Erworbene Hemmkörper-Hämophilie: Auto-AK gegen Gerinnungsfaktoren

15.12.2011 | Medizin

Wenn es bei bis dato unauffälligen Patienten plötzlich zu einer ausgeprägten Blutungsneigung kommt, kann es sich um eine erworbene Hemmkörper-Hämophilie handeln; eine seltene, aber potentiell lebensgefährliche Erkrankung beim geriatrischen Patienten.
Von Agnes Födinger und Michael Fridrik*

Die erworbene Hemmkörper-Hämophilie ist eine seltene Gerinnungsstörung mit plötzlichem Auftreten einer ausgeprägten Blutungsneigung, die in bis zu 22 Prozent der Fälle tödlich enden. Ursächlich ist eine Autoantikörper-Bildung gegen Gerinnungsfaktoren (am häufigsten gegen Faktor VIII). Aufgrund der oft plötzlich und unerwartet auftretenden Blutungskomplikationen werden Patienten mit erworbener Hemmkörper-Hämophilie häufig von Ärzten ohne hämostaseologische Spezialkenntnisse behandelt. Die Seltenheit dieser Erkrankung (Inzidenz rund 1,5 auf eine Million Einwohner pro Jahr) bedingt, dass ein Arzt während seiner beruflichen Laufbahn kaum Erfahrung mit dieser Erkrankung sammeln kann. Dies führt in der Praxis oft zu Fehldiagnosen oder zu einem verzögerten Therapiebeginn.

Mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind über 60 Jahre alt. Ein weiterer Häufigkeitsgipfel der Erkrankung liegt zwischen 20 und 40 Jahren; es sind vor allem Frauen post partum betroffen. Bei mehr als 50 Prozent der erworbenen Hemmkörper-Hämophilien handelt es sich um eine idiopathische Form, ansonsten zeigt sich eine Assoziation der erworbenen Hemmkörper-Hämophilie vor allem mit Autoimmunerkrankungen, Malignomen und Schwangerschaft (postpartal).

Das klinische Bild ist durch spontane, flächenhafte subkutane Blutungen (81 Prozent der Blutungen) im Bereich von Stamm und Extremitäten, Muskeleinblutungen (45 Prozent), intraabdominelle/gastrointestinale (23 Prozent) sowie urogenitale, retroperitoneale oder thorakale Blutungen (neun Prozent) charakterisiert. Bei Patienten mit einer spontan aufgetretenen Blutung und/oder verlängerter aPTT bei normaler PTT sollte eine Abklärung bezüglich einer erworbenen Hemmkörper-Hämophilie folgendermaßen durchgeführt werden:

  1. Blutbild (u.a. zum Ausschluss einer Thrombopenie) und Gerinnungsstatus (PT; aPTT; Gerinnungsfaktor-Aktivität)
  2. Ausschluss eines Lupus-Antikoagulans oder Antikoagulantien (Heparin) als Ursache der verlängerten aPTT
  3. Plasmatausch-Versuch: Dabei wird Normalplasma zum Patientenplasma hinzugegeben und die aPTT gemessen. Bei einem echten Faktorenmangel kommt es dabei zu einer Normalisierung der aPTT, da durch die Zugabe des normalen Plasmas der fehlende Gerinnungsfaktor ersetzt wird. Bei der erworbene Hemmkörper-Hämophilie erfolgt keine Normalisierung der aPTT aufgrund der vorhandenen Inhibitoren im Patientenplasma.
  4. Bestimmung des Gerinnungsfaktor-Inhibitor-Titers.

Die Therapie der erworbenen Hemmkörper-Hämophilie sollte immer in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Behandlungszentrum für Hämophilie erfolgen. Die Therapieziele sind Blutstillung, Blutungsprophylaxe, Elimination der Autoantikörper sowie Verhinderung der Antikörper-Nachbildung. Die First-line-Blutstillungstherapie besteht derzeit aus rekombinantem aktivierten Faktor VII (NovoSeven®) oder aktivierten Prothrombinkomplex-Konzentraten (FEIBA®). Alternative Behandlungsmöglichkeiten sind humane Faktor-VIII-Konzentrate, Immunadsorption und Desmopressin. Zur Inhibitor-Eradikation werden am häufigsten Corticosteroide für vier bis sechs Wochen oder in Kombination mit Cyclophosphamid für bis zu sechs Wochen empfohlen. Alternativ kann Rituximab verwendet werden.

Es ist anzunehmen, dass die Prävalenz der erworbenen Hemmkörper-Hämophilie aufgrund vieler nicht diagnostizierter Fälle unterschätzt wird. Die erworbene Hemmkörper-Hämophilie sollte deshalb vor allem beim älteren Menschen bei spontaner Blutungsneigung und/oder verlängerter aPTT neben den häufigeren Differentialdiagnosen (Antikoagulationstherapie, NSAR-Abusus, Trauma, Lupus-Antikoagulans, Lbeerzirrhose, Urämie, usw.) immer in Betracht gezogen werden.


Literatur bei den Verfassern

*) Dr. Agnes Födinger, Univ. Doz. Dr. Michael Fridrik;
beide: AKH Linz/Abteilung Innere Medizin III, Krankenhausstraße 9, 4020 Linz;
Tel.: 0732/7806/1943; E-Mail: michael.fridrik@akh.linz.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2011