Medikamentenverabreichung: Eigenverantwortung und Organisationsverschulden

10.11.2010 | Politik

Obwohl bei einer Patientin des LKH Salzburg eine Allergie gegen Novalgin bekannt war, wurde ihr Anfang 2010 das Medikament irrtümlich verabreicht und führte zum Tod. Wegen fahrlässiger Tötung wurden zwei Ärzte – in einem Fall noch nicht rechtskräftig – in erster Instanz verurteilt.
Von Johannes Barth*


Allgemeine Problemstellung

Neben dem individuellen Fehlverhalten einzelner Ärzte können insbesondere auch Organisationsmängel bei der Arzneimittelverordnung und -verabreichung diskutiert werden. Obwohl das Gesundheitswesen schon längst im Zeitalter der Informationstechnologie angekommen ist, kommen oft keine technischen Hilfsmittel zum Einsatz, um zum Beispiel Medikamtenunverträglichkeiten so zu kennzeichnen, dass eine unbeabsichtigte Verabreichung mit fatalen Folgen vermieden wird. Daher können auch Organisationsmängel beim Krankenhausbetrieb gesehen werden. Die möglichen Folgen eines solchen Urteils sollen hier vor allem in arbeitsrechtlicher Hinsicht dargestellt werden.

Strafverfahren

In einem Strafverfahren geht es immer um die Frage der persönlichen strafrechtlichen Verantwortung für einen Tatbestand (hier: fahrlässige Tötung). Es wird danach gefragt, ob der Arzt beim Tun oder Unterlassen vom objektiven, durchschnittlichen Sorgfaltsmaßstab abgewichen ist (Rechtswidrigkeit) und ob dieses Abweichen im konkreten Fall persönlich vorwerfbar ist (Verschulden). Beurteilungsmaßstab für die Prüfung der Sorgfalt hat ein durchschnittlicher Arzt gleicher Fachrichtung (Qualifikation) in der konkreten Situation (Arbeitsbedingungen, Zeitdruck usw.) zu sein (ex ante Betrachtung). Vielfach besteht das Problem, dass gerade Gerichte und Gutachter von einer ex ante Betrachtung abweichen und stattdessen einen Sorgfaltsmaßstab heranziehen, der sich letztlich ex post betrachtet an der reinen Lehre orientiert und vor allem die konkreten Umstände des Falles außer Acht lässt („Schreibtisch-Sichtweise“). Dann würde von einem überzogenen Maßstab zu Lasten des Beschuldigten ausgegangen.

Fragen eines in einem Fall unter Umständen hinzukommenden Organisations-Verschuldens des Krankenhausträgers beziehungsweise des Managements spielen bei der rein strafrechtlichen Beurteilung des Verhaltens einer einzelnen Person keine Rolle, solange sich aus dem individuellen Verhalten der Person eine tatbestands-mäßige Sorgfaltspflichtverletzung ableiten lässt.

Verbandsverantwortlichkeit

Unabhängig von der Prüfung der persönlichen Schuld gibt es seit 2006 die Möglichkeit der strafrechtlichen Prüfung der Verbandsverantwortlichkeit. Neben der Verantwortlichkeit der Person verlangt das Gesetz, dass „die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.“

Im österreichischen Gesundheitswesen ist derzeit erst ein Krankenhaus-Fall bekannt geworden, der gerade gerichtlich geprüft wird. Judikatur zur Verbandsverantwortlichkeit gibt es noch so gut wie keine. Interessant wird sein, wie die künftige Rechtsprechung die Verantwortlichkeiten für Organisationsmängel strafrechtlich definiert und welcher Sorgfaltsmaßstab dann an Entscheidungsträger im Krankenhaus angelegt werden wird.

Eine zusätzlich festgestellte Verbandsverantwortlichkeit hilft dem verurteilten beziehungsweise beschuldigten Arzt aus strafrechtlicher Sicht nicht, da die Verantwortungen nebeneinander zum Tragen kommen.

Organisationsverschulden

Auch wenn eine allfällige Verbandsverantwortlichkeit den einzelnen Arzt strafrechtlich nicht von seiner eigenen Schuld befreien kann, so hat die Frage eines Organisationsverschuldens – gegenüber der Eigenverantwortung – doch eine erhebliche Bedeutung für die Beurteilung eines möglichen zivilrechtlichen Haftungsregresses (Dienstnehmerhaftpflicht) sowie der arbeitsrechtlichen Frage der etwaigen vorzeitigen Lösung des Arbeitsverhältnisses.

Vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses

Eine strafrechtliche Verurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts berechtigt für sich noch nicht zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei bestandsgeschützten Arbeitsverhältnissen wenn ein Organisationsverschulden hinzukommt. Die konkrete Sorgfaltswidrigkeit des Arztes wird dem Organisationsverschulden gegenüber zu stellen sein. Schwierige Arbeitsbedingungen (u.a. Arbeitsdichte, Zeitdruck, Personalmangel, KA-AZG-Überschreitungen) sind vielfach Belege für Organisationsmängel. Nach deren Verantwortung ist einerseits zu fragen, wie andererseits konkret nach den Auswirkungen dieser Arbeitsbedingungen auf die vorgeworfene persönliche Sorgfaltswidrigkeit. Daher kann persönliches Fehlverhalten unter Umständen noch nicht das nötige Gewicht für eine berechtigte Vertragsauflösung erreichen, wie es Resch (siehe Literaturhinweise am Ende des Beitrags) treffend formuliert.

Haftungsregress

Hat der Krankenhausträger für einen Medizinschaden gegenüber dem Patienten Schadenersatz zu leisten (aufgrund Urteil oder Vereinbarung), kann sich der Träger unter Umständen bei nachgewiesener Verantwortung bei den Mitarbeitern regressieren. Dieser Regress ist allerdings dem Grunde und dem Umfang nach bereits durch eine gesetzliche Regelung (Dienstnehmerhaftpflichtgesetz) eingeschränkt. Bei der Frage des Regresses sind gesetzlich folgende Faktoren zu berücksichtigen:
– Verantwortungsbereich;
– Ausbildungsstand;
– Arbeitsbedingungen;
– Schadensgeneigtheit der Tätigkeit;
– Einkommen.
Das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz ist damit eine konkrete Vorschrift, die auf Arbeitsumstände und damit auch auf Organisationsverantwortung Bezug nimmt.

Fazit

Bei der Diskussion solcher Fälle wird die Fehlerkultur berechtigterweise angesprochen, die vermutlich in vielen österreichischen Krankenanstalten stark verbesserungswürdig ist. Der Umgang mit Fehlern sollte sowohl im Interesse der Patienten und Angehörigen, als auch im Interesse der Mitarbeiter, die täglich starken physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind, professionialisiert werden.

Die Organisationsverantwortung ist jedenfalls arbeitsrechtlich auf verschiedenen Ebenen relevant. Interessensvertreter und Juristen haben sich verstärkt diesem Thema zu widmen und der Frage nach Organisationsverschulden von Trägern und Management kritisch nachzugehen. Die Organisationsverantwortung wird zwischenzeitlich nicht nur standespolitisch, sondern auch in der Rechtslehre verstärkt diskutiert (ausführlich Resch, Organisationsverschulden der Krankenanstalt aus Sicht des Arbeitnehmers, Recht der Medizin Nr. 03/2010) und kommt auch bereits in der Judikatur zum Ausdruck (siehe Zitat).

*) Dr. Johannes Barth ist stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Salzburg; Tel. 0662/87 13 27/0; E-Mail: barth@aeksbg.at

Zitat

Der Oberste Gerichtshof:
„Der Fall ist symptomatisch für das bestehende Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Gesundheitswesen und den arbeitsteilig organisierten Krankenhausalltag. In diesem Zusammenhang nur vom Arzt mehr Engagement zu verlangen, ohne auch das konkrete Engagement des Krankenhausträgers bei der Organisation des Dienstes zu hinterfragen, greift zu kurz.“
(OGH 4.8.2009, 9 ObA 53/08x)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2010