„Ärzte ohne Grenzen“: Hightech statt Erstversorgung

10.05.2010 | Service


In der jordanischen Hauptstadt Amman behandelt ein Team von Ärzten irakische Kriegs- und Bombenopfer. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Erstversorgung von Betroffenen, sondern um hoch spezialisierte rekonstruktive Chirurgie.

Von Birgit Oswald

Dieses Projekt, das im Rahmen einer Mission von Ärzte ohne Grenzen durchgeführt wurde, zeichnet ein völlig neues Bild von medizinischen Hilfseinsätzen. Denn anders als bei typischen Einsätzen der humanitären Organisation, bei denen die Erstversorgung der Patienten im Vordergrund steht, unterscheidet sich der Einsatz im irakischen Nachbarstaat Jordanien, der wegen mangelnder Sicherheit nicht in Bagdad selbst durchgeführt werden kann, dadurch, dass der Fokus auf der Sekundärversorgung von Kriegsverletzten liegt. Vor allem rekonstruktive, orthopädische, plastische und maxillo-faziale rekonstruktive Chirurgie kommen vor Ort zum Einsatz. „Wir haben überwiegend Granaten- und Bombenopfer betreut, Menschen mit zerschmetterten Gliedmaßen, offenen und infizierten Frakturen und Verbrennungen“, erklärt Univ. Prof. Jörg Pont, der gerade von seinem dreimonatigen Aufenthalt in Amman zurückgekehrt ist.

Für den pensionierten Onkologen war es bereits die vierte Mission, die er für Ärzte ohne Grenzen absolviert hat, wobei dieses Projekt erstmals aufwendige Hightech-Chirurgie erforderte. Im Spital des Roten Halbmonds, in dem Pont tätig war, steht für Ärzte ohne Grenzen ein Stockwerk mit rund 50 Betten zur Verfügung; neben sehr gut ausgebildeten Chirurgen und Schwestern ist auch hochwertiges medizinisches Inventar vorhanden. „Es gibt etwa ein geeignetes bakteriologisches Labor, das wegen dem Hauptproblem der chronischen Osteomyelitis unbedingt benötigt wird. Das ist ein bakteriologisches Muster, das sich durch einen außerordentlichen Prozentsatz an multiresistenten Keimen auszeichnet“ erläutert Pont. Aber auch die Zusammenarbeit mit dem Team – zwei Orthopäden, zwei plastischen Chirurgen, zwei maxillo-fazialen Chirurgen und zwei Allgemeinmedizinern – das sich vor Ort befindet, und deren Fachkenntnisse, beschreibt Pont als sehr kompetent und verlässlich. Die Mediziner stammen teils aus dem Irak und teils aus Jordanien, auch der Rest des medizinischen Personals war arabischer Herkunft. „Die Zusammenarbeit mit den Krankenschwestern, die zum Teil sehr religiös und verschleiert sind, ist nach einigen Tagen sehr locker, so als ob man das immer so gemacht hätte.“ Wenn man kulturelle Sensibilität aufweist, könne man wunderbar mit arabischer Bevölkerung zusammenarbeiten, beschreibt Pont.

Schon im Vorfeld wird von Ärzte ohne Grenzen auf die Offenheit für kulturelle Unterschiede besonders geachtet. Die Organisation unterzieht das medizinische Personal einem gründlichen Briefing, das Informationen zu Gesellschaft, Wirtschaft, Religion und Kultur des Einsatzlandes beinhaltet. Gute Englisch-Kenntnisse sind Voraussetzung dafür, um einen Einsatz absolvieren zu können; das Beherrschen der Landessprache ist zwar ein Vorteil, aber keine Verpflichtung, da Dolmetscher bei den Projekten anwesend sind. „Ich konnte ein paar Wörter Arabisch, die sich auf die Medizin bezogen haben. Die persönlichen Begegnungen mit den Patienten und Einheimischen können vielleicht deshalb nicht so eng werden, wie die der irakischen Ärzte, dennoch habe ich unglaublich viel Sympathie und Dankbarkeit verspürt“ so Pont. Nicht nur das medizinische Personal, sondern auch die Patienten selbst sind sehr gut über das Projekt informiert und sind äußerst dankbar für die medizinische Hilfe. Denn ohne plastische Eingriffe wäre es für viele Kriegsopfer, deren Gesichter und Körper durch Verbrennungen oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind, sehr schwer, wieder gesellschaftliche Akzeptanz zu erzielen. Seit August 2006 wurden nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen 900 solcher irakischer Kriegsopfer rekonstruktiv behandelt. Dabei sind häufig nicht nur ein operativer Eingriff, sondern bei vielen Patienten zahlreiche, aufeinander folgende Operationen notwendig. Um die Wartezeit auf den nächsten Eingriff zu überbrücken, werden die Patienten wieder zurück in den Irak gebracht, was einen hohen logistischen Aufwand mit sich bringt.

Zusätzlich werden pro Monat 30 bis 35 neue irakische Patienten aufgenommen, die zuerst in einem Hotel vor Ort untergebracht werden. Voruntersuchung, Operationsfreigabe, die Betreuung zwischen den einzelnen Eingriffen sowie die Nachbetreuung finden dann im Basement-Department statt. Abgesehen von Sprach- und Kulturunterschieden unterscheidet sich ein typischer Tag im Spital des Roten Halbmonds aber kaum vom westlichen Klinikalltag. Morgens beginnt der Dienst um Acht, nach einer Stationsbesprechung folgt die gemeinsame Visite. Danach werden Patienten in der Ambulanz sowie auf den Stationen betreut. Geprägt haben Jörg Pont vor allem die vielen Begegnungen mit teils sehr jungen Kriegsopfern. „Ich erinnere mich besonders an die vielen Kinder mit schrecklichen Verbrennungen und Gesichtsverletzungen. Manche hatten ein Bein verloren und am anderen eine nicht heilen wollende Fraktur, um die man ringt“ erzählt Pont. Gelernt habe er vor allem über kulturelle Zusammenhänge, gesellschaftliche Bezüge und seine eigene Flexibilität. Trotz der großen kulturellen und medizinischen Unterschiede zieht Pont ein positives Resümee: „Alle vier Einsätze haben mich sehr beeindruckt, ich empfinde Nähe zu allen Ländern. Ich bin zwar noch in keines zurückgekehrt, es wäre aber äußerst spannend zu sehen, was vom Projekt geblieben ist.“

 

Zur Person

Jörg Pont: Bevor der 1944 geborene Wiener Onkologe seinen Ruhestand antrat, war er in leitender Funktion im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital tätig und lehrte an der Medizinischen Universität Wien. Er war viermal für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz: von März 2005 bis Dezember 2005 in Myanmar (Burma), von Dezember 2006 bis Juni 2007 in Liberien, von November 2007 bis Dezember 2007 in Kirgisistan und von Dezember 2009 bis Feber 2010 in Jordanien; davon war Pont zweimal als Medical Director im Einsatz.

 

 

Tipp
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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2010