Kommentar – Dr. Karlheinz Kux: Unrichtig und unwürdig!

15.12.2010 | Politik

Der vom niederösterreichischen VP Gerrit Loibl, MSc im „Consilium“ vom November dieses Jahres veröffentlichte Beitrag „Soll Menschenhandel erlaubt werden?“ kann nicht unwidersprochen stehen bleiben: Der Beitrag ist sachlich unrichtig und im Stil dem eines Akademikers nicht würdig.
Von Karlheinz Kux*

In der Ausgabe der in Niederösterreich erscheinenden Zeitschrift Consilium Nr. 11/10 versteigt sich VP Loibl zur (rhetorischen?) Titel-Frage: „Soll Menschenhandel erlaubt werden?“ Er verbindet diese Sorge mit dem „Bertl-Gutachten“, wonach die Patientendatei ein handelbares Gut wäre. Loibl selbst räumt jedoch (wortwörtlich) ein: „Richtig wären diese Überlegungen nur, wenn man den Begriff ‚Patientendatei‘ durch ‚Patientenstock‘ ersetzt.“

Auf die Idee, dass der eine Begriff ein Synonym für den anderen ist, kommt Loibl nicht – für den Betriebswirtschafter Bertl und viele Juristen ist es wohl eine Selbstverständlichkeit; das sollte es für einen Master of Science aber auch sein! Und außerdem: In welcher anderen Form als in einer Patientendatei soll sich der Patientenstock darstellen? Diesbezüglich wäre eine vorherige Konsultation des neuen „unabhängigen niederösterreichischen Ärzteanwalts“, Mag. Markus Lechner, sicher hilfreich gewesen; siehe dessen Rechtsmeinung im Consilium 6/10 S. 41, wo Lechner – mit der Terminologie von Ärzten zwar noch nicht so vertraut – den Begriff „Kundenstock“ statt Patientenstock verwendet.

In der Ausgabe des Consilium 11/10 verbreitet sich Präs. Reisner zum selben Thema zwar differenzierter, aber dennoch nicht richtig und nicht schlüssig, wenn er schreibt: „Die Übernahme einer vorhandenen Patientendatei ist grundsätzlich als Vorteil zu betrachten.“

Seine Ansicht hingegen, das Ärztegesetz (gemeint kann nur der § 51 Abs 4 ÄrzteG) verpflichte ohnedies zur Übergabe der Dokumentation (= Patientendatei) an den Kassenplanstellennachfolger, ist falsch! Diese Bestimmung verpflichtet nämlich diesen nur, die Dokumentation zu übernehmen; eine Übergabepflicht ist in dieser Bestimmung weder enthalten noch herauszulesen!

Und gleich darauf begeht Reisner die nächste Unschlüssigkeit. Er erkennt zwar Folgendes: „Der Gesundheitsmarkt betreffend Leistungen aus dem kassenärztlichen Bereich ist kein freier Markt und das ist auch gut so. Diese Sichtweise ist aber auch bei der betriebswirtschaftlichen Bewertung von Kassenordinationen zu bedenken“ Allerdings vertritt er die Meinung: „Letztendlich muss jeder übernehmende Arzt für sich die Entscheidung treffen, welche ‚Leistung‘ eine allfällige Ablösesumme beinhaltet. Die alleinige Übergabe des Kassenvertrages und der Kartei ist zweifelsfrei zu wenig, das bestätigen höchstgerichtliche Urteile.“

Klar ist, dass weder die Übergabe des Kassenvertrages – eine solche gibt es ohnehin gar nicht – noch die Übergabe der Kartei als solche Anlass für eine „Ablösezahlung“ sein können!

Schon das Wort „Ablöse“ ist antiquiert und falsch. Es geht nicht in jedem – jedenfalls immer nur individuellem Ordinationsübergabefall – um eine allfällige Abgeltung wirtschaftlicher Vorteile (zum Beispiel durch unterschiedliche Ordinationsumsätze und Gewinne) für und durch den Kassenplanstellennachfolger.

Dafür eine betriebswirtschaftliche Bewertungsgrundlage – und sonst nichts – zu bieten, dient das „Bertl-Gutachten“. Ob und welche rechtlichen Schlussfolgerungen zu ziehen sind, ist wieder etwas ganz Anderes.

Um noch einmal Reisner zu zitieren, diesmal aus dem Consilium 9/10: „Wenn eine Ordination etwas wert ist, wird sie einen Verkaufspreis erzielen. Wenn sie viel wert ist, wird sie einen hohen Preis erzielen. Wenn sie wenig wert ist, wird sie einen geringen Preis erzielen oder sogar ‚unverkäuflich‘ bleiben.“ Das ist richtig, problematisch wird es hingegen beim darauf Folgenden. Reisner weiter: „Seit 2006 regiert jedenfalls der unreglementierte Markt. Ordinationsübergeber und Ordinationsübernehmer machen sich selbst – als freiberufliche Geschäftspartner – aus, zu welchem Preis eine Ordination verkauft wird. Oder auch nicht.“

Da das Kassensystem „kein freier Markt ist“, so die Erkenntnis von Reisner im Consilium Nr. 11/10, ist es eben mehr als fragwürdig, bei Kassenordinations- und Kassenstellennachfolge „den unreglementierten Markt regieren zu lassen“.

Deshalb kann es ja in Niederösterreich zu überhöhten Zahlungsvorgängen kommen, die vollkommen unberechtigt und daher abzustellen sind.

Der „unabhängige Ärzteanwalt“ Lechner begründet dies – wahrscheinlich in Unkenntnis solcher tatsächlicher Vorgänge – im Consilium Nr. 6/10 wie folgt: „Übernimmt der Nachfolger allerdings die Ordinationsräumlichkeiten, Gerätschaften und/oder einen eigens aufgebauten Kundenstock, werden entsprechende Ablösesummen ausgehandelt werden können. Dies erfolgt in freier wirtschaftlicher Vereinbarung. Die Ärztekammern bieten freilich unverbindliche Hilfestellungen bei der Berechnung der Höhe einer allfälligen Ablöse.“

Woraufhin Dr. Peter Pölzlbauer, Pressereferent der Ärztekammer für Niederösterreich, im Consilium Nr. 7 und 8/10 beklagt: „…tatsächlich werden Bewerbungen um Kassenstellen immer seltener, geordnete Praxisübergaben gibt es so gut wie gar nicht.“

Nicht eben einheitlich sind die Positionen der niederösterreichischen Kammervertreter zu dieser Thematik. Man sieht also: Es besteht Regelungsbedarf.

Das hat inzwischen auch die Soziale Krankenversicherung erkannt, die gem. § 342 ASVG einerseits eine kontinuierliche Patientenversorgung verlangt und erwartet – wozu wohl die Übergabe der Patientendokumentation gehört, um in großem Umfang Doppeluntersuchungen zu vermeiden und zu bezahlen; andererseits möchten die Kassen verständlicherweise auch nicht haben, dass neue Kassenärzte mit unnötigen – weil überhöhten – Kostenbelastungen im Zusammenhang mit Ordinationsübergabe und Kassenplanstellennachfolger belastet werden.

Deshalb hat der Hauptverband anlässlich des „Bertl-Gutachtens“, das er als eine maßvolle, die Übernehmerinteressen überaus berücksichtigende Expertise sieht, mit der ÖÄK „Bundeskurie niedergelassene Ärzte“ Gespräche begonnen.

Regelungsbedarf ist – wie man sieht – gegeben.

Die Kritik Reisners im Consilium 11/10 an Präsidialmitgliedern der ÖÄK, diesmal an Präs. Dorner, „er verhindere eine sachliche Diskussion in der Österreichischen Ärztekammer“, ist daher wieder einmal verfehlt!

Präs. Reisner dürfte nämlich – ebenso wie seinem Vizepräsidenten Loibl – entgangen sein (um in der Diktion von Reisner zu bleiben), dass es in der Österreichischen Ärztekammer für diese Thematik eine Zuständigkeit gibt und, dass nur zuständige Organe entscheidungsbefugt sind.

*) Dr. Karlheinz Kux ist Kammeramtsdirektor der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2010