Kom­men­tar – Mag. Susanne Kum­mer: Wo bleibt das Kindeswohl?

25.06.2010 | Politik

Wie gehen Kin­der mit dem Wis­sen um, dass sie durch einen anony­men Fremd-Samen­spen­der ent­stan­den sind? Eine aktu­elle Stu­die zeigt: 92 Pro­zent aller Kin­der wol­len wis­sen, wer ihre gene­ti­schen Ver­wand­ten sind und fahn­den nach gene­ti­schem Vater und poten­ti­el­len Halb­ge­schwis­tern. Als Begrün­dung gab ein Groß­teil der Kin­der an, dass ihnen etwas von ihrer per­sön­li­chen und gene­ti­schen Iden­ti­tät fehle.

Diese Fak­ten stim­men nach­denk­lich ange­sichts des jüngs­ten Urteils des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rechte (EGMR), der Öster­reich zu einer Libe­ra­li­sie­rung von Ei- und Samen­zell­spen­den von Drit­ten für künst­li­che Befruch­tun­gen zwin­gen will: Wer denkt eigent­lich noch an das Wohl des Kin­des?

Nach dem öster­rei­chi­schen Fort­pflan­zungs­me­di­zin­ge­setz darf ein Paar – aus­ge­nom­men der hete­ro­lo­gen Inse­mi­na­tion – keine frem­den Ei- bezie­hungs­weise Samen­zel­len für eine künst­li­che Befruch­tung ver­wen­den. Genau diese Rege­lung will der EGMR nun kip­pen. Öster­reich steht unter Druck: Das Gesetz ver­stoße gegen die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­tion – kon­kret gegen das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot (Arti­kel 14) und das Recht auf Ach­tung des Fami­li­en­le­bens (Arti­kel 8), so die Straß­bur­ger Rich­ter. Anlass für das Anfang April 2010 gefällte Urteil waren zwei öster­rei­chi­sche Paare, die bereits vor zwölf Jah­ren ihren Kin­der­wunsch mit­tels IVF erfül­len woll­ten. In bei­den Fäl­len konn­ten die Frauen keine Eizel­len pro­du­zie­ren, einer der Ehe­män­ner war unfrucht­bar. Die öster­rei­chi­schen Behör­den lehn­ten es ab, die bio­lo­gi­sche Eltern­schaft im Zuge der IVF auf drei bezie­hungs­weise vier Per­so­nen zu split­ten – mit guten Grün­den: Zum einen soll­ten damit „unge­wöhn­li­che Fami­li­en­ver­hält­nisse“ durch die Exis­tenz zweier Müt­ter (einer gene­ti­schen und der aus­tra­gen­den) ver­hin­dert wer­den, argu­men­tier­ten die Ver­fas­sungs­schüt­zer. Zum ande­ren ver­wie­sen sie auf das Risiko, dass Frauen aus „sozial benach­tei­lig­ten Schich­ten“ unter Druck gesetzt wer­den könn­ten, Eizel­len zu spen­den. Der Straß­bur­ger Gerichts­hof ließ diese Argu­mente nicht gel­ten. Begrün­dung: Schließ­lich wür­den auch Adop­tio­nen zu „unge­wöhn­li­chen Fami­li­en­ver­hält­nis­sen“ füh­ren. Und das Pro­blem von medi­zi­ni­schen Risi­ken bestünde auch schon jetzt für alle Frauen, die sich einer IVF unter­zie­hen, ein Han­del mit Eizel­len sei ohne­hin verboten.

Der Ver­gleich mit der Adop­tion sitzt einem Trug­schluss auf: Wenn Eltern fremde Kin­der unei­gen­nüt­zig in einer Not­si­tua­tion auf­fan­gen und sich groß­zü­gig bereit erklä­ren, ihnen ein neues Zuhause zu schaf­fen, kann dies nicht ver­gli­chen wer­den mit der geziel­ten Absicht, ein Kind vom Beginn sei­ner Exis­tenz an dazu zu ver­ur­tei­len, ein „Adop­ti­ons­fall“ zu sein. Hat nicht jedes Kind prin­zi­pi­ell ein Recht auf einen Vater und eine Mut­ter?

Gera­dezu naiv reagiert das Urteil auch auf die Ten­denz des welt­weit stei­gen­den Eizel­len-Han­dels und der damit ver­bun­de­nen Degra­die­rung des Kör­pers der Frau als Roh­stoff-Lie­fe­ran­tin. Nicht Unrecht hat der EGMR, wenn er meint, dass dies in gewis­ser Weise schon bei jedem IVF-Ver­fah­ren geschehe.

Ange­sichts der Macht des Mach­ba­ren (Roh­stoff-Lie­fe­ran­tin Frau für Embryo­nen­for­schung oder Furcht­bar­keit, Selek­tion von lebens­un­wer­tem Leben, Keim­bahn­ma­ni­pu­la­tion, Desi­gner-Baby, inter­na­tio­nal orga­ni­sier­ter Eizel­len­han­del, Leih­mut­ter­schaft usw.) haben sich die ethi­schen Beden­ken gegen künst­li­che Fort­pflan­zungs­me­tho­den bewahr­hei­tet. Die Frage nach dem mit einer Eizell-Spende ver­bun­de­nen Gesund­heits­ri­siko wird schon heute her­un­ter­ge­spielt. Fer­ti­li­täts­kli­ni­ken wei­gern sich vor­sorg­lich, für even­tu­elle Kos­ten in Folge von gesund­heit­li­chen Pro­ble­men aufzukommen.

Noch hat die Repu­blik Zeit, das Urteil anzu­fech­ten. Die Erfül­lung des ver­zwei­fel­ten Kin­der­wun­sches eines unfrucht­ba­ren Paa­res soll die Bereit­schaft zur Eizell­spende in poten­ti­el­len Spen­de­rin­nen erzeu­gen – viel­leicht, weil sie die Betrof­fe­nen per­sön­lich ken­nen, weil sie in hohem Grad altru­is­tisch sind oder ein­fach ihr Stu­dium finan­zie­ren müs­sen. Es muss Auf­gabe des Gesetz­ge­bers sein, Betref­fen­den in die­sem Fall vor sich selbst zu schüt­zen. Und das Kin­des­wohl mit allen Mit­teln zu ver­tei­di­gen.

*) Mag. Susanne Kum­mer ist stell­ver­tre­tende Geschäfts­füh­re­rin von IMABE – Insti­tut für medi­zi­ni­sche Anthro­po­lo­gie und Bio­ethik, Wien.


© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 12 /​25.06.2010