Kommentar – Präs. Walter Dorner: Etikettenschwindel!

25.09.2010 | Politik

Künftig werden nur noch Pflegepersonen die Begutachtung für den Erhalt des Pflegegelds vornehmen – so soll es zumindest sein, wenn das ab 1. Oktober laufende Pilotprojekt des Sozialministeriums erfolgreich verläuft. Im Rahmen dieses Projekts werden 80 Pflegepersonen, die derzeit von einem oberösterreichischen Richter geschult werden, rund 1.000 Personen in Salzburg, Tirol, Wien und im Burgenland begutachten.

Dem Vernehmen soll es in Zukunft überhaupt so sein, dass nur noch die Erst-Begutachtung für die Pflegegeldeinstufung durch einen Arzt erfolgen soll; alle neuerlichen Begutachtungen sollen durch die neu geschulten Pflegekräfte erfolgen. Nun, dass Pflegekräfte keine Diagnosen stellen können – aufgrund ihrer Ausbildung – und dies auch nicht dürfen – laut Ärztegesetz – steht wohl außer Frage.

Ich frage mich aber, wie das in der Praxis aussehen soll, wenn Pflegekräfte das „Ärztliche Gutachten“ erstellen – und wir Ärzte in diesen Prozess gar nicht mehr eingebunden sind. Im Prinzip kann es doch eigentlich nur so ablaufen, dass Ärzte – so wie sie dies heute ohnehin schon tun – auch die Pflegedokumentation in ihr ärztliches Gutachten einfließen lassen. Denn auch wenn der Begriff „Pflegegeld“-Begutachtung auf den ersten Blick etwas Anderes vermittelt, so muss klar und deutlich festgehalten werden, dass hier in erster Linie medizinische und nicht – wie der Begriff fälschlicherweise vermittelt – pflegerische Kriterien von Relevanz sind.

Die Begutachtung für den Erhalt und die Einstufung des Pflegegelds ist und bleibt eine ärztliche Tätigkeit. Nur unsere langjährige Ausbildung und Erfahrung gewährleisten, dass die hohe Qualität dieser ärztlichen Gutachten weiterhin erhalten bleibt. Mir ist auch nach wie vor schleierhaft, was man mit dieser Vorgangsweise bezweckt. Wo bleibt die ärztliche Stellungnahme? Will man auf diese Expertise verzichten und womöglich Gutachterärzte damit einsparen?

Ich kann nur warnen vor solchen Überlegungen. Denn mit dem Aufbau von teuren Doppelgleisigkeiten wird es nicht getan sein: Wenn man sich in kritischen oder auch in diffizilen Situationen nicht mehr anders zu helfen weiß, dann doch die ärztliche Erfahrung und Kompetenz benötigt wird und diese im Nachhinein eingeholt werden muss, bringt das dem System nichts an Einsparungen. Im Gegenteil: Es wird teurer und geht darüber hinaus zu Lasten der Betroffenen, die dann noch länger auf das Pflegegeld warten müssen.

Aus meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Spitalsarzt weiß ich sehr wohl um die Wichtigkeit und den Stellenwert der Pflege. Aber es gibt einfach Dinge, die nur ein Arzt aufgrund seiner ärztlichen Kompetenz machen kann: und dazu gehört nun einmal die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens.

Und eines muss auch klar sein: Ein ärztliches Gutachten wird jetzt und auch in Zukunft nur dann auch als solches bezeichnet werden, wenn es ein Arzt erstellt hat. Darüber gibt es keine Diskussion.

Kann wirklich irgendjemand in Österreich ernsthaft wollen, dass Pflegekräfte ärztliche Gutachten erstellen? Wir Ärztinnen und Ärzte sind dafür jedenfalls nicht zu haben.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2010