Pen­si­ons­re­form: „Lebens­ar­beits­zeit­mo­dell für Spitalsärzte”

10.05.2010 | Politik


Im Ver­gleich zu ande­ren Berufs­grup­pen arbei­ten Ärzte trotz kür­ze­rer Berufs­tä­tig­keit um 20 Pro­zent mehr. Als Aus­gleich für die Nacht­ar­beit und über­lange Arbeits­zei­ten for­dert die ÖÄK daher ein Pen­si­ons­recht, das diese erschwer­ten Bedin­gun­gen auch berück­sich­tigt.

Von Lukas Stär­ker*

1. Aus­gangs­si­tua­tion

Ärzte stei­gen – wie alle ande­ren Aka­de­mi­ker auch – stu­di­en­be­dingt erst spä­ter in das Berufs­le­ben ein. So beginnt der durch­schnitt­li­che Arzt sei­nen Tur­nus mit 29 Jah­ren. Um die ASVG/​FSVG Maxi­mal­pen­sion zu erhal­ten, sind unter ande­rem Stei­ge­rungs­be­träge im Gesamt­aus­maß von 80 Pro­zent­punk­ten erfor­der­lich. Pro Kalen­der­jahr gebüh­ren fol­gende Stei­ge­rungs­pro­zent­punkte (§ 607 Abs 15 ASVG) (Tab.1).

Um auf 80 Pro­zent­punkte zu kom­men, sind daher pro futuro 45 Berufs­jahre (80:1,78=45) erfor­der­lich. Ärzte, die im Schnitt mit 29 Jah­ren ins Berufs­le­ben ein­tre­ten, kön­nen bis zum Pen­si­ons­an­tritts­al­ter von 65 Jah­ren maximal 36 Berufs­jahre absol­vie­ren. Auf Basis der Rege­lun­gen der Pen­si­ons­re­form 2003 kön­nen sie daher Stei­ge­rungs­be­träge in Höhe von maximal 64,08 Pro­zent­punk­ten errei­chen. Ärzte kön­nen daher, selbst wenn sie (theo­re­tisch) ihr gesam­tes Berufs­le­ben mehr als die ASVG-Höchst­bei­trags­grund­lage ver­dient haben und damit ihr gesam­tes Berufs­le­ben die Maxi­mal­bei­träge ein­be­zahlt haben, nicht ein­mal theo­re­tisch die ASVG Höchst­pen­sion von 80 Pro­zent der Höchst­bei­trags­grund­la­gen der Bemes­sungs­jahre errei­chen. Statt­des­sen haben Ärzte mit einer gegen­über der ASVG Höchst­pen­sion um min­des­tens 20 Pro­zent redu­zier­ten Pen­sion (80–20%=64) zu rech­nen.

Dies ist inso­fern nicht akzep­ta­bel, da gerade Ärz­tin­nen und Ärzte – gleich­gül­tig ob ange­stellt oder nie­der­ge­las­sen – einen extrem ver­ant­wor­tungs­vol­len und belas­ten­den Beruf unter erschwer­ten Arbeits­be­din­gun­gen aus­üben.
Sie

  • leis­ten über­durch­schnitt­lich lange Wochen­ar­beits­zei­ten von 59 bis 74 Stun­den und darüber;
  • leis­ten zusätz­lich sechs bis acht Nacht­dienste pro Monat;
  • haben unre­gel­mä­ßige Arbeits­zei­ten und
  • leis­ten dar­über hin­aus noch Bereit­schafts- und Wochenenddienste. 

Spe­zi­ell Nacht­ar­beit ist eine beson­ders belas­tende Arbeit. Die­ser Tat­sa­che ist sich der Gesetz­ge­ber auch selbst bewusst. So heißt es im Aus­schuss­be­richt zum EU-Nacht­ar­beits-Anpas­sungs-Gesetz (AB 1195 BlgNR XXI. GP 2), dass „zahl­rei­che Unter­su­chun­gen bele­gen, wie sehr sich die Nacht­ar­beit auf die Gesund­heit, aber auch auf soziale Bezie­hun­gen aus­wirkt. Diese Unter­su­chun­gen haben ergeben:

  • Es gibt kei­nen Gewöh­nungs­ef­fekt bei Nacht­ar­beit. Auch wenn es sub­jek­tiv so emp­fun­den wird, tre­ten nach einer bestimm­ten Zeit bei allen Nacht­ar­bei­te­rIn­nen gesund­heit­li­che Pro­bleme auf.
  • Nahezu alle Nacht­ar­bei­te­rIn­nen lei­den unter Gas­tri­tis. Ess- und Ver­dau­ungs­stö­run­gen kön­nen durch die unre­gel­mä­ßige Nah­rungs­auf­nahme und ver­mehr­ten Alko­hol- und Tabak­kon­sum auf­tre­ten.
  • Schlaf­stö­run­gen tre­ten gehäuft auf, ins­be­son­dere bei Umstel­lung auf ver­än­derte Arbeits­rhyth­men.
  • In der Nacht muss der Kör­per bei glei­cher Tätig­keit 160 Pro­zent der Arbeits­leis­tung brin­gen.
  • Das Brust­krebs­ri­siko ist bei Nacht­ar­bei­te­rin­nen höher als bei Nicht-Nacht­ar­bei­te­rin­nen.
  • Die Medi­ka­men­ten­wir­kung ver­än­dert sich (sowohl stär­kere als auch gerin­gere Wir­kun­gen tre­ten auf).
  • Reak­ti­ons­zei­ten sind wesent­lich ver­län­gert (und damit auch die Unfall­ge­fahr).
  • Die meis­ten Nacht­ar­bei­te­rIn­nen sind nach 15 bis 20 Jah­ren chro­nisch krank.

Es ist daher aus medi­zi­ni­scher und sozi­al­po­li­ti­scher Sicht uner­läss­lich, jene Rah­men­be­din­gun­gen fest­zu­le­gen, unter denen Nacht­ar­beit geleis­tet wer­den kann.“ Nach Mei­nung der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer muss auch das Pen­si­ons­recht Maß­nah­men zum Aus­gleich für Nach­ar­beit und lange Arbeits­zei­ten enthalten. 

Tab. 1:

Jahr

Steigerungsprozentpunkte/​Jahr

2003 und davor

2

2004

1,96

2005

1,92

2006

1,88

2007

1,84

2008

1,80

2009 und danach

1,78


2. Lösung:
Das Lebens­ar­beits­zeit­mo­dell der ÖÄK

2.1. Pen­si­ons­be­mes­sung auf Basis meh­re­rer Faktoren

Im Unter­schied zum jet­zi­gen Pen­si­ons­sys­tem, bei dem jedes Bei­trags­jahr gleich viel zählt, wer­den beim ÖÄK-Lebens­ar­beits­zeit­mo­dell neben der Anzahl der Bei­trags­jahre auch die Lebens­ar­beits­zeit und Arbeits­leis­tun­gen unter erschwer­ten Bedin­gun­gen berück­sich­tigt.

Die Pen­si­ons­be­rech­nung nach dem Lebens­ar­beits­zeit­mo­dell erfolgt auf der Basis fol­gen­der Faktoren:

  • Anzahl der Beitragsjahre
  • Gesamt­dauer der Lebens­ar­beits­zeit und
  • Arbeits­leis­tung unter erschwer­ten Bedin­gun­gen, wie Nachtarbeit

2.2. Vor­aus­set­zun­gen

Das ÖÄK-Lebens­ar­beits­zeit­mo­dell hat zwei Voraussetzungen:

  1. Eine Per­son leis­tet in weni­ger als 45 Berufs­jah­ren mehr Arbeits­stun­den als ein durch­schnitt­li­cher Dienst­neh­mer in 45 Berufsjahren.
  2. Diese Per­son arbei­tet zusätz­lich unter erschwer­ten Bedin­gun­gen, das heißt regel­mä­ßig in der Nacht (22.00 bis 5.00 Uhr). 

Ad 1) Ein Dienst­neh­mer mit einer wöchent­li­chen Arbeits­zeit von 40 Stun­den leis­tet pro Jahr etwa 1.740 Arbeits­stun­den (exklu­sive fünf Wochen Urlaub, Fei­er­tage und Kran­ken­stand). In 45 Berufs­jah­ren ergibt dies 78.300 Arbeits­stun­den. Dem gegen­über leis­tet ein Arzt pro Jahr bei einer wöchent­li­chen Durch­schnitts­ar­beits­zeit von 60 Stun­den etwa 2.610 Arbeits­stun­den (wie­derum exklu­sive fünf Wochen Urlaub, Fei­er­tage und Kran­ken­stand). In 36 Berufs­jah­ren ergibt dies 93.960 Arbeits­stun­den.° Ärzte arbei­ten daher trotz kür­ze­rer Tätig­keits­dauer um 20 Pro­zent mehr als Durch­schnitts­ar­beit­neh­mer. Dies gehört bei der Berech­nung der Pen­si­ons­höhe ent­spre­chend berücksichtigt!

Ad 2) Nachtdienstnehmer/​innen sind nach § 5a Abs 2 KA-AZG Dienstnehmer/​innen, die

  1. regel­mä­ßig oder 
  2. sofern durch Betriebs­ver­ein­ba­rung oder im Ein­ver­neh­men mit der Per­so­nal­ver­tre­tung nicht ande­res vor­ge­se­hen wird, in min­des­tens 48 Näch­ten im Kalen­der­jahr wäh­rend der Nacht (Zeit­raum von 22.00 bis 5.00 Uhr) min­des­tens drei Stun­den arbeiten. 

2.3. Zuschlag zum Stei­ge­rungs­be­trag für Nachtarbeitsjahre

Bei Vor­lie­gen von bei­den Vor­aus­set­zun­gen erhält die betref­fende Per­son pro Berufs­jahr, in dem sie regel­mä­ßig Nacht­dienste absol­viert hat, zusätz­lich zum gesetz­li­chen Stei­ge­rungs­be­trag (ab 2009: 1,78 Pro­zent) einen Zuschlag von 50 Pro­zent und damit einen Stei­ge­rungs­be­trag von 2,67 Pro­zent. Die­ser Stei­ge­rungs­be­trag ist der maximal erreich­bare Stei­ge­rungs­pro­zent­satz, das heißt: auch für vor 2009 lie­gende Nacht­ar­beits­jahre kann maximal ein Stei­ge­rungs­be­trags­pro­zent­satz von 2,67 erreicht wer­den. Die Maxi­mal­summe der Stei­ge­rungs­be­träge ist – wie bis­her – mit 80 Pro­zent gedeckelt. 

2.4 Bei­spiele

Jet­zi­ges Pensionssystem

ÖÄK-
Lebens­ar­beits­zeit­mo­dell

1 Arzt geht mit 1.1.2045 mit 36 Berufs­jah­ren im Alter von 65 Jah­ren in Pen­sion, Lebensarbeits­zeit 93.960 Std, 25 Nacht­ar­beits­jahre

Summe Stei­ge­rungs­be­träge
(Jahre 2009 bis 2044)
64,08% (36x1,78)

Summe Stei­ge­rungs­be­träge: 80%
([25x2,67= 66,75]+[11x1,78=19,58] =86,33)

2 Arzt geht mit 1.1.2045 mit 36 Berufs­jah­ren im Alter von 65 Jah­ren in Pen­sion, Lebens­ar­beits­zeit 93.960 Std, 15 Nacht­ar­beits­jahre

Summe Stei­ge­rungs­be­träge
(Jahre 2009 bis 2044)
64,08% (36x1,78)

Summe Stei­ge­rungs­be­träge: 77,43%
([15x2,67= 40,05]+[21x1,78=37,38] =77,43)

3 Ärz­tin geht mit 1.1.2020 mit 35 Berufs­jah­ren im Alter von 60 Jah­ren in Pen­sion, Lebens­ar­beits­zeit 91.350 Std, 20 Nacht­ar­beits­jahre
von 1985 bis 2004

Summe Stei­ge­rungs­be­träge
(Jahre 1985 bis 2019) 66,98%
(19x2+1x1,96+1x1,92+
1x1,88+1x1,84+1x1,80+11x1,78)

Summe Stei­ge­rungs­be­träge: 80%
(20x2,67+1x1,92+1x1,88+1x1,84+
1x1,80+11x1,78)=80,42

4 Ärz­tin geht mit 1.1.2020 mit 35 Berufs­jah­ren im Alter von 60 Jah­ren in Pen­sion, Lebensarbeits­zeit 91.350 Std, 10 Nacht­ar­beits­jahre von 1985 bis 1994

Summe Stei­ge­rungs­be­träge
(Jahre 1985 bis 2019) 66,98% (19x2+1x1,96+1x1,92+
1x1,88+1x1,84+1x1,80+11x1,78)

Summe Stei­ge­rungs­be­träge: 73,68%
(10x2,67+9x2+1x1,96+1x1,92+
1x1,88+1x1,84+1x1,80+11x1,78)

3. Fazit

Wie das vor­lie­gende Modell zeigt, las­sen sich sowohl Lebens­ar­beits­zeit, als auch Nacht­ar­beit pro­blem­los als für die Pen­si­ons­höhe maß­geb­li­che Fak­to­ren in das Pen­si­ons­sys­tem ein­bauen. Die ÖÄK for­dert dies von der Politik.

*) Dr. Lukas Stär­ker ist Jurist und stell­ver­tre­ten­der Kam­mer­amts­di­rek­tor der ÖÄK

° Rech­net man das Bei­spiel ohne Abwe­sen­heits­zei­ten, so kommt man für den durch­schnitt­li­chen Arbeit­neh­mer auf 93.600 und für den Arzt auf 112.320 Lebensarbeitsstunden.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2010