Spi­tä­ler in Nie­der­ös­ter­reich: EBM-Gui­de­lines online

10.05.2010 | Service

Seit einem hal­ben Jahr ste­hen die Evi­dence Based Medi­cine-Gui­de­lines in den nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Lan­des­kli­ni­ken online zur Ver­fü­gung und unter­stüt­zen die Ärzte sowohl bei der Aus­bil­dung oder Prü­fungs­vor­be­rei­tung für Tur­nus­ärzte als auch bei akut auf­tre­ten­den fach­über­grei­fen­den Fra­gen an Fach­ärzte.

Was die Spi­tals­ärzte in Nie­der­ös­ter­reich den ande­ren Bun­des­län­dern vor­aus haben: Einen freien Zugang zur Online-Ver­sion der EBM-Gui­de­lines. Den hat die nie­der­ös­ter­rei­chi­sche Lan­des­kli­ni­ken-Hol­ding für ihre Häu­ser näm­lich vor einem hal­ben Jahr instal­lie­ren las­sen. Die EBM-Gui­de­lines kom­men sowohl Tur­nus- als auch Fach­ärz­ten zu Gute. Und was meint nun ein Tur­nus­arzt zu den Online-Guid­li­nes? „Ein Stan­dard­werk wie die EBM-Gui­de­lines, das stän­dig aktua­li­siert wird, ist für mich der heute adäquate Weg, auf dem Lau­fen­den zu blei­ben – was ja gerade in der All­ge­mein­me­di­zin unge­mein schwie­rig ist“, resü­miert Michael Wall­ner, der­zeit in Aus­bil­dung zum Arzt für All­ge­mein­me­di­zin am Lan­des­kli­ni­kum Wie­ner Neu­stadt, und setzt fort: „Dabei kommt es aber auch sehr dar­auf an, wie die enorme Daten­menge struk­tu­riert und kom­pri­miert ist. Bei den EBM-Gui­de­lines wird das ganz rich­tig gemacht. Viele Fach­bü­cher gehen so sehr ins Detail, dass sie in der Pra­xis kaum mehr von Nut­zen sind.“

Abge­se­hen davon brächte eine klare, straffe und gut geglie­derte Online-Daten­bank wie die EBM-Gui­de­lines einen wei­te­ren nicht zu unter­schät­zen­den Vor­teil mit sich: Die Mög­lich­keit, auch wäh­rend des Pati­en­ten­ge­sprächs einen dezen­ten Blick auf die Daten­lage zu wer­fen. Und ein ehe­ma­li­ger Tur­nus­arzt aus dem­sel­ben Kran­ken­haus sagt: „Ich bin sehr froh über die Frei­schal­tung an den NÖ Lan­des­kli­ni­ken. Ich ver­wende den Online-Zugang zu den EBM-Gui­de­lines häu­fig und finde immer wie­der sehr nütz­li­che Infor­ma­tio­nen. Die Gui­de­lines wer­den von sehr vie­len Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen viel ver­wen­det und geschätzt.“ So weit der nun­meh­rige Assis­tenz­arzt an der Chir­ur­gi­schen Abtei­lung, Ste­fan Hal­per.

Und wie sehen Fach­ärzte die EBM-Gui­de­lines online? „Ich habe den Ein­druck, dass alle sehr zufrie­den sind, dass es das gibt – auch wenn man in mei­nem enge­ren Umfeld nicht allzu inten­siv davon Gebrauch macht“, berich­tet Anäs­the­sist und Inten­siv­me­di­zi­ner Kurt Dörre, Ober­arzt im Lan­des­kli­ni­kum Wald­vier­tel in Waid­ho­fen an der Thaya, der selbst zu den EBM-Usern zählt. Warum eigent­lich? „Das große Posi­ti­vum der EBM-Gui­de­lines liegt für mich bei den fach­über­grei­fen­den Fra­gen“, so Dörre, der es schätzt, sich rasch und ver­läss­lich einen Über­blick ver­schaf­fen zu kön­nen, denn die Anlie­gen der Pati­en­ten hal­ten sich ja nicht an die Fach­gren­zen: „Mit Hilfe der EBM-Gui­de­lines kann man trotz­dem fun­diert Aus­kunft geben.“

Work in Progress

Die „Evi­dence Based Medi­cine Gui­de­lines“ wur­den in Finn­land begrün­det und sind im Okto­ber 2005 im Ver­lags­haus der Ärzte das erste Mal in deut­scher Spra­che erschie­nen. Her­aus­ge­ge­ben wer­den sie von Susanne Rabady, Erwin Reb­handl und Andreas Sön­nich­sen. Mitt­ler­weile haben sich die EBM-Gui­de­lines in allen Welt­spra­chen als Stan­dard­werk zur evi­denz­ba­sier­ten Medi­zin eta­bliert. Der­zeit arbei­ten rund 20 All­ge­mein­me­di­zi­ner (Reviewer) aus dem Kreis der Fach­ge­sell­schaft für All­ge­mein­me­di­zin ÖGAM und ein Über­set­zer an der Wei­ter­füh­rung des öster­reich­be­zo­ge­nen Pro­jekts, das welt­weit als „Work in Pro­gress“ kon­zi­piert ist und eine zuneh­mende, struk­tu­rierte Zusam­men­ar­beit sowie kon­ti­nu­ier­li­ches User-Feed­back impli­ziert. In enger Zusam­men­ar­beit mit aner­kann­ten Spe­zia­lis­ten auf den jewei­li­gen Fach­ge­bie­ten arbei­ten die Reviewer – alle auch Lehr­be­auf­tragte am Insti­tut für All­ge­mein­me­di­zin – groß­teils ehren­amt­lich: Harald Ber­ger, Franz Burg­hu­ber, Chris­toph Dachs, Bar­bara Degn, Alex­an­der Franz, Silke Eich­ner, Bern­hard Fürt­hauer, Wolf­gang Hockl, Renate Hoff­mann-Dor­nin­ger, Gus­tav Kamen­ski, Erwin Kepp­lin­ger, Eva Mann, Rein­hard und Bern­hard Muxel, Bern­hard Pan­ho­fer, Ingrid Pich­ler, Peter Pich­ler, Susanne Rabady, Erwin Reb­handl, Andreas Sön­nich­sen.

2006 waren die Gui­de­lines das meist ver­kaufte medi­zi­ni­sche Fach­buch im deutsch­spra­chi­gen Raum und im sel­ben Jahr wurde die Online-Ver­sion auf den Markt gebracht. So wie die deut­sche Aus­gabe mehr ist als eine Über­set­zung – die Arti­kel wur­den für das hie­sige Gesund­heits­sys­tem adap­tiert –, so ist die Online-Ver­sion mehr als eine elek­tro­ni­sche Form des Buches. Wäh­rend das Buch aus pro­duk­ti­ons­tech­ni­schen Grün­den auf einen Umfang von 1.600 Sei­ten limi­tiert ist, kann die Online-Ver­sion ohne Begren­zung aus­ge­wei­tet wer­den. Der­zeit ist auch eine direkte Ein­bin­dung in die Pra­xis­soft­ware in Vor­be­rei­tung, die unter ande­rem in Koope­ra­tion mit der Firma MCW Medi­cal Com­pu­ter Ware durch­ge­führt wird. Eine Test­ver­sion kann zum Bei­spiel unter www.befundkarte.at abge­ru­fen werden.

Daten und Fak­ten online

Der Auf­bau der Arti­kel ent­spricht im Prin­zip der Print-Ver­sion, kann ent­spre­chend den Mög­lich­kei­ten des elek­tro­ni­schen Medi­ums aber durch eine Viel­falt ande­rer Infor­ma­ti­ons­mög­lich­kei­ten ergänzt wer­den. Damit kön­nen die meis­ten in der Pra­xis auf­tre­ten­den Fra­ge­stel­lun­gen inner­halb kür­zes­ter Zeit und ohne Such­auf­wand, aus­ge­hend von einer ein­zi­gen Daten­bank, in der gewünsch­ten Tiefe geklärt wer­den. Das Kom­pen­dium ent­hält an die 1.000 Arti­kel und mehr als 3.000 nach GRADE-Klas­si­fi­zie­rung kodierte, im Text leicht erkenn­bare direkte Links zu Evi­dence Sum­ma­ries, die wie­derum zur Coch­rane Library und ande­ren Daten­ba­sen führen.

Es gibt rund 1.000 Links zu Abbil­dun­gen, 80 Hör­bei­spiele und Video­se­quen­zen sowie meh­rere Berech­nungs­pro­gramme und Algo­rith­men. Etwa 500 Links füh­ren zu ande­ren Arti­keln des Kom­pen­di­ums und zu wei­ter­füh­ren­den Web­sites, zum Bei­spiel natio­nale Impf­pläne, kli­ni­sche Leit­li­nien, Tools wie Depres­si­ons­ska­len und ande­ren Scores.
KG

Inter­view – Robert Griess­ner
Ein­fach und schnell

Über seine Erfah­run­gen mit den EBM-Gui­de­lines berich­tet Robert Griess­ner, medi­zi­ni­scher Geschäfts­füh­rer der NÖ-Landeskliniken-Holding.

ÖÄZ: Was war aus­schlag­ge­bend für die Ent­schei­dung, die Online-Ver­sion der EBM-Gui­de­lines für die nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Lan­des­kli­ni­ken zu über­neh­men?
Griess­ner: Die Tur­nus­ärz­te­ver­tre­ter der nie­der­ös­ter­rei­chi­schen Lan­des­kli­ni­ken sind mit die­sem Anlie­gen an die Geschäfts­füh­rung her­an­ge­tre­ten, um zu im Kli­nik­all­tag rele­van­ten Fra­ge­stel­lun­gen ein­fach und schnell Evi­denz basierte Infor­ma­tio­nen abfra­gen zu kön­nen. Nach Prü­fung des Tools auf Inhalte und Benut­zer­freund­lich­keit wurde der Anre­gung der jun­gen in Aus­bil­dung zum All­ge­mein­me­di­zi­ner ste­hen­den Ärzte statt­ge­ge­ben, um ihnen eine zusätz­li­che Hil­fe­stel­lung bei der Ver­mitt­lung wesent­li­cher Aus­bil­dungs­in­halte anzu­bie­ten und damit auch die Moti­va­tion, sich aktiv aus- und wei­ter­zu­bil­den zu stärken.

Wel­che Rolle kann diese Infor­ma­ti­ons­quelle im Kon­text der Qua­li­täts­si­che­rung in Kran­ken­häu­sern spie­len?
Durch den immer rasche­ren Turn over von Wis­sen in der Medi­zin wird es für alle im Gesund­heits­we­sen Täti­gen immer her­aus­for­dern­der, den eige­nen Wis­sens­stand immer auf hohem und vor allem aktu­el­lem Niveau zu hal­ten. Daher ist es ein wesent­li­cher Bestand­teil der Qua­li­täts­si­che­rung in den Lan­des­kli­ni­ken, für eine zeit­ge­mäße und pra­xis­re­le­vante Aus­bil­dung des Medi­zi­ner­nach­wuch­ses Sorge zu tra­gen. Da die Pati­en­ten Anspruch dar­auf haben, nach State of the Art-Kri­te­rien und Evi­denz basiert behan­delt zu wer­den, ist der nie­der­schwel­lige und tech­nisch ein­fa­che Zugang zu EBM-Gui­de­lines für alle Ärzte auch im Sinn der Qua­li­täts­si­che­rung von Bedeutung.

Was bedeu­ten die „EBM-Gui­de­lines für All­ge­mein­me­di­zin“ für die Aus­bil­dung der zukünf­ti­gen All­ge­mein­me­di­zi­ner?
Die EBM-Gui­de­lines kön­nen die Rolle der Aus­bild­ner in den Kli­ni­ken und die per­sön­li­che Inter­ak­tion zwi­schen jun­gen Ärz­ten und den sie aus­bil­den­den Fach­ärz­ten nicht erset­zen, wohl aber Hil­fe­stel­lung geben, bei unmit­tel­bar in der Rou­tine auf­tre­ten­den Fra­gen rasche Ent­schei­dungs­kri­te­rien zu fin­den, sowie schnell und ein­fach an aktu­elle Stu­dien zu einem kon­kre­ten Thema zu gelan­gen, die von inter­na­tio­nal aner­kann­ten Gre­mien auf ihre Aus­sa­ge­kraft und ihren wis­sen­schaft­li­chen Wert hin eva­lu­iert sind. Auch stel­len sie für Fach­ärzte eine wert­volle Hori­zont­er­wei­te­rung für all­ge­mein­me­di­zi­ni­sche The­men außer­halb des eige­nen Fach­ge­bie­tes dar.

Wie sieht das Feed­back aus dem Kol­le­gen­kreis in den Kran­ken­häu­sern bis­her aus?
Wir haben bis­her noch kein ein­zi­ges nega­ti­ves Feed­back erhal­ten und inter­pre­tie­ren dies als posi­ti­ves Signal.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2010