Studie zum Ärztebedarf: Verschwendete Ressourcen

25.10.2010 | Politik

In Österreich gibt es derzeit rund 40.000 Ärzte. Die Frage, ob damit der jetzige und der künftige Bedarf gedeckt sind, ist nicht so einfach zu beantworten.
Von Kurt Markaritzer

In einer gemeinsamen Aktion haben Gesundheitsministerium, Wissenschaftsministerium und Österreichische Ärztekammer eine Studie bei der Gesundheit Österreich GmbH in Auftrag gegeben. Dabei sollen das derzeitige Angebot an Medizinern und der künftige Bedarf an Ärzten festgestellt werden, um daraus notwendige Maßnahmen ableiten zu können. Fertig gestellt soll die Untersuchung Mitte des kommenden Jahres sein. Neu daran ist nicht nur, dass das Gesundheitsministerium bei der Erhebung auf die bisher geübten Alleingänge verzichtet, sondern vor allem der Zugang zum Thema, weil die Bedarfserhebung nicht zu einem Jonglieren mit Zahlen werden soll. Vielmehr werden die konkreten Arbeitsbedingungen der Spitalsärzte in die Überlegungen einbezogen.

Lukas Stärker, Rechtsexperte und stellvertretender Kammeramtsdirektor der österreichischen Ärztekammer, hat zum Thema „Ärzte- und Pflegekräftemangel in Österreich“ kürzlich beim 9. Europäischen Gesundheitskongress in München einen Vortrag gehalten und dabei auf einen neuen Ansatz verwiesen, der jetzt eine der Grundlagen der Studie werden soll. Im Gespräch mit der ÖÄZ präzisiert er: „Wenn man aussagekräftige Daten erreichen will, muss man zuerst die Frage beantworten, welche Tätigkeiten Ärztinnen und Ärzte durchführen sollen. Erst wenn man das weiß, kann man die Frage nach dem künftigen Bedarf korrekt beantworten.“

Tatsächlich gibt es offensichtlich Potential bei vielen Medizinern, das bei einer besseren Organisation und Aufgabenverteilung in den Spitälern genützt werden könnte. So hat eine IFES-Umfrage unter mehr als 2.000 Spitalsärzten in Österreich im Frühjahr des heurigen Jahres ebenso bemerkenswerte wie bedenkliche Ergebnisse gebracht: Ärztinnen und Ärzte in den Spitälern müssen heute im Durchschnitt 34 Prozent ihrer Arbeitszeit für Administrativarbeiten und Dokumentationstätigkeiten aufwenden, das sind um vier Prozentpunkte mehr als noch vor sieben Jahren. Stärker: „Hier zeichnet sich ein Lösungsansatz ab, den die Träger der Krankenanstalten in ihrer Planung und Organisation berücksichtigen müssen. Wenn es beispielsweise gelänge, den Zeitaufwand für administrative Arbeit und Dokumentationspflichten zu halbieren, würde viel Zeit für die eigentliche ärztliche Tätigkeit am Patienten gewonnen. Das deckt sich auch mit den Wünschen der Ärztinnen und Ärzte, die schließlich deshalb Ärzte geworden sind, weil sie Menschen helfen und nicht als Schreibkraft im Krankenhaus ihre Zeit vergeuden wollen.“

Den derzeitigen Personaleinsatz in den Spitälern bezeichnet der Jurist wörtlich als „massiv verbesserungswürdig“; er schlägt in diesem Zusammenhang schlagwortartig neue Lösungsansätze vor:

  • Ärztinnen und Ärzte brauchen mehr Zeit für Medizin und die Behandlung ihrer Patienten.
  • Man muss endlich daran gehen, das Personal entsprechend seiner Qualifikation einzusetzen. Gesundheitsberufe sind nun einmal keine Sekretärinnen, Serviererinnen oder Wäscheträgerinnen. Aber viele Angehörige dieser Berufe werden trotz ihrer hohen Qualifikation für diese Tätigkeiten eingesetzt, fast könnte man sagen ‚missbraucht’.
  • Was an Aufgaben delegierbar ist, soll delegiert werden. In diesem Bereich gibt es viele Möglichkeiten, zum Beispiel durch die Einstellung von Dokumentationsassistenten, medizinisch-technischen Fachkräften, Pflegehelferinnen oder Sekretärinnen.
  • Für etwas verantwortlich sein heißt nicht, alles selbst machen zu müssen. Ein simples Beispiel: Ärzte können ohne weiteres die Verantwortung für einen Brief übernehmen, ohne dass sie ihn selbst mühsam in den Computer tippen, wie das derzeit immer wieder vorkommt.

Wenn diese Prinzipien beherzigt werden – Stärker: „Sie sind nicht neu, sie müssten nur endlich umgesetzt werden!“ – würden Ressourcen frei, die eine markante Verbesserung der Gesamtsituation mit sich bringen könnten. Stärker: „Zum einen ändern sich natürlich die Berechnungsgrundlagen für den künftigen Ärztebedarf, wenn bisher verschwendete Kapazitäten sinnvoll genützt werden. Damit sind Organisationsverbesserungen auch ökonomisch höchst interessant. Zum anderen aber würden sich dann auch die Arbeitsbedingungen insbesondere für die Ärzteschaft verbessern – und das ist schon aus Gründen der Motivation dringend erforderlich.“ Die Ärzte und Pflegekräfte hätten mehr Zeit für die Patienten, die gesetzlichen Arbeitszeithöchstgrenzen – die derzeit vielfach nur auf dem Papier stehen, aber nicht eingehalten werden – könnten eingehalten werden und nicht zuletzt ließen sich Erleichterungen für ältere Spitalsärzte realisieren, die angesichts des zunehmenden Durchschnittsalters über kurz oder lang unumgänglich sein werden.

Zahlen und Fakten

In Österreich gibt es derzeit 39.747 aktive Ärztinnen und Ärzte, rund 20.000 davon sind in Spitälern beschäftigt – und das zu einem beachtlichen Teil mit Tätigkeiten, die nicht ihrer Qualifikation entsprechen. 34 Prozent ihrer Arbeitszeit muss für die Administration aufgewendet werden, lediglich 59 Prozent entfallen auf ärztliche Tätigkeiten, der Rest dient der Forschung und Lehre.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2010