Wachstumseffekte des Gesundheitswesens: „… ohne Gesundheit ist alles nichts“

25.06.2010 | Politik

„…ohne Gesundheit ist alles nichts“

Der bessere Gesundheitszustand der österreichischen Bevölkerung hat maßgeblich zur Steigerung der Produktivität beigetragen – so lautet eines der zentralen Ergebnisse einer Studie des Instituts für Höhere Studien über die Wertschöpfungseffekte des Gesundheitswesens, die Anfang Juni in Wien präsentiert wurde.
Von Agnes M. Mühlgassner und Anton Sinabell

Dass Gesundheit, Arbeit und Wirtschaft sehr eng zusammenhängen und einander gegenseitig beeinflussen, wurde nun erstmals in einer vom Institut für Höhere Studien erstellten Untersuchung dokumentiert. Mitten in die Diskussion rund um die Schließung von österreichischen Spitälern, die weniger als 300 Betten haben, fiel die Präsentation der Studienergebnisse des Instituts für Höhere Studien (IHS). Und ÖÄK-Präsident Dorner nahm in seinem Eingangsstatement bei der Pressekonferenz unmittelbar Bezug darauf, als er meinte: „Es ist unwürdig für Österreich, nur eine ökonomisch orientierte Diskussion zu führen. Unser Gesundheitssystem ist kein Luxus.“ Den Ausgaben im Gesundheitssystem stehe auch ein volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüber: mehr als 400.000 Vollzeit-Arbeitsplätze und mehr als 22,5 Milliarden Euro Wertschöpfung. Dorner weiter: „Hier wird nicht fahrlässig Geld verschwendet. Ärzte erbringen produktiv etwas für die österreichische Volkswirtschaft“.

Wie Univ. Prof. Bernhard Felderer bei der Präsentation ausführte, sei sowohl die Mortalität als auch die Zahl der Krankenstände in den letzten 40 Jahren gesunken. „Rund die Hälfte davon ist auf Verbesserungen im Gesundheitssystem zurückzuführen“, erklärte der Experte. Im Rahmen der Studie wurden drei zentrale Fragen gestellt: Welche Wertschöpfungseffekte hat das Gesundheitswesen als Teil der österreichischen Wirtschaft? Im Verfahren von Input-Output-Analysen (siehe Kasten) wurde ermittelt, dass die durch das Gesundheitswesen generierte Wertschöpfung für 2006 etwa 22,5 Milliarden Euro beträgt. Die im Ausland generierte Wertschöpfung liegt bei zehn Milliarden Euro. Darüber hinaus wurde ein Beschäftigungseffekt von 445.000 Arbeitsplätzen erzielt, im Ausland von rund 128.000 Arbeitsplätzen (dies erfolgte durch Vorleistungen wie etwa im Ausland gefertigte Geräte oder Arzneimittel).

Frage 2 lautete: Welche ökonomischen Effekte hat die Gesundheitsverbesserung der letzten Jahrzehnte bewirkt? Felderer dazu: „Die Verbesserung der Gesundheit in den letzten Jahrzehnten hatte einen nicht unwesentlichen Anteil an der Produktivitätssteigerung der erwerbstätigen Bevölkerung“. Wenn beispielsweise die Morbidität und Mortalität von 1980, 1990 oder 2000 gegenwärtig vorgeherrscht hätten, wäre das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) im Jahr 2007 um 5,2 Prozent beziehungsweise 3,2 Prozent/1,8 Prozent niedriger ausgefallen. In Zahlen bedeutet das 14 Millionen Euro (bei 5,2 Prozent), 8,6 Millionen Euro (3,2 Prozent) beziehungsweise 4,8 Millionen Euro (1,8 Prozent) weniger für das BIP.

Stellt man in einem nächsten Schritt die Steigerung der Gesundheitsausgaben der jeweiligen Abschnitte den Verbesserungen des Gesundheitszustandes im Sinn einer Kosten-Nutzen-Analyse gegenüber, zeigt sich, dass hier auch in der Gesamtbetrachtung der volkswirtschaftliche Nutzen – gemessen an der Produktivität – höher als die dafür aufgewendeten Kosten ist – und das obwohl die Produktivität im Pensionsalter gegen Null geht.

Frage 3 schließlich befasste sich damit, inwieweit die Höhe der Gesundheitsausgaben die österreichische Volkswirtschaft beeinflusst. Dafür wurde in einem Simulationsmodell berechnet, welche Folgen eine fünfprozentige, unspezifische Reduktion der Gesundheitsausgaben hätte: Es käme zu einer Steigerung der Morbidität und somit der Krankenstände. Die Erhöhung der Krankenstände bewirkt eine Abnahme der Produktivität und damit eine Verringerung des BIP pro Erwerbsfähigem. Dadurch sinkt die Beschäftigung und die Arbeitslosenquote steigt. Die geringere Produktivität schlägt sich in niedrigeren Arbeitslöhnen nieder, was wiederum zu einer Schwächung der Kaufkraft im Bereich des privaten Konsums führt. Resümee des Wirtschaftsexperten: „Gesundheitsausgaben sind nicht nur als Kosten zu sehen, sondern sie helfen auch, dass der Patient gesund wird und das hat auch volkswirtschaftliche Auswirkungen“.


Ökonomie ist nicht alles

Über die Ergebnisse der Studie und darüber, welche Interdependenzen es zwischen Gesundheit, Arbeit und Wirtschaft gibt, diskutierte Anfang Juni eine hochkarätige Expertenrunde im Rahmen einer Fachtagung, die von der Österreichischen Ärztekammer in Zusammenarbeit mit dem Institut für Höhere Studien (IHS) sowie der Statistik Austria veranstaltet wurde.

Die drei Aspekte Gesundheit, Arbeit und Wirtschaft zusammen zu diskutieren und sie in den Mittelpunkt zu stellen, ist in den Augen von Gesundheitsminister Alois Stöger wichtig. Speziell in der Wirtschaftskrise habe sich das Gesundheitswesen als Jobmotor erwiesen; Arbeitsplätze wurden erhalten und weiterentwickelt. Stöger weiter: „Das Gesundheitssystem stützt in der Krise auch das Gesamtsystem“. Die Stärke des Systems liege in der Solidarität: „Je solidarischer ein Gesundheitssystem ist, umso effizienter ist es“.

ÖGB-Präsident Erich Foglar hob „positivst“ hervor, dass „mit dieser Studie und mit dem Titel Interdependenzen endlich einmal ein anderes Thema als das Kostenthema beleuchtet wird“. Was ihn, Foglar, auch hoffen lasse, dass in Zukunft nicht nur über die Kosten im Gesundheitswesen geredet werde. Für den ÖGB-Präsidenten stellt das Gesundheitssystem einen der „wichtigsten wirtschaftlichen Stabilisatoren, die wir haben“, dar – mit einem wesentlichen Teil der Wertschöpfung, wie er ausdrücklich betonte. Gleichzeitig äußerte er jedoch auch seine Sorge über die Bedingungen der Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten: Wie krank werden die Menschen durch die Arbeit? Und: Wie steht es um die Ausbildung, die Weiterbildungsmöglichkeiten und die Bezahlung? Insgesamt sieht Foglar im Gesundheitssektor durchaus Steigerungspotential: „Die Pflege und die Betreuung müssen wachsen. Wir brauchen eine Infrastruktur und auch die Finanzierung jenseits von betriebswirtschaftlichem Terror. Wir müssen aber auch schauen, dass es finanzierbar ist“.

Das Gesundheitswesen habe grundsätzlich etwas Anderes als den Wirtschaftseffekt in den Vordergrund zu stellen, betonte Wolfgang Sobotka, Landeshauptmannstellvertreter in Niederösterreich, nämlich die Gesundheit für den Patienten. In seinen Ausführungen ging Sobotka näher auf die direkten und indirekten Folgen von Spitalsschließungen ein und erläuterte dies am Beispiel des Krankenhauses Waidhofen an der Thaya. Rund 34 Millionen Euro bringt die öffentliche Hand dafür auf – mit einem Gesamteffekt von 50 Millionen Euro an Wertschöpfung. Der Nettoeffekt dabei: sieben Millionen Euro. Ohne das Krankenhaus Waidhofen – so Sobotka – würde diese Region um 33 Millionen Euro weniger an Wertschöpfung erzielen; es gäbe rund 1.000 Arbeitsplätze weniger. Darüber hinaus seien mehr als 60 Prozent der Angestellten in einem Krankenhaus höher qualifiziert, und er nannte als weitere Aspekte, die es zu bedenken gilt, Infrastruktureffekte wie etwa Kindergärten und Schulen. Sobotka: „Aus dieser nüchternen volkswirtschaftlichen Beobachtung haben wir uns zu dieser Vorgangsweise, die 22 Akuteinheiten in Niederösterreich zu erhalten, entschlossen“. Noch dazu sei im ÖSG (Österreichischer Strukturplan Gesundheit) festgelegt, dass die Erreichbarkeit eines Krankenhauses innerhalb von 30 Minuten gegeben sein muss. Fazit von Sobotka: „Was volkswirtschaftlich richtig ist, ist auch betriebswirtschaftlich richtig.“ Des Weiteren plädierte er dafür, sich inhaltlich weiter zu bewegen und weiter zu entwickeln, das Gesundheitswesen nicht krank zu reden oder gesund zu sparen.

Die Frage, wo eine Leistung erbracht wird, ist für den Gesundheitsminister eine zweitrangige. Viel wichtiger seien Fragen wie: Welche Bedürfnisse hat der Patient? Und: Was ist Qualität? Hier sei nach Ansicht von Stöger „viel“ zu diskutieren. „Wir sind Weltmarktführer im Gesundheitswesen. Das wollen wir aufrecht erhalten und diese Position tagtäglich verteidigen.“

Foglar wiederum brachte noch einmal den Kostenaspekt in die Diskussion ein: „Das beste Gesundheitssystem hat seinen Preis“. Und er sprach sich grundsätzlich gegen eine reine Ökonomisierung des Gesundheitswesens aus. „Nirgendwo steht der Mensch so im Mittelpunkt – auf beiden Seiten – wie im Gesundheitssystem“, betonte der ÖGB-Präsident.

Dass die Ökonomie kein Allheilmittel ist, steht für ÖÄK-Präsident Walter Dorner außer Zweifel. Und er kündigte weiter gehende Analysen an: „Diese Studie ist ein Anreiz für uns, auf diesem Gebiet weiter zu arbeiten“.

Input-Output-Analyse

Um die Bedeutung des österreichischen Gesundheitswesens als Wirtschaftszweig zu untersuchen, wurde die Input-Output-Analyse als Methode eingesetzt. Damit können wirtschaftliche Verflechtungen der einzelnen Wirtschaftszweige untersucht werden, das heißt: Welche Auswirkungen hat die Nachfrage in einem Wirtschaftsbereich – etwa im Gesundheitswesen – auf die Beschäftigung, Wertschöpfung und öffentlichen Einnahmen in der gesamten Wirtschaft. Beispiel Hüftendoprothetik: Hier entstehen nicht nur unmittelbar im Zusammenhang mit der Operation wirtschaftliche Effekte (Beschäftigte im Spital; durch deren Einkommen eine unmittelbare Wertschöpfungskomponente etc.) sondern auch Effekte im vor- und nachgelagerten Bereich. An Vorleistungen sind etwa das künstliche Hüftgelenk, Strom für die Operation, Verköstigung des Patienten erforderlich, für die auch wiederum gewisse Vorleistungen notwendig sind: wie zum Beispiel das zur Fertigung des Hüftgelenks erforderliche Material etc. Dazu kommen konsum-induzierte Effekte etwa durch das Einkommen der Angestellten in einem Krankenhaus; die konsumierten Leistungen, also die Nachfrage von Konsumgütern der Dienstleistungen, lösen weitere Effekte auf die gesamte Wirtschaft aus.

Gesamteffekte des Gesundheitssektors in Österreich 2006:

  • Wertschöpfungseffekt: 22,5 Milliarden Euro (9,7 Prozent der gesamtösterreichischen Wertschöpfung)
  • Mehr als 445.000 Vollzeit-Arbeitsplätze (12,5 Prozent der gesamtösterreichischen Vollzeitarbeitsplätze)
  • Staatliche Einnahmen: 10,4 Milliarden Euro (9,3 Prozent der gesamten öffentlichen Steuern und Sozialbeiträge)
  • 6,7 Milliarden Euro an in Österreich getätigten privaten Ausgaben

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2010