Aku­ter Bauch­schmerz im Alter: Dia­gnos­ti­sche Herausforderung

15.07.2011 | Medizin

Akute Bauch­schmer­zen zei­gen bei älte­ren Pati­en­ten oft aty­pi­sche Sym­ptome. Die häu­figste Ursa­che dafür bei älte­ren Men­schen sind Gal­len­wegs­er­kran­kun­gen. Eine der größ­ten dia­gnos­ti­schen Her­aus­for­de­rung beim aku­ten Bauch­schmerz im Alter: die akute mesen­te­riale Ischä­mie.
Von Irene Mlekusch

Schmerz­lo­ka­li­sa­tion und Schmerz­qua­li­tät geben bei der Ana­mnese oft ent­schei­dende Hin­weise auf die Ursa­che der aku­ten Bauch­schmer­zen. Kolik­ar­tige Schmer­zen spre­chen für eine Obstruk­tion des Lumens, wäh­rend sich ent­zünd­li­che Pro­zesse eher mit pro­gre­di­en­tem Schmerz äußern. Für eine intesti­nale Per­fo­ra­tion oder Ischä­mie spre­chen dage­gen akut auf­tre­tende, hef­tige Schmer­zen mit einem nach meh­re­ren Stun­den auf­tre­ten­den stum­men Inter­vall. Auch anhand der Ände­rung der gas­tro­in­testi­na­len Moti­li­tät las­sen sich Rück­schlüsse auf die Ursa­che der Schmer­zen zie­hen. Die Aus­kul­ta­tion der Darm- und Gefäß­ge­räu­sche sollte somit ebenso Bestand­teil der Erst­un­ter­su­chung sein wie die rek­tale Pal­pa­tion. Univ. Prof. Ste­phan Kri­wa­nek, Abtei­lungs­vor­stand der Chir­ur­gi­schen Abtei­lung im Donau­spi­tal Wien, macht aber dar­auf auf­merk­sam, dass die kli­ni­sche Sym­pto­ma­tik manch­mal in Rela­tion zum Schwe­re­grad der Erkran­kung gering aus­ge­prägt sein kann. „Neben den Labor­be­fun­den stel­len bild­ge­bende Ver­fah­ren die wesent­li­che Infor­ma­ti­ons­quelle dar. Die größte Aus­sa­ge­kraft hat dabei das Kon­trast­mit­tel-ver­stärkte CT“, betont Kriwanek.

Sinn­voll erscheint zunächst eine Unter­tei­lung in ope­ra­tive und nicht-ope­ra­tive Schmer­zen sowie in intra- und extra­ab­do­mi­nelle Ursa­chen. Die häu­figste Ursa­che für akute Bauch­schmer­zen im Alter sind Gal­len­wegs­er­kran­kun­gen. Die nor­ma­ler­weise typi­schen Sym­ptome wie rechts­sei­ti­ger Ober­bauch­schmerz, Fie­ber und Erbre­chen kön­nen bei älte­ren Men­schen völ­lig feh­len. Aller­dings führt eine Cho­leo­zys­ti­tis bei mehr als der Hälfte aller Senio­ren zu Kom­pli­ka­tio­nen und mit der Ver­zö­ge­rung der chir­ur­gi­schen Inter­ven­tion stei­gen Mor­bi­di­tät und letzt­lich auch Mor­ta­li­tät. Univ. Prof. Wolf­gang Vogel, Direk­tor der Abtei­lung für Gas­tro­en­te­ro­lo­gie und Hepa­to­lo­gie an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin II in Inns­bruck dazu: „Wei­ters ist zu berück­sich­ti­gen, dass die gene­rell wenig organ­spe­zi­fi­sche Sym­pto­ma­tik abdo­mi­nel­ler Erkran­kun­gen wie Bauch­schmer­zen bei älte­ren Men­schen noch aus­ge­präg­ter ist und die Kom­pli­ka­tio­nen vor dem Hin­ter­grund einer mög­li­chen Poly­mor­bi­di­tät noch stär­kere kli­ni­sche Bedeu­tung erlangen.“

Ältere Pati­en­ten mit Appen­di­zi­tis suchen meist erst spät einen Arzt auf und wei­sen eben­falls aty­pi­sche Sym­ptome vor. Fie­ber fehlt oft völ­lig ebenso wie der loka­li­sierte Schmerz im rech­ten unte­ren Qua­dran­ten. Dabei stellt die Appen­di­zi­tis den dritt­häu­figs­ten Grund für eine Ope­ra­tion des Abdo­mens im Alter dar; die Mor­ta­li­tät liegt zwi­schen vier und acht Pro­zent im Ver­gleich zu weni­ger als einem Pro­zent in der Gesamtbevölkerung.

Pan­krea­ti­tis: klas­si­sche Symptomatik

Der Groß­teil der älte­ren Pati­en­ten mit Pan­krea­ti­tis weist die klas­si­schen radiär in den Rücken aus­strah­len­den Ober­bauch­schmer­zen auf, ver­ge­sell­schaf­tet mit Nau­sea, Erbre­chen und Dehy­drat­a­tion. Etwa zehn Pro­zent der Senio­ren prä­sen­tie­ren sich zu Beginn der Ent­zün­dung aber mit arte­ri­el­ler Hypo­ten­sion und redu­zier­tem men­ta­lem Sta­tus. Der aku­ten Pan­krea­ti­tis sollte gerade im Alter eine hohe Auf­merk­sam­keit zukom­men, da die Mor­ta­li­tät bei über 70-Jäh­ri­gen auf bis zu 40 Pro­zent anstei­gen kann. Vogel sieht allein im Ver­dacht auf nekro­ti­sie­rende Cho­le­zys­ti­tis oder Pan­krea­ti­tis eine Akut­si­tua­tion.

Kri­wa­nek emp­fiehlt die Erhe­bung einer Ana­mnese mit geziel­ter Fra­ge­stel­lung nach spe­zi­fi­schen Sym­pto­men und Vor­er­kran­kun­gen. Denn immer wie­der fin­den sich in der Ana­mnese Hin­weise auf ope­ra­ti­ons­be­dingte Bruch­pfor­ten oder Adhä­sio­nen, die im Zusam­men­hang mit Schmer­zen, Erbre­chen und Obs­ti­pa­tion auf einen Dünn­darm­ver­schluss hin­deu­ten kön­nen. „Der Dick­darm­ver­schluss tritt beim alten Men­schen deut­lich häu­fi­ger auf und ist durch steno­sie­rende Pro­zesse im Kolon wie Tumore oder Ent­zün­dun­gen bedingt“, sagt Kri­wa­nek, „Die Sym­pto­ma­tik ent­wi­ckelt sich über Tage. Mete­o­ris­mus steht dabei im Vor­der­grund und gele­gent­lich tre­ten Über­lauf­durch­fälle auf. Dick­darmsteno­sen las­sen sich wir­kungs­voll mit­tels eines Kon­trast­mit­tel­ein­laufs dar­stel­len. Wesent­lich ist es, eine rasche Dekom­pres­sion des Dick­darms her­zu­stel­len, da es sonst zur Rup­tur und Peri­to­ni­tis kom­men kann.“ Die Inzi­denz der bei älte­ren Men­schen rela­tiv häu­fig auf­tre­ten­den Kolon-Diver­ti­ku­li­tis steigt mit zuneh­men­dem Alter dra­ma­tisch an; in etwa der Hälfte der Fälle kommt es zu Fehldiagnosen.

Vor­sicht bei Ulcus

Pep­ti­sche Ulcera füh­ren spe­zi­ell beim älte­ren Pati­en­ten mit­un­ter erst nach erfolg­ter Per­fo­ra­tion zu Schmer­zen. Abwehr­span­nung und Darm­ge­räu­sche feh­len oft. Trotz­dem rät Kri­wa­nek in jedem Fall dazu, eine kör­per­li­che Unter­su­chung unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung von abdo­mi­nel­len Zei­chen wie Abwehr­span­nung, Dis­ten­sion und patho­lo­gi­schen Darm­ge­räu­schen durch­zu­füh­ren. Auch hämor­rha­gi­sche Kom­pli­ka­tio­nen fin­den sich bei Senio­ren mit pep­ti­schen Ulcera häu­fi­ger; hin­ge­gen kann die freie intra­pe­ri­to­neale Luft nicht immer dar­ge­stellt wer­den. „Bei bestehen­der Ulcus pep­ti­cum-Erkran­kung ist eine akute Ver­schlech­te­rung ver­däch­tig auf eine Per­fo­ra­tion. Diese kann durch die even­tu­ell gleich­zei­tig kau­sale Ein­nahme von NSAR ver­schlei­ert wer­den“, erklärt Vogel.

Bei männ­li­chen, über 60-jäh­ri­gen Pati­en­ten mit Neben­dia­gno­sen wie COPD, arte­ri­el­ler Hyper­ten­sion, pAVK und Nik­to­in­ab­usus, die mit Bauch- und Rücken­schmer­zen vor­stel­lig wer­den, sollte an ein Bau­cha­or­ten-Aneu­rysma gedacht wer­den. Je älter der Pati­ent, desto sel­te­ner kommt es im Anfangs­sta­dium zur Hypo­ten­sion. Feh­len die typi­schen Sym­ptome kom­plett, liegt der Pro­zent­satz der Fehl­dia­gno­sen bei 30 bis 50 Pro­zent; die Mor­ta­li­tät der rup­tu­rier­ten Aor­ten-Aneu­rys­men ist ent­spre­chend hoch. Alle älte­ren Pati­en­ten mit einer mikro­sko­pi­schen Häma­tu­rie oder einer neu dia­gnos­ti­zier­ten Nephr­oli­thi­asis soll­ten im Hin­blick auf ein abdo­mi­nel­les Aor­ten-Aneu­rysma eva­lu­iert wer­den. Die gleich Emp­feh­lung gilt für Pati­en­ten mit Syn­ko­pen oder Hypo­ten­sio­nen in Kom­bi­na­tion mit Bauch- oder Rücken­schmer­zen. Die Ent­schei­dung über die wei­tere Behand­lung des Pati­en­ten sollte aber in jedem Fall von sei­nem Kreis­lauf­zu­stand abhän­gen. Hoch­ver­däch­tige, kreis­lauf­in­sta­bile Pati­en­ten soll­ten so rasch wie mög­lich chir­ur­gisch ver­sorgt wer­den.

Eine der größ­ten dia­gnos­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen im Zusam­men­hang mit aku­ten Bauch­schmer­zen stellt die akute mesen­te­riale Ischä­mie dar. Starke, meis­tens schlecht loka­li­sier­bare Abdo­mi­nal­schmer­zen ohne peri­to­neale Sym­pto­ma­tik kön­nen mit Erbre­chen und Durch­fall kom­bi­niert sein. Oft liegt eine Dis­kre­panz zwi­schen den kli­ni­schen Befun­den und dem sub­jek­ti­ven Emp­fin­den des Pati­en­ten vor. Der klas­si­sche Risi­ko­pa­ti­ent lei­det an einer gene­ra­li­sier­ten arte­ri­el­len Ver­schluss­erkran­kung, Vor­hof­flim­mern oder einer Herz­klap­pen­er­kran­kung. Ana­mnes­tisch kann bes­ten­falls eine intesti­nale Angina mit sub­jek­ti­ver „Essens­angst“ und Gewichts­ver­lust erho­ben wer­den. Der Mesen­te­ri­al­in­farkt ist eher sel­ten die Ursa­che für abdo­mi­nelle Schmer­zen, darf aber nicht leicht­fer­tig aus­ge­schlos­sen wer­den, da er oft fatal endet. Kri­wa­nek sieht in fol­gen­den Situa­tio­nen sofor­ti­gen Hand­lungs­be­darf: freie Per­fo­ra­tion eines Hohl­or­gans, kli­ni­sche Zei­chen einer dif­fu­sen Peri­to­ni­tis, Ver­dacht auf mecha­ni­schen Darm­ver­schluss, Ver­dacht auf Mesen­te­ri­al­ge­fäß-Ver­schluss oder Ver­dacht auf dis­se­zie­ren­des Aor­ten-Aneu­rysma. „Das Erstel­len einer Ver­dachts­dia­gnose mit Fest­le­gung der Dring­lich­keit der wei­te­ren dia­gnos­ti­schen und the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men ist für die ziel­füh­rende Betreu­ung des Pati­en­ten unum­gäng­lich“, weiß Kri­wa­nek.

Beson­ders beim älte­ren Pati­en­ten gehen kar­diale Erkran­kun­gen wie ein aku­ter Myo­kard­in­farkt, Peri­kar­di­tis und Endo­kar­di­tis oft mit Bauch­schmer­zen ein­her. Auch Pul­mo­n­al­em­bo­lien, Pneu­mo­nien oder endo­krine Zustands­bil­der wie zum Bei­spiel eine dia­be­ti­sche Keto­azi­dose oder eine Hyper­kalz­ä­mie kön­nen zu unspe­zi­fi­schen Bauch­schmer­zen füh­ren. Der Voll­stän­dig­keit hal­ber müs­sen in die­sem Zusam­men­hang auch Her­pes zos­ter, Por­phy­rie, diverse gynä­ko­lo­gi­sche und uro­ge­ni­tale Erkran­kun­gen sowie phar­ma­ko­lo­gi­sche Reak­tio­nen als Ursa­che für akute Bauch­schmer­zen im Alter genannt wer­den. Kri­wa­nek ver­voll­stän­digt die Auf­zäh­lung durch das bei älte­ren Men­schen häu­fi­ger auf­tre­tende kom­pli­zierte kolo­rek­tale Kar­zi­nom.

Gefahr ein­schät­zen

Vogel sieht die Auf­gabe des All­ge­mein­me­di­zi­ners darin, den Bedro­hungs­grad aus kli­ni­schem Beschwer­de­bild, ori­en­tie­ren­den Labor­un­ter­su­chun­gen (CRP, Blut­bild, even­tu­ell organ­spe­zi­fi­sche Tests.…) und der Kennt­nis der Vor­ge­schichte mit Poly­mor­bi­di­tät und vor allem Ko-Medi­ka­tion abzu­schät­zen, um eine sym­pto­ma­ti­sche The­ra­pie zu begin­nen, die ent­spre­chende bild­ge­bende Dia­gnos­tik zu ver­an­las­sen bezie­hungs­weise die Akut­ein­wei­sung in ein Kran­ken­haus vor­zu­neh­men. „Aku­ter Hand­lungs­be­darf besteht bei Poly­mor­bi­di­tät“, beschreibt Vogel und rät zur Vor­sicht bei Pati­en­ten, die mit Anti­ko­agu­lan­tien oder Throm­bo­zy­ten­funk­ti­ons­hem­mern behan­delt wer­den. Schwere Schmerz­zu­stände und unklare Dia­gno­sen sind sei­ner Ansicht nach eben­falls als Alarm­si­gnale einzustufen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2011