Schiedsstellen: Verlorenes Vertrauen wieder herstellen

25.04.2010 | Politik

Seit mehr als 20 Jahren gibt es in den Bundesländern Schiedsstellen der Ärztekammern, die sich mit Konflikten zwischen Patienten und Ärzten befassen. Jetzt wird ihre Tätigkeit auf Bundesebene koordiniert.
Von Kurt Markaritzer

Diese Aufgabe hat Peter Rainer-Harbach übernommen, der 15 Jahre ärztlicher Leiter der Schiedsstelle in Niederösterreich war und nunmehr im Rahmen der Österreichischen Ärztekammer die Tätigkeit der Schiedsstellen für ganz Österreich koordinieren und die Öffentlichkeitsarbeit verstärken wird. „Ich strebe eine gewisse Verfahrensgleichheit in allen Bundesländern an“, sagt Rainer- Harbach im Gespräch mit der ÖÄZ. „Aber da muss man natürlich auch auf Traditionen Rücksicht nehmen, die sich in einigen Ländern ergeben haben. In Kärnten ist der Vorsitzende zum Beispiel der Patientenanwalt, in der Steiermark ist das Land selbst führend beteiligt, in anderen Ländern gibt es wieder andere Strukturen. Wir werden danach trachten, das Beste aus allen Bundesländern zum Allgemeingut aller Schiedsstellen zu machen.“

Bei den Schiedsstellen geht es in den seltensten Fällen um ärztliche Behandlungsfehler. Meist sind es Kommunikationsprobleme, das Gefühl der Patienten, nicht angenommen zu sein, und eine fehlende Gesprächsbasis zwischen den Patienten und Ärzten beziehungsweise den Angehörigen und den Ärzten, die zu Beschwerden führen. Oft beruht die Frustration der Patienten auf einem Gefühl der Vernachlässigung, wie ein konkreter Fall zeigt. „Dem Mann wurde eine Gallenblase operativ entfernt. Der Eingriff ist geglückt, aber der Patient war trotzdem unglücklich“, berichtet Rainer-Harbach. Er hatte das Gefühl, dass sich der Arzt für ihn zu wenig interessierte. Am dritten Tag nach der Operation bekam der Patient plötzlich Fieber, es ergaben sich noch kleine zusätzliche Komplikationen – und daraus zog der Mann seine Schlüsse: „Man hat sich nicht genügend um mich gekümmert, also ist die Behandlung nicht in Ordnung.“

Der Fall landete bei der Schiedsstelle und dort versuchte man, beim Patienten Verständnis für den Arzt zu wecken. Rainer-Harbach: „Wir haben ihm gesagt, dass ein Arzt, der die Gallenblase operiert hat, in der Regel an die 1.000 solcher Eingriffe vorgenommen haben muss, um die Operation perfekt zu beherrschen. Wenn er sich bei jedem der 1.000 Patienten ans Bett setzt und sich intensiv dem Menschen widmet, den er gerade operiert hat, ist er spätestens nach dem 50. Patienten psychisch am Ende, weil diese Gespräche enorm belastend sind.“

Einfach ist es nicht, die Emotionen in einer knapp einstündigen Verhandlung zu dämpfen. Im konkreten Fall aber zeigte der Patient Verständnis und meinte nach der Verhandlung in der Schiedsstelle: „Ja, wenn der Herr Doktor mir das seinerzeit schon gesagt hätte …“ Aber im Spitalsbetrieb mit seiner überbordenden Bürokratie bleibt oft nicht die Zeit für diese Zuwendung – und daraus entstehen dann Frustrationen. Auch auf Seiten der Ärzte, die der Verhandlung zustimmen müssen und naturgemäß auch nicht frei von Emotionen sind, wenn sie bei der Schiedsstelle erscheinen. Allerdings erkennen die meisten Mediziner sehr rasch, dass es bei den Verfahren nicht darum geht, ein Scherbengericht abzuhalten. Rainer- Harbach: „Wir sind den Ärzten gegenüber durchaus kritisch eingestellt, aber wir bemühen uns auch um Fairness.“

So war es früher in Streitfällen zum Beispiel üblich, einen Universitätsprofessor als Sachverständigen zu nominieren, sagt der Schiedsstellen-Koordinator: „Aber der hat herzlich wenig Ahnung, unter welchen Bedingungen ein Primar am Land arbeitet, sondern geht von seinen eigenen Arbeitsvoraussetzungen aus, die völlig anders sind. Um zu einer fairen und objektiven Begutachtung zu kommen, muss man also Sachverständige bestellen, die mit den konkreten Umständen vertraut sind, unter denen der vermeintliche oder echte Fehler passiert ist. Ich kann nicht den Spezialisten für Melanome heranziehen, wenn ein praktischer Arzt einmal ein Melanom übersehen hat, das ergibt völlig asymmetrische Einschätzungen.“

Wenn als Ergebnis der Verhandlung vor der Schiedsstelle festgestellt wird, dass ein Behandlungsfehler vorliegt, für den die Haftpflichtversicherung des Arztes aufkommen muss, berät das Team der Schlichtungsstelle, wie hoch eine allfällige Entschädigung ausfallen könnte; das Ergebnis wird Patienten mitgeteilt. In einigen Bundesländern gibt es auch Entschädigungen für Patienten, bei denen kein schuldhaftes Verhalten des Arztes vorliegt, die aber einen besonders schweren Krankheitsverlauf hatten. In Niederösterreich werden sie an einen Fonds verwiesen, der von den Patienten pro Pflegetag selbst gespeist wird. Eine solche Entschädigung hat zum Beispiel ein Patient bekommen, der während einer lang dauernden Operation nicht optimal gelagert wurde und deshalb eine Nervenlähmung am Bein davontrug. Die Lagerung war nicht falsch, insoweit war es kein Fehler, für den die Versicherung aufkommen muss – aber der Patient hat einen Schaden und der wird dann durch den Fonds entschädigt. Die Begründung: Es handelt sich um einen „schicksalhaften, nicht schuldbedingten schweren Verlauf“. Rainer-Harbach: „Eine derartige Fondsregelung wollen wir allen Bundesländern empfehlen, da möchte ich Überzeugungsarbeit leisten. Denn auch solche Kulanzlösungen tragen dazu bei, dass die Schiedsstellen ihre Hauptaufgabe wahrnehmen können: Verlorenes Vertrauen wieder herzustellen!“

Konflikte bereinigen

Die auch Schiedsstellen genannten Schlichtungsstellen der Landesärztekammern wurden auf der Basis des Ärztegesetzes eingerichtet. Die Zusammensetzung ist nicht in allen Ländern gleich, die Hauptaufgabe ist aber immer, bei einem Konflikt zwischen Patient und Arzt wegen einer behaupteten ärztlichen Fehlbehandlung eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen. Damit sollen Patienten und Ärzten langwierige und kostenintensive zivilgerichtliche Verfahren erspart werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2010