Spitalsärzte: Dienstplanung ist Lebensplanung

10.05.2010 | Politik

Angesichts von nicht enden wollenden Patientenströmen in die Spitalsambulanzen rät ein steirischer Arzt zur Selbsthilfe: Daten und Fakten zu sammeln, um einerseits für die Diskussion gewappnet zu sein und andererseits Grundlagen für eine faire Bewertung der ärztlichen Leistung zu schaffen.
Von Kurt Markaritzer

Natürlich ist die Spitalslandschaft in Österreich außerordentlich vielfältig, was einen Vergleich zwischen verschiedenen Standorten erschwert. Ein Blick auf den Alltag im Spital verschafft allerdings allerorten interessante Erkenntnisse, wie ein Besuch in einem steirischen Landeskrankenhaus zeigt. „Die Grundausstattung ist in einem Landspital wie dem unseren ganz anders als am Wiener AKH oder an den Uni-Kliniken in Graz“, sagt Johannes Kerschbaumer*. „Das bringt natürlich auch unterschiedliche Arbeitsbedingungen mit sich. Aber es gilt für alle Kolleginnen und Kollegen, dass die Belastungen in den Spitälern insgesamt zugenommen haben, zum Teil dramatisch!“

Kerschbaumer kennt den Stress aus eigenem Erleben. In der Woche, bevor das Interview mit der „Österreichischen Ärztezeitung“ stattgefunden hat, hat er zwei Nachtdienste hinter sich gebracht und jeweils 24 von 28 Stunden durchgearbeitet. Trotzdem nimmt er es locker: „Früher waren es viel mehr. Ich erinnere mich, dass ich in den ersten zehn bis 15 Jahren elf bis 13 Nachtdienste im Monat absolviert habe, heute sind es drei oder maximal vier. Da hat sich die Situation für mich zweifelsohne verbessert.“ Allerdings hat die Intensität der Nachtdienste deutlich zugenommen: „Am Wochenende und in den Nachtstunden steht gerade für Kinder und Jugendliche so gut wie keine extramurale Versorgung zur Verfügung. Viele Allgemeinmediziner überweisen deshalb ihre kleinen Patienten oft direkt an uns. Und viele Eltern haben es sich überhaupt angewöhnt, einfach in die Spitalsambulanz zu kommen, statt zum niedergelassenen Arzt zu gehen.“

Das war, wie sich Kerschbaumer erinnert, früher anders: „Da sind die Menschen nur ins Spital gegangen, wenn sie ernstlich krank waren. Heute ist der Zugang zum Spital extrem niederschwellig, und das wird von den Patienten ausgenützt.“ Die Ursache für diese Entwicklung ortet Kerschbaumer im System der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung, das sich aus seiner Sicht alles andere als bewährt hat. „Im extramuralen Bereich ist viel zu wenig passiert, die Tarife für die Kollegen sind so niedrig, dass dort kein Anreiz besteht, mehr zu tun als das, was unbedingt nötig ist. Das System hat letztlich dazu geführt, dass heute die Leistungen in den Ambulanzen erbracht werden müssen, aber dafür gibt es keine ausreichende finanzielle Vorsorge.“

Eine der Folgen ist die sehr knappe personelle Besetzung vor allem in den Landspitälern. In dem steirischen Landeskrankenhaus, in dem Kerschbaumer tätig ist, machen in der Abteilung für Kinder und Jugendliche drei Ärzte Nachtdienst, an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Graz sind es zehn. Oder wie es Kerschbaumer zusammenfasst: „Je weiter an der Peripherie ein Spital liegt, desto schlechter ist es personell ausgestattet.“ Natürlich erhöhen die fehlenden Dienstposten den Druck auf die Ärzteschaft, aber das allein erklärt die steigende Belastung der Spitalsärzte nicht, die hat auch andere Ursachen. Zum Beispiel ein gestiegenes Anspruchsdenken vieler Patienten oder ihrer Eltern.

Der Arzt in einem Landspital ist eine Mischung aus ultimativer Hoffnung und Mädchen für Alles. Ohne Idealismus ist das nicht zu bewältigen und ohne den Ausgleich, den Familie, Sport und sinnvolle Freizeitgestaltung erbringen, wohl auch nicht. Von Resignation ist ein Typ wie Johannes Kerschbaumer aber weit entfernt: „Die Politik hat Fehler gemacht und das System muss korrigiert werden. Wenn der Zustrom zu den Ambulanzen weiter so anhält, dann muss mehr Personal her, daran führt kein Weg vorbei. Schon jetzt aber kann man sich bis zu einem gewissen Grad mit guter interner Organisation behelfen, das haben wir hier so gemacht. Bei uns ist die Ambulanz an der Abteilung für Kinder und Jugendliche bis 19 Uhr mit einem Facharzt vollwertig besetzt,
das bringt eine Entlastung.“

Entsprechende Selbsthilfemaßnahmen empfiehlt der steirische Arzt auch allen Kollegen. Und er rät ihnen: „Versucht, selbst Politik zu machen.“ Gemeint ist: Daten und Fakten sammeln, um für Diskussionen gewappnet zu sein und die Grundlage für eine faire Bewertung der ärztlichen Dienstleistung zu schaffen. Kerschbaumer: „In jedem Supermarkt wird der Wert einer Ware elektronisch aufgelistet. Das muss doch auch beim Wert des Produkts ärztliche Dienstleistung möglich sein. Und wenn einmal solche Zahlen zur Verfügung stehen, wird man das Anliegen der Spitalsärzte auf Entlastung im Alltag schlichtweg nicht mehr ignorieren können.“

Kerschbaumer bringt dazu eine weitere Überlegung ins Spiel: „Die Medizin macht enorme Fortschritte, bei den Medikamenten, bei den Therapien, bei den technischen Apparaten. Damit muss man sich auseinandersetzen, da muss man sich fortbilden, Kongresse besuchen und so weiter. Dazu müssen die Ärzte beständig neue Aufgaben übernehmen wie Risk Management und Qualitätsmanagement. Das alles erfordert Zeit – und die muss man uns Ärzten verschaffen.“ Auch hier setzt Kerschbaumer als Erste-Hilfe-Maßnahme auf verbesserte Selbstorganisation: „Das beginnt bei der Diensteinteilung in der Abteilung. Wir haben bei uns ein geflügeltes Wort: Dienstplanung ist Lebensplanung! In die Praxis umgesetzt bedeutet das, dass Kolleginnen und Kollegen komprimiert Dienst versehen, damit andere Ärzte auf Kongresse fahren oder einmal mit der Familie Urlaub machen können. Im Lauf der Zeit gleicht sich das alles aus und jeder hat dann die Chance, zwischendurch einmal abzuschalten.“

Bestes Beispiel ist Kerschbaumer selbst: „Ich habe jetzt in einer Woche 72 Stunden durchgearbeitet und dann noch den Montag angehängt, dafür habe ich jetzt eine Woche frei. Und das nächste Mal geht es einem anderen Arzt so. Auf diese Art können wir 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag die medizinische Versorgung sicherstellen.“ Allerdings nur auf diese Art, also mit einem enormen, weit überdurchschnittlichen Einsatz der Ärzteschaft. Am Grundproblem, dass der Personalstand aufgestockt werden muss, ändert die gekonnte Improvisation bei der Dienstplanung nichts.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass schon unter den jetzigen, an sich kaum zumutbaren Bedingungen da und dort Erleichterungen möglich sind, ist das seit 2006 gültige steirische S-I-Schema, von dem Kerschbaumer knapp diagnostiziert: „Es ist besser als die Regelungen in anderen Bundesländern und es trägt dazu bei, dass die Arbeit in den Spitälern nach wie vor attraktiv ist.“


* Name von der Redaktion geändert

 Machen Sie mit!

Authentische Berichte von Ärztinnen und Ärzten sind die besten Argumente für die Bemühungen um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Spitälern. Wir laden Sie als Spitalsarzt herzlich ein, dabei mitzuwirken: Stellen Sie sich als Interviewpartner zur Verfügung und berichten Sie offen von Ihren Erfahrungen! Auf Wunsch kann der Beitrag anonymisiert erscheinen.
Am leichtesten erreichen Sie uns telefonisch 01/512 44 86/27 (Frau Dr. Mühlgassner) oder per E-Mail: a.muehlgassner@aerzteverlagshaus.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2010