EBM-Guidelines: Beste Evidenz und breite Erfahrung

15.08.2010 | Service

Die EBM-Guidelines werden für den deutschsprachigen Raum nicht nur übersetzt, sondern auch an die Verhältnisse angepasst. Dabei gibt es nicht nur Adaptierungen, sondern auch Neuerstellungen von Artikeln.
Von Karin Gruber

Die „Evidence Based Medicine Guidelines“ wurden 1989 in Finnland begründet und werden ständig aktualisiert, sind also als ein „work in progress“ konzipiert. Das gilt natürlich auch für die deutsche Ausgabe, die 2005 erstmals erschienen ist. Herausgegeben wird sie von Susanne Rabady, Erwin Rebhandl und Andreas Sönnichsen, produziert im Verlagshaus der Ärzte in Wien. Die rund 20 Reviewer für die deutschsprachige Ausgabe aus dem Kreis der österreichischen Fachgesellschaft für Allgemeinmedizin ÖGAM bearbeiten die Richtlinien auch im Hinblick auf eine Adaptierung an das hiesige Gesundheitssystem.

Von Adaptierungen …

Ein Beispiel für die Anpassung an das hiesige Gesundheitssystem ist das Thema „Asthma“. Gibt man in der Online-Version der EBM-Guidlines für Allgemeinmedizin den Suchbegriff „Asthma“ ein, erscheint ein Text, der wie alle Artikel von einem finnischen Autor unter Berücksichtigung der derzeit verfügbaren besten Evidenz verfasst und je nach Erfordernis mit entsprechenden Experten abgestimmt wurde. „Der Artikel über Asthma ist einer jener Artikel, die aufgrund der Unterschiede in den Gesundheitssystemen an die Verhältnisse im deutschsprachigen Raum angepasst werden mussten“, berichtet Rabady. In den meisten Regionen Finnlands sind allgemeinmedizinische „Health Center“ für die Grundversorgung zuständig. Diese verfügen über eine gute personelle und apparative Grundausstattung und haben darüber hinaus einige stationäre Betten, in denen Patienten über Nacht beobachtet werden können. Daher wurde in der deutschsprachigen Ausgabe abgesehen von einigen weiteren kleineren Anpassungen der ursprüngliche Gliederungspunkt „Indikationen für …“ durch den Punkt „Entlassung nach Hause“ ersetzt. Erarbeitet wurden diese Modifikationen mit Univ. Prof. Sylvia Hartl von der Respiratory Unit am Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe in Wien.

„So ein Vorgehen ist typisch für die Bearbeitung“, erklärt Rabady, „Differenzen im Vorgehen, die sich ausschließlich aus regionalen Unterschieden ergeben, werden vom österreichischen allgemeinmedizinischen Team, meist in Kooperation mit Spezialisten, geändert.“ Unterschiede können sich aber auch in weiteren Aspekten ergeben, etwa Differenzen aufgrund unterschiedlicher Interpretation von Evidenz oder aufgrund von Unterschieden in den jeweiligen nationalen Leitlinien. Rabady: „Darüber wird dann mit den Originalautoren diskutiert. Das Ergebnis wird sowohl in die deutschsprachige als auch in die internationale Ausgabe aufgenommen. Daraus entsteht immer wieder ein spannender, grenzüberschreitender Austausch von Wissen und Erfahrungen.“

… bis zur Neuerstellung

In der aktuell vorliegenden Version wurden inhaltliche Veränderungen unter anderem auch bei der oberflächlichen Thrombophlebitis vorgenommen. Diese Adaptierungen wurden in Zusammenarbeit mit Univ. Prof. Barbara Binder von der Grazer Universitätsklinik für Dermatologie durchgeführt. Was alle am Projekt Beteiligten besonders freut, ist die Tatsache, dass diese Modifikationen – so wie andere auch – in die internationale Version aufgenommen worden sind, die in Kürze bei Wiley’s erscheint. Das Thema „Lungenödem“ wurde in Kooperation mit Johann Altenberger vom LKH Salzburg bearbeitet.

Die Bereiche „Arthrosen“ und „Lumbalgie“ im Bereich Physikalische Medizin und Rehabilitation in der aktuellen Ausgabe wurden gänzlich neu erstellt – bei Arthrosen inklusive einer Zusammenfassung der gesamten Evidenzlage. Die entsprechenden Links bis in die Volltextversionen der Cochrane Library sind ebenfalls angeführt. Diese Neuerstellung ist das Resultat der Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation in Wien.

Praxisbeispiel:

An einem Sonntagabend kommt ein 18-jähriger Patient in die Ordination, da er stark hustet und schon eine deutliche Dyspnoe hat. Ein leichtes Asthma bei familiärer Disposition sowie eine Katzenhaar-Allergie sind bekannt. Akute Anfälle waren in der Kindheit (bei sehr kooperativen Eltern und phasenweiser inhalativer Kortisontherapie) nie aufgetreten. Nun zeigt er ausgeprägtes Giemen, das Pulsoxymeter zeigt einen pO2 von 89%. Nach der Akutbehandlung erholt sich der Patient rasch und möchte nach Hause gehen.

Gibt es in dieser Situation objektive Kriterien, nach denen sich eine rationale Entscheidung treffen lässt? Oder muss man sich auf das Gefühl verlassen – mit der damit verbundenen Unsicherheit?

Das sagen die EBM-Guidelines:
Nach Aufrufen des Suchbegriffs „Asthma“ erscheint eine Auswahl, bei der im vorliegenden Fall „Asthma bronchiale: Behandlung bei akuter Exazerbation“ angeklickt wird. Nun lässt sich je nach Zeit, Dringlichkeit und momentanem Interesse entweder der ganze Artikel lesen, oder der entsprechende Gliederungspunkt am Beginn (blau gekennzeichnet) direkt anklicken. Im Augenblick steht eine klare Fragestellung zur Entscheidung an, der Punkt „Entlassung nach Hause nach Asthma-Anfall“ bringt rasch die erforderliche Information.

Der Patient wird noch eine Weile in der Ordination nachbeobachtet, entsprechend instruiert und ausgerüstet, und kann, nach Durchgehen der Checkliste, mit einem berechtigten Gefühl der Sicherheit auf beiden Seiten nach Hause gehen.

 

Interview – Univ. Prof. Dr. Veronika Fialka-Moser

Im Licht der Erfahrung von Experten

Univ. Prof. Veronika Fialka-Moser, Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Wien, zu den EBM-Guidelines und die Neuerstellung – die erste, die in Österreich durchgeführt wurde – der Artikel „Arthrosen“ und „Wirbelsäulenschmerzen“.

ÖÄZ: Wie stehen Sie zu den EBM-Guidelines generell?
Fialka-Moser: Ich sehe dieses Projekt sehr positiv. Es ist sicherlich hilfreich, wenn niedergelassene Kollegen Richtlinien als Unterstützung bekommen. Natürlich ist es auch wichtig, auf den Patienten einzugehen und individuelle Probleme zu berücksichtigen. Das zeichnet den guten Arzt ja aus.

Was hat Sie bewogen, an den EBM-Guidelines mitzuarbeiten?
Arthrosen und Wirbelsäulenschmerzen sind sehr häufige Erkrankungen und man kann mit konservativen Therapien viel erreichen. Physikalische Medizin und Rehabilitation sind in den Guidelines ursprünglich aber nicht von Fachleuten zusammengestellt worden. Da war es mir ein Bedürfnis, von fachlicher Seite Stellung zu nehmen und einiges richtig zu stellen.

Die Expertenmeinung hat in den Guidelines einen hohen Stellenwert.

Ich bringe gerne meine Erfahrungen ein und kann das auch stellvertretend
für die beiden Kolleginnen und den Kollegen aus meinem Team sagen, die an den Guidelines mitgearbeitet haben. Das Know-how und die Erfahrung von Experten sind für die EBM-Guidelines ja ebenso wichtig wie die Zusammenführung der relevanten Fachliteratur.

Wie stellt sich der Prozess der Evidenzsuche und Selektion kurz dar?

Es ist die gängige Literatur in der ISI–Liste zu sichten, ebenso Cochrane Reviews und andere aktuell relevante Reviews. Dabei muss man bedenken, dass auch Reviews nicht vollkommen und daher kritisch zu betrachten sind. Die Empfehlungen werden immer wieder revidiert und neu eingestuft. Den „Stein der Weisen“ hat man auch in unserem Gebiet noch nicht gefunden.

Was meinen Sie zur Online-Version?
Das ist eine sehr begrüßenswerte Option, weil dadurch eine ständige Aktualisierung möglich wird. In unserem Bereich tut sich sehr viel und Aktualisierungen sind wichtig.

Gibt es Feedback aus der Kollegenschaft?

Das Echo aus unserem Kollegenkreis ist absolut positiv, aus dem niedergelassen Bereich ist bei uns bisher kein Feedback eingegangen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2010