene Nervenzellen es dort gibt und welche Aufgaben sie erfüllen. Es wurden Nervenzellen entdeckt, die Informationen kodieren und andere, die eine Art ‚Ampel’ im Verkehr der Informationen darstellen und entscheiden, in welche Richtung der Informationsfluss geht und wann welche Informationen zusammengefügt werden. Diese Neurone geben so den Arbeitsrhythmus des Gehirns bei kognitiven Prozessen vor. Momentan untersuchen wir, wie die verschiedenen Typen von Neuronen während ganz einfacher kognitiver Tasks funktionieren, wie sie miteinander in Raum und Zeit und auf molekularer Ebene interagieren. Zur Darstellung dieser Prozesse verwenden wir eine Vielzahl von unterschiedlichen Methoden, angefangen bei der Elektrophysiologie, mit deren Hilfe die Aktivität der Nervenzellen gemessen werden kann, bis hin zur Histologie, bei der die Nervenzellen und ihre Fortsätze und Verbindungen im Mikroskop sichtbar werden. Aber auch Computeranalysen kommen zum Einsatz, mit denen versucht wird, die verschiedenen Aspekte zusammenzufügen.

Welche Ergebnisse konnten Sie in der Vergangenheit mit Ihrer Forschung erzielen?
Bisher wurden die Nervenzellen des Gehirns hauptsächlich auf der Basis von histologischen Erkenntnissen klassifiziert. Wir konnten in den letzten zehn Jahren nachweisen, dass die Nervenzellen, die aufgrund histologischer Merkmale ein und derselben Kategorie zugeordnet werden, im arbeitenden Gehirn auch dieselben Funktionen haben. So sind beispielsweise Pyramidenzellen für die Verarbeitung von Informationen zuständig. Daneben gibt es zahlreiche, verschiedene Interneurone, die dafür verantwortlich sind, dass ein Arbeitsrhythmus im Gehirn entsteht. Die verschiedenen Interneurone übernehmen dabei unterschiedliche Aufgaben, die wir zum Teil bereits entschlüsseln konnten. Ein ganz spezielles Interneuron, die sogenannte axo-axonale Zelle, stellt synaptische Verbindungen zu den Pyramidenzellen nur über den sogenannten Axonhügel her. Dieser stellt einen Teil der Nervenzelle dar, der entscheidend dafür ist, ob die Zelle aktiv wird oder nicht. Daher übt dieses Interneuron eine ganz genaue Kontrolle über die Pyramidenzellen aus. Wir konnten zeigen, dass sie dafür verantwortlich sind, dass spezielle Rhythmen, wie der Theta-Rhythmus über diese axo-axonische Zelle auf die Pyramidenzellen übertragen werden.

Welche Schnittstellen gibt es zwischen Ihrer Forschung und der Klinik?
Wir betreiben Grundlagenforschung. Unsere Ergebnisse werden in Zukunft sehr relevant für die Klinik sein, auch wenn sich unsere Forschung momentan noch in den Anfängen befindet. Wir arbeiten häufig mit Klinikern zusammen, tauschen Informationen mit Neurologen, Psychiatern und Psychoanalytikern aus. Im Moment ist unsere Forschung zwar noch weit davon entfernt, in einer klinischen Studie Anwendung zu finden, aber langfristig gesehen, werden die Erkenntnisse, die wir mit Hilfe der kognitiven Neurobiologie erlangen, gerade bei neurologischen Erkrankungen, bei denen man heute oft in therapeutischer Sicht an gewisse Grenzen geraten ist, sehr wichtig werden. Wenn zugrunde liegende Mechanismen nicht verstanden werden, versteht man auch nicht, was im Gehirn bei Erkrankungen wie der Schizophrenie, Depressionen oder Alzheimer genau schief läuft. Die zellulären Hintergründe aufzudecken und so mögliche Fehlfunktionen des Gehirns auf zellulärer Ebene aufzudecken, ist ein spannendes, Zukunfts-orientiertes Feld der kognitiven Neurobiologie. Die bereits erwähnten axo-axonischen Zellen zum Beispiel stehen in Verdacht, eine ganz entscheidende Rolle bei der Schizophrenie zu spielen.

Auf welche inhaltlichen Schwerpunkte haben Sie sich bei Ihrer Antrittsvorlesung, die Sie kürzlich gehalten haben, konzentriert?
Mein Vortrag hat sich mit dem Thema befasst, welche Herausforderungen auf die kognitive Neurobiologie zukommen, stellt sie doch den Versuch einer Verbindung zweier Wissenschaften, die unabhängig voneinander sehr erfolgreich sind, dar. Sie will Ergebnisse der molekularen, zellulären Biologie mit denen der Psychologie, die seit Jahrhunderten versucht zu erklären, wie gewisse Prozesse im Gehirn ablaufen, miteinander verknüpfen.

Welche Ziele haben Sie für die Zeit?
In den nächsten fünf bis zehn Jahren möchte ich mich auf die Wissenschaft konzentrieren. Ich möchte versuchen, festzustellen, wie ein paar ganz definierte Typen von Nervenzellen während eines Lernprozesses und beim Treffen von einfachen Entscheidungen arbeiten. Mein langfristiges Ziel besteht darin, zu versuchen, einen kognitiven Prozess, wie das Treffen einer einfachen Entscheidung mit Hilfe einer Matrix darzustellen – einer Matrix von Nervenzellen, wie sie in Raum, Zeit und auf molekularer Ebene interagieren, um den Prozess einer Entscheidung im Gehirn zu generieren.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 15.12.2011