Kommentar – Univ. Prof. Dr. Enrique Prat: Kommunikation gefragt!

15.07.2010 | Politik

Die Medizin hat sich gewandelt und damit auch der Begriff des „Patienten“. Wo neben Heilung und Linderung auch ohne eigentliche Indikation chirurgische Eingriffe und/oder medikamentöse Behandlungen nach Wunsch betrieben werden, um somatische und funktionale Verbesserungen (Enhancement) zu bewirken, kann nicht mehr nur vom kranken Patienten, sondern mussauch vom mündigen Klienten gesprochen werden. Symmetrisch dazu haben sich das Bild des ärztlichen Berufes und sein Ethos geändert: Der Helfer in der Not – Heiler und Linderer – verwandelt sich immer mehr zum wunscherfüllenden Dienstleister. Zum fürsorglichen Ethos, das das herkömmliche Berufsbild des Arztes ausmacht, ist nun das ökonomische Vertragsethos hinzugekommen.

Idealtypisch lassen sich zwei Patiententypen unterscheiden: der Kranke und der Klient. Der Kranke befindet sich in einer Notlage und ist ein Hilfesuchender. In seiner Not muss er einen Arzt aufsuchen und erwartet sich von ihm durch fachlich kompetente Fürsorge Heilung und Linderung. Der kranke Patient hat nur laienhafte Vorstellungen über Therapieziele: Er will geheilt werden und dabei so wenig wie möglich leiden. Inwieweit dies möglich ist, erfährt er vom Arzt. Entscheidend ist auch, dass sich der Patient als Person angenommen weiß und sich verstanden fühlt. Dann wird er sich dem Arzt als seinem Coach anvertrauen.

Der Klient-Patient – unabhängig davon ob er in der Not ist oder nicht – bestellt beim Arzt ganz bewusst und selbstbestimmt eine konkrete Leistung und erwartet sich von ihm die genaue Ausführung. Das ärztliche, fürsorgliche Ethos verpflichtet den Arzt zur Hilfeleistung in der Not – beim Klienten ist Fürsorge weder gefordert noch gefragt. Im Gegenteil: Es wäre für ihn als Kunden herabwürdigend.

Diese zwei Patiententypen, wenngleich hier idealtypisch beschrieben, begründen zwei wesentlich unterschiedliche Arzt-Patient-Beziehungen. Im medizinischen Alltag gibt es je nach Krankheit, gesundheitlichem Zustand, sozialem Status und dergleichen Patiententypen mit unterschiedlichen Patienten- und Klienten-Komponenten; die Typen treten in einer Vielzahl von Mischformen auf…
Dazu einige Beispiele:

  1. Bei physisch und psychisch schwer belastenden Krankheiten tritt der Patient in der Ordination oder im Krankenhaus als rein Hilfesuchender und der Arzt als Helfer in der Not auf: Hier ist der erste Typus (kranker Patient) absolut prävalent.
  2. Bei meistens überraschend auftretenden Infektionskrankheiten tritt der Arzt als Heiler und Helfer auf, und der Patient verhält sich vorwiegend nach dem „kranker Patient“-Typus.
  3. Bei chronischen Krankheiten ergibt sich nach der Akutphase eine geteilte Verantwortung mit Entscheidungspriorität des Patienten. Der Patient beginnt auch Klient zu werden, indem er sich erkundigt, selber Vorschläge macht, eine zweite Meinung einholt usw. Der Arzt wird zum Teil Helfer, aber auch zum Teil Partner, Berater, Vermittler und Koordinator.
  4. Bei Krankheiten, die Folgen von gesundheitsschädigendem Verhalten und Konsumgewohnheiten sind, wird der Arzt auch Anbieter von Dienstleistungen und Produkten.
  5. Bei Funktions- und Merkmalverbesserungswünschen (Wunscherfüllende Medizin/Enhancement) ist die Klient-Komponente dominant, obwohl auch eine Kranken-Komponente vorhanden sein kann, zum Beispiel bei eklatanten Fehlbildungen, aber auch bei körperdysmorphen Störungen.

Die medizinethische Anforderung an den Arzt, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten, verlangt von ihm, den genauen Patiententypus zu erkennen, damit er sich ihm gegenüber richtig verhalten kann: fürsorglich bis bevormundend, wenn der Patient es selbst will, oder partnerschaftlich beratend, wenn dies so gewünscht wird. Aber zwischen reiner Bevormundung und reiner Beratung gibt es viele Schattierungen. Eine große kommunikative Kompetenz ist erforderlich, um auf die Besonderheiten des jeweiligen Patiententypus einzugehen. Da diese Kompetenz nicht angeboren ist, ist es wichtig, sie in den Ausbildungscurricula der Universitäten und Weiterbildungsprogrammen der ärztlichen Organisationen stärker zu vermitteln. Der gute Arzt muss eben auch ein guter Kommunikator sein.

*) Prof. Dr. Enrique Prat ist Geschäftsführer von IMABE – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2010