Initiative Oikokredit: Mikrokredit als Starthilfe

15.12.2010 | Service

Mehr als eine Milliarde Menschen leben in Armut. Mikrokredite können ihnen helfen, eine solide Lebensgrundlage aufzubauen. Das Mikrokredit-Modell war bisher so erfolgreich, dass der Gründer, Prof. Muhammad Yunus, 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Von Birgit Oswald

Das Medizinstudium abschließen, den Turnus absolvieren, eine eigene Ordination eröffnen – so in etwa sieht die gewünschte berufliche Karriere vieler Jung-Ärzte aus. Damit der Traum von der ersten eigenen Ordination verwirklicht werden kann, benötigt jeder Arzt nicht nur Tatendrang und Visionärsgeist, sondern vor allem auch Startkapital für sein Vorhaben. Hierzulande und auch im übrigen westlichen Umfeld stellen Banken Kredite als Starthilfe zur Verfügung. Anders in Ländern der sogenannten Dritten Welt. Nicht nur, dass dort der Zugang zum Medizinstudium aufgrund der meist eher ärmlichen Verhältnisse viel schwieriger als im westlichen Raum ist, stellt die Eröffnung einer Ordination eine weitere – nämlich finanzielle – Hürde dar.

Um finanzielle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, bieten Mikrokredite eine Chance für Menschen in Armutsgebieten, kleinere wirtschaftliche Vorhaben umzusetzen. Diese Klein-Darlehen, die in der Höhe von etwa 50 bis 1.000 Euro an bedürftige Menschen vergeben werden, sind speziell an deren Lebensumstände angepasst. So kann den Menschen, die wegen ihrer Armut und persönlichen Situation von den Banken als nicht-kreditwürdig eingestuft werden, ein Startkapital zur Verfügung gestellt werden. Diese erste kleine Kreditsumme ermöglicht beispielsweise den Kauf einer Nähmaschine, von Nutztieren oder eines Marktstands. Auch Schulgeld kann damit am Anfang des Jahres bezahlt und im Laufe der Monate rückgezahlt werden. Selbst Notfallkredite, die die aktue Behandlung eines Patienten finanziell ermöglichen, werden vergeben. Das Mikrokredit-Modell war bisher so erfolgreich, dass der Gründer, Prof. Muhammad Yunus aus Bangladesch, 2006 mit dem Friedensnobelpreis bedacht wurde.

Einer dieser Mikrokredit-Anbieter ist die seit 1975 bestehende internationale Organisation Oikocredit, die Menschen in der sogenannten Dritten Welt Mikro- und Projektkredite speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmt zur Verfügung stellt. Oikocredit zählt zu den weltweit größten Anbietern von Mikrofinanzierung und ist in über 70 Ländern Lateinamerikas, Asiens, Osteuropas und auch Afrikas aktiv. Das erforderliche Kapital für die Vergabe der Kredite in Armutsgebieten wird von derzeit rund 36.000 privaten und institutionellen Anlegern sowie Organisationen offeriert. Viele der Anleger sind kleine Investoren, die mit einem Anteil ab 200 Euro ihren Beitrag leisten. Dadurch konnte mittlerweile ein Kreditvolumen von circa 430 Millionen Euro geschaffen werden, das 842 Partnerorganisationen vor Ort, die von Oikokredit refinanziert werden, zugute kommt.

Die angebotene Kredithöhe und die Rendite von maximal zwei Prozent erscheinen im westlichen Vergleich eher niedrig, für die Projekte vor Ort sind die kleinen Summen aber ein solides Startkapital, das zu einer bedeutenden Verbesserung der sozialen Situation führen kann. Allerdings ist die Höhe der Kredite vom Projekt selbst abhängig. Größere Projektkredite werden etwa für Dorfgemeinschaften oder Fairtrade-Kooperativen aufgebracht. Die Kreditausfälle liegen dabei unter einem Prozent. Die Organisation kümmert sich nicht nur um die Kreditmittelvergabe, sondern bietet auch Beratung und Begleitung der Projektpartner durch vor Ort tätige Partner an. Mehr als die Hälfte davon sind Non-Profit-Organisationen. Insgesamt werden 17 Millionen Menschen gefördert. Besonders Frauen finden Unterstützung durch die Organisation: 80 Prozent der Kreditnehmerinnen sind weiblich, wodurch eine wirtschaftliche Stärkung der Frauen möglich wird.

Eine davon ist Esther Namutebi, die dank der Unterstützung der Oikocredit-Partnerorganisation Rucref in Uganda ein Kleidergeschäft eröffnen konnte. 13 Jahre zuvor verkaufte sie noch Kleidung auf Märkten, heute geht ihr Geschäft so gut, dass sie sogar zwei Angestellte bezahlen kann.

Klinikgründung dank Mikrokredit

Ein weiteres positives Beispiel ist Brave Tuhimbise, der durch die finanzielle Starthilfe in Form eines Mikrokredits einen wesentlichen Beitrag zur medizinischen Versorgung im afrikanischen Uganda leisten konnte. 1976 im westlichen Teil Ugandas geboren, wuchs er als Sohn eines Ingenieurs auf, der ihn in der Schulzeit bestärkte, sich den Naturwissenschaften zu widmen. Nach Abschluss der Schule entschloss sich Tuhimbise für ein Medizinstudium. Von seinem Wunsch, selbstständig zu arbeiten und seiner aktiven und ambitionierten Einstellung getrieben, eröffnete der junge Arzt 2005 seine erste kleine Klinik mit zwei Mitarbeitern. Da ihm konventionelle Banken aufgrund seines Berufes keinen Kredit gewährten, konnte Tuhimbise seine Spitalsgründung nur mit Hilfe eines Mikrokredits realisieren. 2008 kam er mit MED Net, einer lokalen Mikrokreditorganisation, die mit Oikocredit zusammenarbeitet, in Kontakt und nahm weitere fünf Darlehen zu je fünf Millionen Shilling (was rund 1.600 Euro entspricht) in Anspruch. Er eröffnete eine zweite Klinik, die auch nachts geöffnet ist. Heute steht ihm – dank der Mikrokredite – ein elfköpfiges Team, bestehend aus drei Schwestern, zwei Ärzten, zwei Reinigungskräften, zwei Laboranten und zwei Zahnärzten, zur Seite.

Tuhimbise investierte nicht nur in Personal, sondern auch in zahnärztliche Ausrüstung, Ultraschallgeräte, Labor und Arzneimittel. Damit behandeln er und sein Team etwa 1.000 Patienten im Monat, wovon eine Konsultation umgerechnet etwa einen Euro kostet. Den Großteil der Darlehen konnte er bereits nach vier Monaten zurückzahlen, obwohl die Geldanleihen erst binnen sechs Monaten rückerstattet hätten werden müssen. Der afrikanische Arzt plant weitere Projekte: etwa die Implementierung eines Krankenversicherungssystems oder die Gründung eines weiteren Spitals. Dies ist wiederum nur mit Unterstützung durch Mikrokredite durchführbar.

Auch in Österreich ist es möglich, etwas zu den Mikrokrediten von Oikocredit beizusteuern. Ab einer Mindesteinlage von 200 Euro kann man sich an der Genossenschaft beteiligen; es gibt keine Bindefristen und sämtliche Kosten werden durch einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 15 Euro abgedeckt. Der österreichische Förderkreis Oikocredit Austria mit Sitz in Wien dient als Ansprechpartner und verwaltet das veranlagte Kapital treuhändisch. Die Gelder werden über eine zentrale Koordinationsstelle in den Niederlanden an 35 Regionalbüros in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa geleitet, die vor Ort mit den Partnerorganisationen in Kontakt stehen. Schon mit einer Geldanlage von 1.000 Euro bei Oikocredit werden zehn Familien pro Jahr erreicht. Es handelt sich dabei nicht um eine Spende, sondern um eine Starthilfe, da das Geld an den Geldgeber zurückkommt, sobald er es selbst benötigt.

Tipp:
Weitere Informationen gibt es unter:
www.oikocredit.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2010