Turnusarzt: Helfer des Pflegepersonals

10.09.2010 | Politik

In der Kernarbeitszeit ist man als Turnusarzt vor allem für bürokratische, nicht-medizinische Tätigkeiten zuständig, während man im Nachtdienst plötzlich medizinische Entscheidungen treffen soll. Ein Rückblick auf dreieinhalb Jahre Turnus in einem niederösterreichischen Spital.
Von Simone Gabriel*

Vor mehr als drei Jahren trat ich als hoffnungsfrohe „Jungmedizinerin“ meine Ausbildung zur Ärztin für Allgemeinmedizin als Turnusärztin in einem niederösterreichischen Krankenhaus an. Schon damals wusste ich aus Gesprächen mit Kollegen, die schon etwas weiter im Turnus waren, dass harte Zeiten auf mich zukommen werden. Wie hart – und das kann man wohl erst verstehen, wenn man es selbst erlebt hat – sollte ich alsbald am eigenen Leib erfahren.

Aber ich beginne von vorne. Nach Abschluss meines Studiums absolvierte ich zunächst – und um die Wartezeit auf einen Turnusplatz zu verkürzen – eine sechsmonatige Lehrpraxis bei einem Allgemeinmediziner. Diese Zeit war für mich von großem Nutzen, da ich Einblick in die tägliche Routinearbeit eines praktischen Arztes erhielt und außerdem Praxis im Blutabnehmen, Herstellen von Infusionslösungen und der Handhabung von Medikamenten gewinnen konnte. Doch allzu schnell war diese doch recht wohlbehütete und gut betreute Phase vorbei und ich trat meinen Turnus an.

Die erste Zeit in diesem neuen – für mich total unbekannten – Krankenhaus war geprägt von Überforderung: angefangen von der Lokalität, davon, mich halbwegs zurechtzufinden und wieder auf die eigene Abteilung zu gelangen, über ein fremdes Computersystem, „Routinearbeiten“, die mir als Anfängerin aber fremd waren, bis hin zu stets neuen Gesichtern. In der „Kernarbeitszeit“ hatte ich – zum Glück – fast immer Kollegen, die mir über organisatorische Unsicherheiten und Abläufe hinweg helfen konnten. Wie zum Beispiel: „Wie wäscht man sich steril im OP?“ oder: „Was muss man beim sterilen Anziehen alles beachten?“

Wirklich problematisch wurde es dann allerdings im ersten Nachtdienst, ein Samstag und mein insgesamt fünfter Arbeitstag. Ich war absolut noch nicht mit dem Hausgebrauch vertraut, da ich nur rasch und andeutungsweise von einem Kollegen „eingeschult“ wurde. Zu allem Überfluss war auch gerade Urlaubszeit und damit die Station chronisch unterbesetzt. Da ich noch relativ unsicher beispielsweise beim Setzen eines Venflons war, benötigte ich dafür – jedenfalls aus heutiger Sicht – unverhältnismäßig lange – ebenso auch für viele andere „einfache“ Tätigkeiten und war auch noch nicht in der Lage, Prioritäten bei der Aufgabenerfüllung zu setzen. Daraus resultierte, dass ich sehr viel Zeit mit dem Laufen von einer Station auf die andere und wieder zurück verbrachte; mittlerweile kannte ich zumindest die Örtlichkeiten ein wenig. Schlussendlich blieb mir kaum Zeit, etwas zu trinken – geschweige denn zu essen oder auf die Toilette zu gehen! Es überkam mich pure Verzweiflung und die Frage, ob ich einen solchen Dienst überhaupt noch einmal durchstehen könnte. Dies hat sich zum Glück im Laufe der Zeit geändert. Ich lernte, Wichtigkeiten besser abzuschätzen und auch einmal zu sagen: “Nein, dass muss jetzt warten, ich muss zuerst die Blutkonserve anhängen.“

Im Nachtdienst allein

Der Druck auf einen Turnusarzt ist – vor allem im Nachtdienst – besonders groß. Während des Tages – also der Kernarbeitszeit – überwiegen hauptsächlich bürokratische, nicht medizinische Aufgaben wie Entlassungsbriefe schreiben und diktieren, Fieberkurven umschreiben, Telefonanrufe erledigen (Termine für Untersuchungen, Kontrollen vereinbaren beziehungsweise Ergebnisse von Untersuchungen abfragen,…) und ICD 10-Codierungen vornehmen. Mit viel Glück kann man auch an den Visiten teilnehmen. Im Nachtdienst dagegen muss man plötzlich medizinische Entscheidungen treffen und sich autodidaktisch Wissen aneignen, für dessen Erwerb tagsüber keine Zeit blieb. Problematisch dabei ist, dass man keinerlei Feedback über diese Entscheidungen erhält. Waren sie richtig oder falsch? Wenn man dann einmal beurteilt wird, handelt es sich zumeist um negative Kritik. Lobesworte hört man als Turnusarzt sehr selten.

Dabei sind die Anforderungen an uns sehr breit gefächert und werden nicht nur vom Oberarzt und Assistenten gestellt, sondern auch vom Pflegepersonal, wobei hier gänzlich unterschiedliche Prioritäten vorliegen. Während die Pfleger meist am raschen Aufnehmen und Entlassen von Patienten durch den Turnusarzt interessiert sind, so möchte der Oberarzt seinem „Schüler“ Wissen im Rahmen einer Visite mitgeben. Ein Spannungsfeld, in dem der lernwillige aber auch um die Erledigung der Arbeit bemühte Turnusarzt das Opfer ist und zwischen den unterschiedlichen Anforderungen aufgerieben wird. Nicht selten geht auf diesem Weg der Idealismus, der uns vor vielen Jahren zum Medizinstudium bewog, unwiederbringlich verloren. Und es leidet die Ausbildung. Ärzte, die während des Turnus als Sekretärin und Hilfskraft eingesetzt werden, müssen sich das Wissen über eine Blutdruckeinstellung oder Blutzuckertherapie – Basiskenntnisse für einen Allgemeinmediziner – teuer über eine Fortbildung erwerben! In anderen Ländern ist der Ausbildner dafür verantwortlich, dass der Turnusarzt eine gute Ausbildung erhält. Hierzulande gilt die Maxime, dass die Ausbildung Hol-Schuld des Turnusarztes ist. Dieser ist jedoch bereits mit Routinetätigkeiten völlig ausgelastet, sodass er dazu neigt, die Turnusjahre nur ja durchzuhalten und sich das nötige Wissen eben später selbst in Fortbildungsveranstaltungen anzueignen.

Was bleibt nun von drei Jahren Turnus? Zunächst einmal eine große Dankbarkeit, dass ich die Zeit heil und ohne schlimmere Pannen überstanden habe – wobei sich das mit dem „heil“ wohl erst später herausstellen wird. Ich war eingebunden in ein Netz von sehr hilfsbereiten Turnus-Kollegen, die mir mit Rat und auch Tat zur Seite standen und mich so mit der Aufarbeitung von Problemen und Fragen unterstützten. Viele Oberärzte nahmen die Ausbildung von uns jungen Kollegen ernst und gaben ihr Wissen – je nach verfügbarer Zeit, aber das ist ein anderes Problem – an uns weiter. Jedoch konnte auch dieses Engagement nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich als Turnusärztin zwar tragende Säule im Spitalsalltag war, aber erstens jederzeit ersetzbar war und zweitens meine Hauptaufgabe darin bestand, Helferin der Oberärzte, Assistenten und vor allem auch des Pflegepersonals zu sein. Die praktische Schulung war nur der Zuckerguss oben drauf.

Trotz allem: nützlich

Insgesamt hat mir die Zeit trotz allem gut gefallen und war mir auch nützlich. Natürlich handelt es sich um eine Zeit großer Entbehrungen, unter der unter anderem soziale Kontakte leiden, da ich häufig an Wochenenden und Feiertagen arbeiten musste. Auch hat sich die Urlaubsplanung für mich stets als sehr schwierig erwiesen. Ob man zu dem gewünschten Zeitpunkt auf Urlaub gehen konnte, war häufig Glückssache, denn wir erfuhren zumeist sehr kurzfristig, auf welche Station wir als nächstes rotieren würden. Und da war der jeweilige Urlaubskalender immer schon vollbesetzt.

Was die Abteilungen anlangt, kann ich keine Präferenz angeben; natürlich gibt es Fächer die einem mehr liegen als andere. Unabhängig davon war es für mich mit zunehmender Turnuszeit immer leichter, weil ich mir mehr Wissen, mehr Praxis in den alltäglich anfallenden Arbeiten und mehr Selbstbewusstsein auch im Auftreten gegenüber dem Pflegepersonal aneignen konnte.

Turnus: schwierige Zeit

Für alle, die den Turnus noch vor sich haben, möchte ich betonen, dass die Turnuszeit bestimmt eine schwierige Zeit ist, in der man noch dazu – bezogen auf das Arbeitspensum – nicht wirklich gut verdient. Man ist Systemerhalter des Spitalsbetriebes, der möglichst viel in möglichst kurzer Zeit erledigt, Krankenstände kompensiert, für fehlende Nachtdienste einspringt, in der Urlaubssaison noch mehr arbeitet und dabei möglichst wenig murrt. Froh muss man sein, wenn man daneben noch Wissen für die Zeit danach mitnehmen kann.

Trotzdem lohnt sich der Turnus dank des Engagements einiger Kollegen, die uns möglichst viel Erfahrungen auf unseren weiteren Lebensweg mitgeben wollen! Und auch wenn man nicht wirklich gut auf die Zeit als praktischer Arzt vorbereitet wird (immerhin ist die Turnuszeit ja die Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin), so erhält man doch Einblicke in Untersuchungsabläufe und Vorgehensweisen, die einem später in der Praxis nützlich sein können. Und schlussendlich soll man die Hoffnung nie aufgeben, dass sich die Ausbildung nicht doch noch in absehbarer Zeit deutlich bessert. Zu wünschen wäre es uns allen!

* Name von der Redaktion geändert

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2010