ÖÄK präsentiert Umfrage: „Problemkind“ Schularzt

25.03.2010 | Politik


Ein Drittel ihrer Arbeitszeit widmen die Schulärzte bereits dem psychosozialen Bereich, wie eine im Auftrag der ÖÄK durchgeführte Befragung ergab.

Von Birgit Oswald

Vor mehr als 100 Jahren wurde der traditionsträchtige Berufsstand des Schularztes ins Leben gerufen – um die Seuchengefahr an Schulen einzudämmen. Das Tätigkeitsfeld der Schulärzte hat sich seither laut einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Ärztekammer, die von der ÖQMed durchgeführt wurde, jedoch stark ausgeweitet und konzentriert sich heute auf psychosoziale Aufgaben, Interessensvertretung der Schülerschaft und auf präventivmedizinische Aspekte.

Besonders der Anteil des psychosozialen Bereichs ist in den letzten Jahren gestiegen und nimmt bereits ein Drittel der Arbeit in Anspruch. „Unsere Arbeit fokussiert ganzheitlich auf die physische, psychische und soziale Befindlichkeit der Kinder. Denn psychisch und physisch gesunde Schüler haben auch bessere Lernerfolge“, erklärt Gudrun Weber, Schulärztereferentin der Österreichischen Ärztekammer, bei einer Pressekonferenz Anfang März in Wien. Die Unterstützung auf psychischer Ebene kommt auch dem Lehrkörper und der Direktion zu Gute, da viele Schüler mit den unterschiedlichsten Anliegen Rat beim Schularzt suchen: etwa bei Mobbing, Depressionen oder familiären Konflikten. Da Schulärzte weder zum Lehrpersonal noch zur Direktion oder Elternschaft gehören, genießen sie eine privilegierte Stellung in der Schulhierarchie und können als neutrale Vermittlungs- und Vertrauenspersonen zwischen Lehrern, Schülern und Eltern fungieren. Sie sind vielmals auch oft die erste Anlaufstelle bei heiklen Themen wie Sexualität oder Suchtmittel. Weber führt noch einen weiteren Aspekt an: „Die Begleitung von chronisch kranken Kindern wird immer wichtiger.“ 

Auch in Hinblick auf Ernährung und Übergewicht können Schulärzte die bedeutenden Weichen für eine vitale Zukunft stellen. Mittlerweile betrifft Übergewicht schon jedes fünfte Schulkind; in Wien beispielsweise sind bereits 4,5 Prozent der Jugendlichen fettleibig. Diese Tendenz zeigt sich auch in einer auf EU-Ebene erhobenen Studie über den Gesundheitszustand der Jugendlichen, derzufolge österreichische Jugendliche im europäischen Vergleich auffallend wenig Obst und Gemüse zu sich nehmen und bei körperlicher Fitness deutlich unter dem Durchschnitt liegen. Der Konsum von gesunden Lebensmitteln ist aber für schulische Erfolge sowie für einen gesunden Lebensstil im Erwachsenenalter ausschlaggebend. „Wir müssen das Übel an der Wurzel packen. Daher muss es eine altersgemäße Information zu Ernährung und gesunder Lebensweise von Kindestagen an geben. Gesundheit muss zum ausbildungsbegleitenden Grundsatz werden!“ fordert ÖÄK-Präsident Walter Dorner. Beim Konsum von Nikotin-, Alkohol-, und Süßigkeiten liegt die heimische Jugend allerdings im Spitzenfeld. „Als Folge dieser Entwicklung rollt eine Welle von Volkskrankheiten und damit auch von Kosten auf das Gesundheitswesen zu. Die Jugendlichen von heute sind die chronisch Kranken von morgen“, warnt Dorner. „Viele Schüler beginnen schon mit zwölf zu rauchen“, fügt Rita Schwarz, Schulärztereferentin der Ärztekammer Tirol, hinzu und sieht deshalb ein frühes präventives Handeln notwendig.

Die allgemeine Lage der Schulärzte lässt zu wünschen übrig: Österreichweit sind rund 2.500 Ärztinnen und Ärzte an 6.500 Schulen engagiert; sie untersuchen jährlich rund 1,2 Millionen Schulpflichtige. Die Versorgung ist nicht einheitlich organisiert, sondern wird teils vom Bundesministerium für Gesundheit und Unterricht, teils von Gemeinden und den Bundesländern geregelt. Daraus resultiert ein Kompetenzdschungel – mit negativen Auswirkungen. Am besten versorgt sind demnach Schüler, die eine Bundeseinrichtung wie ein Gymnasium oder eine Berufsbildende Höhere Schule besuchen. Für 60 Schüler hat der Schularzt dort eine Wochenstunde Zeit. In den Pflichtschulen, die von den Ländern beziehungsweise den Gemeinden erhalten werden, hat der Schularzt in der selben Zeit 40 Schüler mehr zu versorgen, also insgesamt 100 Kinder oder Jugendliche in einer Stunde. Zeit für Beratung außerhalb der oft auf sieben Minuten pro Schüler (inklusive Anund Ausziehen) befristeten Reihenuntersuchungen bleibt in den Pflichtschulen folglich nicht. Oft fehlt es dort schon am nötigen „Schularztkammerl“, weshalb für die Untersuchungen auf Konferenzzimmer oder Klassenräume ausgewichen werden muss. „Die jetzige Anwesenheit des Schularztes an den Pflichtschulen ist im Regelfall zu wenig, um den zunehmenden Bedarf an Betreuung, Beratung und Begleitung bei essentiellen Problemen zu decken“, stellt Schwarz fest. Auch in Bereichen der Arbeitsmedizin gäbe es für den Schularzt viel zu tun.

Weiters fordert die Österreichische Ärztekammer, das Niveau der schulärztlichen Tätigkeiten in Pflicht- und Berufsschulen auf das von Bundesschulen aufzuwerten und österreichweit einheitliche Standards zu schaffen. Dorner spricht sich deshalb für eine „Systematisierung und Harmonisierung der Gesundheitsbetreuung von der Kinderkrippe bis zur Matura“ aus. Auch zeitliche Ressourcen müssten ausgebaut und die Gesundheitsinteressen der Schüler umfassend vertreten werden. „Die Schuleintritts-Untersuchung muss obligatorisch bleiben“, so der ÖÄK-Präsident.

Um solch eine kompetente Versorgung der Schüler zu erreichen, bietet die Österreichische Ärztekammer Fortbildungen für Schulärzte an, die – so Gudrun Weber – wegen der großen Nachfrage immer sehr rasch ausgebucht sind. Der nächste Kurs dafür findet im März 2011 statt.

Die zehn Forderungen

  1. Schulärztliche Versorgung aller Schülerinnen und Schüler auf gleich hohem Niveau;
  2. Mehr Zeit für die schulärztliche Betreuung an einem Standort; niedrigere Schülerschlüssel und weniger Schulen pro Schularzt;
  3. Modernisierung der Dokumentation; anonymisierte Datenerhebung als Grundlage für gesundheitspolitische Initiativen;
  4. Umfassende Vertretung der Gesundheitsinteressen der Schülerinnen und Schüler;
  5. Mithilfe bei einer guten Schul-Arbeitsplatzgestaltung;
  6. Stärkere Einbeziehung der Schulärzte in die Gesundheitserziehung und Gesundheitslehre;
  7. Stärkung der Vermittlerrolle zwischen Schülern, Eltern, Lehrern, Direktoren und Schulpsychologen zur Optimierung der Schullaufbahn;
  8. Mitwirkung bei der Aufklärung über persönliche Hygiene, Zahnhygiene und Monatshygiene bei Mädchen;
  9. Hygienische Überwachung des Schulhauses;
  10. Notfallplan bei ansteckenden Erkrankungen in Kooperation mit den Gesundheitsämtern; Bekämpfung parasitärer Erkrankungen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2010