Sprengelärzte in Tirol: Keine Halbheiten, bitte!

25.02.2010 | Politik

Sprengelärzte sind in Tirol eine aussterbende Spezies, obwohl man ihre Dienste dringend braucht. Unattraktive Rahmenbedingungen, große Belastungen und daraus resultierender Frust prägen das Bild. Dringende Änderungen stehen daher an. Aber: Sind sie auch politisch durchzusetzen? Von Ruth Mayrhofer   

Aktuell sind mehr als 20 Prozent der Tiroler Sprengelarztstellen – das sind 16 von 70 – unbesetzt. Seit Anfang 2010 müssen auch die drei großen Sprengel Jenbach, Hall und Schwaz – für Tiroler Verhältnisse Ballungsgebiete – ohne Sprengelarzt auskommen. Stellenausschreibungen brachten wenig beziehungsweise gar keine Resonanz. Das wundert eigentlich nicht, wenn man weiß, dass derzeit Sprengelärzte Gemeindebeamte ohne Aktivgehalt sind. Für die zu leistenden Gemeindeagenden (zum Beispiel Totenbeschau, Friedhofs- und Bestattungswesen, Seuchenbekämpfung, Aufgaben im Rahmen der Wasserversorgung, …) entlohnen sie die Gemeinden lediglich mit Beiträgen zur Pensions- und Krankenversicherung auf Basis eines fiktiven Beamtengehaltes. „Normal“ bezahlt werden hingegen sehr wohl Leistungen, die Bundesaufgaben darstellen, also etwa Alkohol- und Drogenuntersuchungen bei auffälligen Autofahrern oder Zwangseinweisungen von Menschen in geschlossene psychiatrische Anstalten gemäß Unterbringungsgesetz. Eine bezahlte Vertretung ist bei den sprengelärztlichen Tätigkeiten für einen Tag pro Woche und während des Urlaubs vorgesehen.

Neben den genannten sprengelärztlichen Agenden sieht die Dienstordnung vor, dass der Sprengelarzt für die „jederzeitige Erreichbarkeit ärztlicher Hilfe“ zu sorgen hat. Aber: Sollte diese Vertretung nicht zu finden sein, muss der Sprengelarzt selbst die ärztliche Bereitschaft aufrecht erhalten – für die sprengelärztliche Tätigkeit und zur Sicherstellung der kurativen Tätigkeit. 365 Tage pro Jahr, 24 Stunden lang.

Angesichts dieser Bedingungen lässt sich leicht erkennen, dass der „Job Sprengelarzt“ nicht gerade attraktiv ist. „Wegen Kranken- und Pensionsversicherung so hohe Belastungen auf sich zu nehmen, kann heute kaum noch jemanden reizen“, sagt Artur Wechselberger, Präsident der Tiroler Ärztekammer und 1. Vizepräsident der ÖÄK. Das entsprechende Gesetz wurde immerhin schon vor 50 Jahren verabschiedet; damals bedeutete es zweifellos eine tolle soziale Absicherung für den Arzt. „Heute ist das aber nicht mehr so“, betont der Tiroler Ärztekammer-Präsident.

„Gemeindebeamter“ Gemeindebeamter

Dazu kommt, so Wechselberger, dass das Land Tirol das Pensionsalter für Gemeindebeamte vor kurzem von 60 auf 65 Jahre angehoben hat. Aktuell treten die Sprengelärzte, die ja Gemeindebeamte sind, mit 61,5 Jahren in den Ruhestand. Die ersten Sprengelärzte, die heuer in Pension gehen wollen, können jedoch erst mit knapp über der aktuellen Altersgrenze diesen Schritt setzen. Eine Frist, die dann kontinuierlich angehoben werden wird. Das heißt, dass der Sprengelarzt aufgrund seiner Stellung im schlechtesten Fall 3,5 Jahre länger ohne Entgelt arbeiten muss und erst dann seinen Pensionsanspruch geltend machen kann. „Das ist eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Gemeindebeamten“, stellt Wechselberger fest. „Andere Gemeindebeamte müssen wohl auch länger arbeiten. Aber diese erhalten dafür wenigstens ein Gehalt. Sprengelärzte machen es um Gottes Lohn und bekommen ihre Pension zudem noch später ausbezahlt“. Und weiter: „Diese Rahmenbedingungen sind sogar für wahre Idealisten ein wenig Viel auf einmal“.

Um die Situation zu bereinigen und die Position eines Sprengelarztes neuerlich attraktiv zu gestalten, gibt es bereits einen konkreten Plan, der von der Ärztekammer Tirol mitgetragen wird: das Modell „Sprengelarzt neu“. Danach soll der Sprengelarzt nicht mehr im Rang eines Gemeindebeamten agieren, sondern in einem Vertragsverhältnis mit „seiner“ Gemeinde stehen, wobei er für seine Leistungen im Rahmen dieses Vertrages entlohnt wird. Für die Gemeinden wäre eine solche Vorgehensweise idealerweise kostenneutral: Statt für Krankenund Pensionsbeiträge kämen sie eben für die Aktivleistungen auf.

So einleuchtend das klingt, so wenig einfach scheint eine Umsetzung in der Praxis zu sein: Die Verhandlungen laufen, aber, wie Artur Wechselberger berichtet, liegt der „Knackpunkt“ darin, dass in Sachen Aktivleistungen „noch nichts ausdiskutiert“ ist. Das bedeutet, dass weder eine Bewertung der Aktivleistung (Honorare) erfolgt ist, noch eine Vorsorge für eine Erreichbarkeit (Stichwort sprengelärztliche Bereitschaftsdienste) getroffen wurde. „Es herrscht in der Tiroler Landespolitik und besonders beim Gemeindeverband, der bei dieser Thematik massiv mitzureden hat, immer noch die Meinung, die Verfügbarkeit des Arztes sei nichts wert“, kritisiert der Tiroler Ärztekammer-Präsident. Damit wäre der Sprengelarzt jedoch der einzige (Werks-)Vertragsnehmer Österreichs, der rund um die Uhr greifbar sein muss. Dass diese Problematik auch mit einem organisierten Nacht- Bereitschaftsdienst der Allgemeinmediziner nicht lösbar ist, so Wechselberger, ließe sich aber nur schwer vermitteln. Tirol ist mittlerweile übrigens das einzige Bundesland Österreichs, das noch keine bezahlten Bereitschaftsdienste für Allgemeinmediziner außerhalb des Wochenendes anbietet.

Also wird weiter verhandelt: mit Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg, der diesen Neuerungen durchaus positiv gegenübersteht, sowie dem Gemeindeverband, der leider „mauert“. „Das ist ein reiner partout-Standpunkt“, bedauert Artur Wechselberger, „seitdem steht alles“.

Keine Halbheiten, bitte!

Die erste Frage, die sich nun stellt, ist jene, ob sich Landesrat Tilg gegen den Gemeindeverband politisch durchsetzen kann oder nicht. Die zweite Frage, die sich auftut, betrifft den Tiroler Landtag: Mittlerweile ist nämlich der Gesetzesentwurf für den „Sprengelarzt neu“ in Begutachtung gegangen und sollte noch im Frühjahr 2010 beschlossen werden. Wechselberger dazu: „Sollte der Landtag diesen Entwurf tatsächlich beschließen, wird das Gesetz nicht funktionieren, weil es ganz einfach nicht exekutierbar ist“. Außerdem drohe dem Land eine Prozesslawine seitens der Sprengelärzte unter dem Schutz der Tiroler Ärztekammer gegen eine Verlängerung der Dienstzeit. Außerdem würde sich die Einführung von organisierten und bezahlten Bereitschaftsdiensten weiterhin verzögern, weil die Ärztekammer ihre Zustimmung so lange verweigern würde, bis tatsächlich in allen geforderten Punkten Chancen bestünden, dass eine langfristig ausgelegte Lösung, die die Ärzte auch mittragen könnten, auf dem Tisch liegt. Schließlich sollen ja auch junge Ärzte motiviert werden, in diesem System zu arbeiten und ältere ihr Aufgabenspektrum ohne (auch gesundheitliche) Nachteile für sie bis zu einer Pensionierung erledigen können. Motto: „Wir wollen keine Halbheiten“.

Die Patienten, so Wechselberger, würden von all diesen Turbulenzen wenig bis gar nichts bemerken, weil die niedergelassene Ärzteschaft „ohne Murren“ (Wechselberger) versucht, die Versorgung der Bevölkerung auf bestmögliche Weise aufrecht zu erhalten. Was den Tiroler Ärztekammerpräsidenten aber wirklich ärgert: „In der Politik herrscht Schulterzucken“.

„Wenn das Land Tirol politisch klug handeln und die Zukunft im Sinne einer Verbesserung der extramuralen Basisversorgung positiv gestalten möchte, sollte es auf den Vorschlag der Ärztekammer eingehen“, ist Wechselberger überzeugt. Schließlich gibt es schon jetzt in einigen der vakanten Sanitätssprengel parallel zu den Vorgaben des Gemeindesanitäts-Dienstgesetzes – aber der Not gehorchend – Werksvertrags- Systeme, die es gestatten, die Versorgung einigermaßen aufrecht zu erhalten. Das ist für Wechselberger ein deutliches Zeichen, dass die Gemeinden die Notwendigkeit einer Änderung erkannt haben und bereit sind, dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wechselberger: „Es steht zu hoffen, dass sich dies auch auf politischer Ebene durchspricht und dass nicht seitens des Gemeindeverbandes oder des Landes Dinge blockiert werden, die auf Gemeindeebene gut funktionieren. Das wäre absurd“.

Die Zeit drängt

Das Problem brennt der Tiroler Ärztekammer unter den Nägeln. „Wir haben keine Zeit mehr“, mahnt Wechselberger. Die Tiroler Ärztekammer will im Vorfeld der Gesetzeswerdung durch den Tiroler Landtag jedenfalls alle Hebel in Bewegung setzen, um alle Betroffenen darauf hinzuweisen, dass sie fahrlässig handeln, wenn sie nicht eine Regelung treffen, die im Sinne einer guten Basisversorgung – und damit im Sinn der Patienten – den Beruf so attraktiv macht, dass Ärzte bereit sind, ihn auch anzunehmen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2010