Die „Pille danach“: Kommentar – Univ. Prof. Johannes Bonelli

25.01.2010 | Politik


Die „Pille danach“

Von Johannes Bonelli*

Die Österreichische Ärztekammer hat sich mit Entschiedenheit für die Rezeptpflicht des Hormonpräparats Levonorgestrol, bekannt als „Pille danach“, ausgesprochen. Dies zeugt von einem hohen Verantwortungsbewusstsein der Ärzteschaft, insbesondere auch für unsere Jugend. Trotzdem hat Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) im Alleingang das hochdosierte Hormonpräparat per Erlass rezeptfrei gestellt „für Frauen aller Altersgruppen“, wie es im entsprechenden Bescheid des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen per 17. Dezember 2009 heißt.  

Es ist sicher recht bequem, ja beinahe zynisch, wenn man nun Frauen, die eine Schwangerschaft befürchten, in ihrer Not allein lässt und sie mit einer rezeptfreien „Notfallpille“ ohne Rücksicht auf Verluste im wahrsten Sinne des Wortes „abspeist“, anstatt sie zu beraten. In vielen Fällen wird die einmalige Einnahme dieses Präparats weitgehend problemlos sein und zwar dann, wenn die Pilleneinnahme hinreichende Zeit vor dem erwarteten Eisprung erfolgt und dann ovulationshemmend wirkt. Aber auch dann sollte die Klientin von einem Arzt auf potentielle Risken und Nebenwirkungen wie Blutungsstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Tubargravidität usw. aufmerksam gemacht werden. Außerdem erscheint ein umfangreiches Aufklärungsgespräch unumgänglich, damit die Kundinnen nicht dazu verleitet werden, dieses Präparat als reguläre Verhütungsmethode anzuwenden. In einigen Fällen müsste der Kundin von der Einnahme abgeraten werden wie zum Beispiel bei Kontraindikationen. In anderen Fällen ist die Einnahme sinnlos, etwa wenn der Geschlechtsverkehr schon zu lange zurückliegt, dass die Pille unwirksam ist, oder wenn eine Empfängnis höchst unwahrscheinlich ist (beispielsweise kurz vor der zu erwartenden Menstruation).

Problematisch kann die Ausgabe der Pille auch dann sein, wenn die Frau knapp vor oder knapp nach dem Eisprung steht. Dann wirkt die „Pille danach“ nämlich nicht mehr ovulations-, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit nidationshemmend. Die hohe Dosis des Hormonpräparats führt in dieser Zyklusphase durch Unterdrückung der basalen LH-Ausschüttung zu einer Abkopplung der Gebärmutterschleimhaut vom endogenen Gestagen und in der Folge zu einer vorzeitigen Abbruchblutung. Außerdem kommt es zur Lähmung des tubalen Flimmerepithels und der Tubenmotilität, sodass der Transport einer eventuell befruchteten Eizelle verzögert wird. Beide Mechanismen führen in diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass sich die Blastozyste nicht mehr rechtzeitig in die Gebärmutterschleimhaut einnisten kann. Viele Frauen lehnen einen Schwangerschaftsabbruch durch Nidationshemmung ab. Sie haben das Recht, fachgerecht informiert zu werden.

Auch viele Ärzte würden die Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch durch Nidationshemmung ablehnen. Für sie ist die jetzige „Lösung“ am wenigsten konfliktträchtig, obgleich in der österreichischen Verfassung das Grundrecht auf Gewissensfreiheit prinzipiell festgeschrieben ist. Die Gesetzgebung sieht dezidiert einen Gewissensvorbehalt des Arztes vor, sodass er zum Beispiel nicht zur Verschreibung eines Rezepts gegen sein Gewissen gezwungen werden kann. Anders liegen die Verhältnisse beim Apotheker, der nun gezwungen wird, ein risikoreiches, potentiell nidationshemmendes Hormonpräparat rezeptfrei abzugeben.

Ein Gewissensvorbehalt des Apothekers ist in der österreichischen Gesetzgebung nicht enthalten. Dennoch: Die Gewissensfreiheit ist ein Recht, das jedem Menschen zusteht, also auch dem Apotheker. Einen Gewissenszwang durch den Staat sollten sich weder die Ärzte (mit Hausapotheke) noch die Apotheker auferlegen lassen. Wenn der Staat der Ansicht ist, dass die „Pille danach“ unter allen Umständen abgegeben werden muss, wenn die Klientin das verlangt, also ohne vorher vom Arzt über Wirkung und Nebenwirkungen aufgeklärt worden zu sein, so hat er schon selbst das Präparat flächendeckend zur Verfügung zu stellen, ohne dabei den Arzt oder Apotheker in einen Gewissenskonflikt zu bringen (zum Beispiel durch Abgabe beim Gemeindeamt oder bei der Polizei).


*) Univ. Prof. Dr. Johannes Bonelli ist Direktor von IMABE: Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2010