Standpunkt – Präs. Walter Dorner: Die Chancen nützen!

25.06.2010 | Standpunkt

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Jede Krise beinhaltet auch Chancen. Die Entwicklungen um den SVA-Konflikt zeigen gut, dass alte Weisheiten keine Leerformeln sein müssen.

Das Wichtigste vorweg: Die Ärzteschaft hat sich durchgesetzt. Wir haben wieder einen Gesamtvertrag, den die Unternehmer-Vertreter bis vor kurzem eigentlich mit allen Mitteln verhindern wollten. Und es ist gelungen, das Ergebnis von September 2009 in etwa umzusetzen und in einigen Punkten zu verbessern.

Die Ärztinnen und Ärzte haben in den vergangenen Wochen Stärke, Durchhaltevermögen und Organisationsgeschick bewiesen. Ihr Verhandlungsteam war unter der konsequenten und äußerst einsatzintensiven Führung des Obmannes der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte, Günther Wawrowsky, dicht aufgestellt.

So konnte unter dem Druck der Öffentlichkeit rasch realisiert werden, was in den vergangenen Mai-Tagen noch unmöglich schien. Die Ursachen für den spontanen Meinungsschwenk der Gewerbeversicherung lagen wohl in einer Gemengelage, die der SVA zunehmend schadete: Da gab es einmal den sich langsam formierenden Protest von EPUs – den Einpersonen-Unternehmen. Von Haus aus nicht gut auf die SVA zu sprechen, wollten viele von ihnen die schlechtere Versicherungsleistung bei unverändert hohen Beiträgen einfach nicht hinnehmen. Dann wurde die Unternehmerkasse von der unerwartet forschen und verärgerten Drohung des Gesundheitsministers mit einer Zwangsschlichtung überrascht. Vor allem aber war es das völlig unterschätzte solidarische Verhalten der Ärztinnen und Ärzte, das die bisher stur auf patientenfeindlichen Finanzpfaden schreitende SVA-Funktionärsspitze auf dem linken Fuß erwischte.

Alles in allem mahnte diese Konstellation die SVA ganz deutlich, sich ihrer Verpflichtung als soziale Krankenversicherung zu besinnen. Vorbei also das Säbelrasseln aus den SVA- und Wirtschaftskammer-Glaspalästen im vierten Wiener Gemeindebezirk. Vergangen auch die Spekulationen über die zentralistische Zwangsbeglückung von Ärzten und Patienten mit dem Ziel, das tradierte soziale Krankenversicherungssystem nicht weiterzuentwickeln sondern schlicht zu zerstören. Plötzlich hören wir Ärztinnen und Ärzte respektgefärbte Töne – das Gemeinsame steht im Vordergrund und nicht mehr das Trennende. Mir gefällt dieser neue Weg, zu dem aus meiner Sicht auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl beigetragen hat. Er hat den politischen Ernst der Lage für seine Organisationen und Klienten rechtzeitig erkannt.

Was auf Basis der „neuen“ Einmütigkeit entsteht, das wird die Zukunft zeigen. Viele der in den gesundheitspolitischen Leitlinien der Österreichischen Ärztekammer festgehaltenen Denkansätze finden nun Eingang in Projekte, die wir mit der SVA auf Basis angemessener Leistungsverträge in Angriff nehmen wollen. Ich erwähne die Forcierung der Gesundheitsvorsorge oder die Aufwertung des Hausarztes zum Koordinator und Coach bei chronischen Erkrankungen oder bei altersdeterminierter Multimorbidität. Gemeinsame Bemühungen zum Ausbau der Psychotherapie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie entsprechen der epidemiologischen Entwicklung. Die Aufwertung der Gesprächsmedizin und der Gesundheitsbetreuung durch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – jetzt auch in Gruppenpraxen – soll zur Entlastung der Spitalsambulanzen führen. In kontinuierlicher Interaktion soll ein lösungsbereites Vertrauensklima geschaffen werden, das die rigide Haltung ewiger Voreingenommenheit ablöst. Ärztlicher Skepsis möchte ich mit dem Aufruf und der Bitte begegnen, sich Neuem zu öffnen. Denn oft finden wir den Erfolg erst dann, wenn wir das, was zwischen den Zeilen steht, mit Leben füllen.

Nutzen wir die Chance!

Walter Dorner
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2010