Paul Watzlawick-Preis: Safranski geehrt

10.06.2010 | Politik

Der deutsche Autor Rüdiger Safranski ist diesjähriger Preisträger des Paul Watzlawick-Ehrenrings. Anlässlich der Verleihung hielt er eine Vorlesung zum Thema Zeit in Wien.


Mit seinen richtungsweisenden Biografien über Nietzsche, Heidegger und Schopenhauer ließ er renommierte Philosophen und Literaturkritiker auf sich aufmerksam werden. Die Moderation des „Philosophischen Quartetts“ im deutschen ZDF rückte ihn schlussendlich noch näher ins mediale Rampenlicht. Die Rede ist von Rüdiger Safranski, der Anfang Mai mit dem Paul Watzlawick-Ehrenring 2010 in Wien ausgezeichnet wurde. Warum die Wiener Ärztekammer den ehrwürdigen Preis dem freien Schriftsteller zu teil werden ließ, erklärte Ärztekammer Präsident Walter Dorner in seiner Laudatio: „Für die Wiener Ärztekammer ist der Paul Watzlawick-Ehrenring mehr als nur ein Preis. Er ist ein Bekenntnis der Ärzteschaft zu Humanismus und Dialog, zum Brückenschlag zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Rüdiger Safranski versteht es wie kaum ein anderer, komplexe philosophische und gedankengeschichtliche Phänomene zu erklären und zu deuten, wie ein guter Arzt, der aus Kenntnis und Empathie heraus die richtigen Diagnosen stellt. So betonte Dorner auch Parallelen zwischen Watzlawick und Safranski: „Auch ihm geht es um eine Synchronizität zwischen dem Darzustellenden und dem Dargestellten. Er zeigt nicht Abbilder, sondern kreiert neue Bilder und Eindrücke, die für sich Erkenntnisse sind, ohne dass sie die Vorlage des Originals verließen“.

Die Jury, die den Ehrenring in den Jahren zuvor an den österreichischen Soziologen und Kommunikationswissenschaftler Peter L. Berger und an Max-Planck-Preisträgerin Aleida Assmann vergeben hatte, entschied sich einstimmig für Safranski. „Keiner hat so deutlich wie er das Bild der Romantik, des Genies und des deutschen Idealismus neu interpretiert wie Safranski: bestechend in der Argumentation und beeindruckend in der literarischen Ausformulierung“, sagte Erhard Busek, Vorsitzender der Jury.

Safranski wurde 1945 im deutschen Rottweil geboren und studierte unter anderem bei Theodor W. Adorno in Frankfurt und Berlin. Nach seiner Zeit als Redakteur der „Berliner Hefte“ und einer folgenden Dozententätigkeit im Erwachsenenbereich war er als freier Schriftsteller tätig. Für besonderen Aufruhr sorgte seine Nietzsche-Biographie im Jahr 2000, gefolgt von seinem Bestseller „Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus“ im Jahr 2004.

Im Anschluss an die Verleihung befasste sich Safranski in einer Vorlesung mit Fragen nach der Zeit und deren Entschleunigung. „Wir leben gewissermaßen in zwei Zeitzonen. Einer wirklichen Zeit, die wir als verfließende, irreversible erleben; und eine vorgestellte Zeit, die uns Zeiträume vorspiegelt, in denen wir uns frei vor- und zurückbewegen können, sogar so weit zurück, dass wir kühn genug sind, uns in den Anfang der Zeit und ihr Ende zu versetzen“, so seine einleitenden Gedanken. Sein Vortrag reichte von der gesellschaftlichen Homogenisierung der Zeit bis hin zu Überlegungen zum Phänomen der Pünktlichkeit und Zeitknappheit. Safranski meinte etwa, dass die Knappheit der Zeit nicht als Eigenschaft, sondern als Nutzungs-Problem wahrzunehmen sei. Seines Erachtens stehe vor allem die kapitalistische Ökonomie als treibender Faktor hinter der Zeitverknappung. Dem Preisträger gelang eine gedankliche Überleitung zur Wegwerf-Ökonomie, die er als Symptom der Verkürzung der Lebenszeit allgemein und der Produkte deutete. Die Vergangenheit – also den Abfall – deklarierte er auch als unsere Zukunft, wo neben dem Müll auch Kreditrückzahlungs-Termine auf uns warten würden. Geschickt führte er zum aktuellen Thema Finanzkrise, die für ihn die verschiedenen Tempi der Gesellschaft zum Ausdruck bringt. „Der Zeitakt, in dem Geschäfte in der Finanzwirtschaft abgeschlossen werden, ist extrem schnell und erfordert eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit bei immer kürzer werdenden Fristen. Bei den gewöhnlichen Kreditnehmern und Sparern geht es demgegenüber gerade gemächlich zu“, so Safranski. Abschließend appellierte er, etwas an der Art und Weise der Vergesellschaftung der Zeit zu ändern. BO

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010