Substitution mit Opioiden: Handlungsbedarf gegeben

10.10.2010 | Politik

Opioidtherapie ist vor allem Erfahrungssache – wenn auch stetige Weiterbildung und verlässliche Richtlinien im Behandlungsalltag unentbehrlich sind. Derzeit ist in Österreich nur jeder vierte Opiatabhängige in Behandlung.

In Österreich sind 50.000 bis 70.000 Menschen süchtig nach Opiaten wie beispielsweise Heroin. Doch nur rund 25 Prozent von ihnen befinden sich in einer Substitutionstherapie mit Medikamenten (Methadon, Buprenorphin oder retardiertes Morphin). Diese Therapie ermöglicht eine medizinische Betreuung sowie die soziale Stabilisierung der Betroffenen. Gleichzeitig gibt es auch eine gewisse Schwarzmarktproblematik bezüglich dieser Medikamente. Für Diskussionen sorgt unter Experten außerdem ein Gezerre in der Pharmaindustrie-Branche um Marktanteile für die verschiedenen Opioide.

Hier spielen die beiden Unternehmen Mundipharma (Jahresumsatz 2007: 25 Millionen Euro) und Aesca-Pharma (59 Millionen Euro) eine tragende Rolle. Das Mundipharma-Produkt Substitol (retardiertes Morphin) hat in Österreich laut AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) einen Marktanteil von 62 Prozent und sichert dem Unternehmen ein Drittel des Umsatzes. Aesca kommt mit seinen Produkten Subutex und Suboxone auf rund 21 Prozent. Den Rest teilen sich Compensan (retardiertes Morphin) von Lannacher (16 Prozent) und Kapanol von Glaxo SmithKline (ein Prozent). Weil Methadon direkt in Apotheken abgemischt wird, liegen der AGES dafür keine Zahlen zum Marktanteil vor.

Laut dem Bericht zur Drogensituation 2009 (im Auftrag der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht sowie des Gesundheitsministeriums) finden sich in Österreich Konsumerfahrungen mit illegalen Drogen (Lebenszeitprävalenz) am häufigsten bezüglich Cannabis mit Prävalenzraten von etwa 30 bis 40 Prozent – meist im jungen Erwachsenenalter. Zwei bis vier Prozent haben Erfahrung mit Ecstasy, Kokain und Amphetaminen und rund ein bis maximal zwei Prozent mit Opiaten. In den letzten Jahren wurde beim Probier- und Experimentierkonsum eine Verbreiterung des Substanzenspektrums festgestellt. In bestimmten Szenen und Gruppen von Jugendlichen finden sich dabei hohe Prävalenzraten für biogene Drogen und Schnüffelstoffe. Im Behandlungsbereich dominieren Opiate als vorrangige Problemdroge („Leitdroge“), während Kokain nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die zweite, zahlenmäßig relevante Gruppe im Behandlungssystem stellen Personen mit der Leitdroge Cannabis dar.

Neue Regelungen und weitere Pläne

Diese derzeit noch geltende Verordnung zur Regelung der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige soll demnächst weiter novelliert werden. Dazu bedarf es aber noch konkreter Empfehlungen der beratenden Gremien. Und hier schwelen weiterhin Konflikte, vor allem in der Frage der zu verwendenden Medikamente. Darüber hinaus besteht verstärkter Handlungsbedarf in einigen zentralen Punkten.

So ist etwa ein Rückgang bei der Zahl der behandelnden Ärzte festzustellen. „Unsere aktuellste Erhebung in Wien bestätigt, dass die Zahl der Ärzte, die mehr als zehn Opioidabhängige pro Quartal substituieren, gegenüber den Vergleichsdaten aus dem Jahr 2005 deutlich gesunken ist, und zwar von 151 auf 124“, erklärt Univ. Prof. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien. Parallel dazu hat sich die Zahl der Opioid-Substitutionspatienten pro Arzt fast verdoppelt. Fischer dazu: „Die durchschnittliche Anzahl von Patienten pro Arzt betrug im dritten Quartal 66,94. Im Jahr 2005 lag sie bei 34,89.“

Auch bei der Versorgung und Behandlung ist Handlungsbedarf gegeben. Die Kapazitäten des österreichischen Suchthilfesystems werden zwar laufend ausgebaut, reichen jedoch noch immer nicht aus (Drogenbericht 2009). Dies zeigt sich an den Wartelisten, die je nach Einrichtung oder Beratungsstelle vorliegen: Bis zu sechs Wochen betragen die Wartezeiten für ein Erstgespräch, für einen Therapieplatz mehrere Monate und für stationäre Entzugsbehandlung bis zu sechs Monate. Österreichweit wird in insgesamt rund 200 spezialisierten Einrichtungen stationäre oder ambulante Behandlung beziehungsweise Beratung im Zusammenhang mit Sucht und illegalen Substanzen durchgeführt. Die Bezirke mit teils unzureichender Versorgung befinden sich laut Drogenbericht 2009 vor allem in Niederösterreich, Oberösterreich und Tirol. Die Forderung von Fischer: „Es müsste deutlich mehr Spezialambulanzen an Spitälern geben. Suchtkranke brauchen eine Kontinuität der Mitarbeiter und Betreuer: vom Arzt über Psychologen bis zum Sozialarbeiter.“ Die ambulante Erhaltungstherapie mit synthetischen Opioiden ist der Expertin zufolge aus gesundheitsökonomischer Sicht allen anderen Interventionen klar überlegen. Die Kosten einer stationären Behandlung sind um das bis zu 24-Fache höher als die einer ambulanten Behandlung im gleichen Zeitraum beziehungsweise entsprechen die Kosten einer dreiwöchigen stationären Behandlung denjenigen einer achtwöchigen ambulanten Behandlung. Allerdings sollte für spezielle Indikationen ein stationäres Setting möglich sein, besonders für Patienten mit hoher Komorbidität, unterstreicht die Expertin, die auch Ausbildungspartnerin des „International Network of Drug Treatment and Rehabilitation Resource Center“ (UNODC) ist.

Zu den Maßnahmen, die gesetzt werden, um eine ausreichende Versorgung aufrecht zu erhalten, gehören auch finanzielle Anreize, die nach dem Beispiel Wiens durch Honorarvereinbarungen zwischen Ärztekammern und Gebietskrankenkassen erzielt wurden beziehungsweise werden sollen. Fischer: „Für den Arzt ist die Behandlung von opioidabhängigen Patienten durchaus lukrativ: er bekommt etwa 30 Euro pro Besuch, zehnmal im Quartal.“ In manchen Bundesländern sollen zusätzliche Kapazitäten vor allem für die Indikationsstellung und Erst-Einstellung geschaffen werden – etwa durch spezialisierte Ärzte, die an regional bestehenden Beratungsstellen tätig sind.

Wahl des Opioidmedikaments

Derzeit erweist sich besonders die Sicherstellung eines diversifizierten Angebots (also die Auswahl an unterschiedlichen Medikamenten) als schwierig. Kontroversiell wird auch die gesetzliche Festlegung eines „Mittels der ersten Wahl“ in einer Verordnung diskutiert. Als problematisch wird beispielsweise gesehen, dass psychische Unverträglichkeiten von Methadon im Gegensatz zu somatischen nicht objektivierbar sind. In der Verordnung des Gesundheitsministeriums ist bisher von Methadon und Buprenorphin als Mittel der ersten Wahl die Rede. Doch die Praxis sieht anders aus: Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen retardiertes Morphin für die Opioid-Substitution erlaubt ist und auch häufig verschrieben wird. Fischer dazu: „Es kann leider am leichtesten missbräuchlich verwendet werden, weshalb es relativ häufig von den Patienten gewünscht und dann von vielen Ärzten auch verschrieben wird“. Eine Praxis, die für sie mehr als bedenklich ist: „Wir rutschen hier im internationalen Vergleich immer mehr ab. Im dritten Quartal des Jahres 2008 bekamen nur noch 14 Prozent der Patienten Methadon verschrieben. Bereits zwei Drittel aller Patienten in Wien sind auf retardierte Morphine eingestellt. Die sind zwar gut, aber nicht in so einem Überhang. Viele Ärzte können sich hier zu wenig abgrenzen.“

Problemfeld: Zusatzverordnungen

Ein weiteres Thema in der Opioidsubstitutions-Behandlung ist die Verordnung von Benzodiazepinen zusätzlich zum Substitutionsmittel und die damit verbundenen Wechselwirkungen und das Abhängigkeitspotenzial. „Wir haben einen überraschend starken Anstieg der ausgestellten Benzodiazepin-Rezepte im selben Beobachtungszeitraum“, wie Fischer erläutert. Von den insgesamt 34.868 Verschreibungen waren 16.481 für Opioide und 18.387 für Benzodiazepine. Ein Teil der Personen in Opioidbehandlung benötige zwar Benzodiazepine, dennoch sei die Anzahl an Mitverschreibungen (bei 81 Prozent der Patienten) nach Ansicht Fischers viel zu hoch. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass viele Behandelte diese Verordnung erhalten. Fischer weiter: „Das ist problematisch, weil diese zusätzlich verschriebenen Benzodiazepine sowohl die Morbidität als auch die Mortalität erhöhen.“

Als Maßnahmen zur Reduktion der Mitverschreibung von Benzodiazepinen empfiehlt die Expertin eine verstärkte Weiterbildung der Behandelnden sowie eine Behandlung von denjenigen Suchtkranken, die weitere psychiatrische Erkrankungen aufweisen und ein häufiger Grund für die Verordnung von Benzodiazepinen sind – in psychiatrischen Spezialambulanzen. Dadurch würde sichergestellt, dass diese Begleiterkrankungen richtig diagnostiziert, die adäquate Behandlung eingeleitet und auf mögliche Interaktionen zwischen Opioiden und Psychopharmaka geachtet wird. Schließlich fordert sie eine sinnvolle Limitierung der Anzahl an behandelten Suchtkranken pro Ärztin oder Arzt; als Richtwert könnte man etwa 45 bis 50 Personen nehmen. S.Sk.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2010