US-Gesundheitswesen: Ringen um die Zukunft

25.11.2010 | Politik

Nach der herben Niederlage der Demokraten bei den Kongresswahlen Anfang November verlangen die Republikaner einen Kurswechsel von Präsident Barack Obama. Im Fokus der Debatte: die umstrittene Gesundheitsreform.
Von Nora Schmitt-Sausen

Die Rhetorik der Sieger verheißt nichts Gutes für den Präsidenten und seine Gesundheitsreform. Der Republikaner John A. Boehner, zukünftiger Sprecher im republikanisch dominierten Repräsentantenhaus, bezeichnete die Reform noch in der Wahlnacht als „Ungetüm“, das es abzuschaffen gelte. Die Wahlergebnisse hätten deutlich gezeigt, dass die Amerikaner ObamaCare zurückgewiesen hätten. Sie wollten nicht, dass der Staat sich derart in ihre persönlichen Angelegenheiten einmische. Beflügelt von dem Wahlsieg überschlagen sich die Konservativen auch in den Tagen nach der Wahl landesweit mit scharfen Parolen gegen Obamas Prestigeobjekt. Die Republikaner – und allen voran die Vertreter der radikalen Tea-Party-Bewegung – hatten das Zurücknehmen der Gesundheitsreform zu ihrer zentralen Botschaft im Wahlkampf gemacht.

Doch so leicht wie im Wahlkampf propagiert, ist die Sache nicht. Die Republikaner haben zwar ab Januar die Mehrheit im Repräsentantenhaus, doch im Senat haben weiterhin die Demokraten das Sagen. Beide Kongresskammern müssten jedoch einer Aufhebung der Reform zustimmen. Dass das passiert, gilt als nahezu ausgeschlossen. Letztlich hat ohnehin einer das letzte Wort: Obama. Der Präsident besitzt ein Vetorecht und kann Gesetzesvorlagen aus dem Kongress stoppen.

Doch die Republikaner lassen in diesen Tagen genüsslich ihre Muskeln spielen. Und schicken deutliche Kampfansagen in die amerikanische Schaltzentrale nach Washington. Wenn auch nicht in einem Ruck, so würde die Reform Stück für Stück in ihre Einzelteile zerlegt, um sie am Ende doch vollständig zu kippen, tönt es aus dem konservativen Lager. Dafür ist den Republikanern jedes Mittel Recht: „Ich habe die Absicht, jedes Werkzeug zu nutzen, um eine vollständige Aufhebung von ObamaCare zu erreichen“, gibt Eric Cantor, der designierte Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, vollmundig zum Besten.

Taktische Manöver

Das bedeutet: Die Republikaner wollen das weitere Inkrafttreten der Reform mit taktischen Manövern und Blockadehaltungen erschweren – vor allem indem sie die nötige Freisetzung von Geldern für die Umsetzung einzelner Bestandteile verweigern. Auf diese Weise wollen sie zum Beispiel die Behörde boykottieren, die überwachen soll, dass sich die US-Bürger künftig versichern, und dass Arbeitgeber einen Anteil am Versicherungsschutz ihrer Angestellten tragen. In Frage gestellt werden auch die geplante Steuer auf Premium-Versicherungen sowie der Zugang zu staatlich geförderten Programmen, in denen die Kosten für Abtreibungen abgedeckt sind. Populäre Bestandteile der Reform wie das Verbot der Versicherer, Bürger wegen Vorerkrankungen abzulehnen, werden dagegen zunächst wohl unangetastet bleiben.

Zugute kommt den Republikanern bei ihren Plänen, dass sie nicht nur in Washington an Macht gewonnen haben, sondern auch in vielen Bundesstaaten Gouverneursposten ergattern konnten. Die Bundesstaaten übernehmen eine wichtige Rolle bei der Ausführung der Reform. Sie sollen dafür Sorge tragen, dass ein Markt mit zertifizierten und teils subventionierten Versicherungsangeboten für Individuen und Kleinunternehmer entsteht. Darüber hinaus sind die Bundesstaaten nach den Plänen Obamas in der Pflicht, die Ausweitung von „Medicaid“, dem staatlichen Hilfsprogramm für Bedürftige, umzusetzen. Viele der neu gewählten republikanischen Gouverneure haben bereits ihren Widerstand gegen diese Vorhaben angemeldet.

Präsident Obama weiß, dass er auf die veränderte politische Lage reagieren muss. Und er zeigt sich einsichtig. Bereits am Tag nach dem Wahldebakel räumte er vor laufenden Kameras ein, dass die Umsetzung der Reform ein ziemliches „Chaos“ sei. Der Präsident signalisierte außerdem seine Bereitschaft, über strittige Punkte der Reform zu sprechen. Er wolle Vorschläge der Republikaner berücksichtigen, die dazu beitrügen, „eine schnellere und effektivere Reform“ zu ermöglichen. Fundamentale Änderungen an der Reform will Obama jedoch nicht zulassen. Trotz der Wahlschlappe steht er hinter seiner Politik: „Es war richtig, dass wir das gemacht haben.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2010