Kein Vertrag mit der SVA: Vorschläge waren unannehmbar

10.06.2010 | Politik

Noch am 31. Mai gab es intensive Gespräche zwischen den Spitzenvertretern von ÖÄK und SVA. Allerdings ohne Erfolg: Die von der SVA in letzter Sekunde unterbreiteten Verschläge waren für die ÖÄK nicht akzeptabel. Seit 1. Juni gilt die vertragsfreie Zeit.Von Kurt Markaritzer und Agnes M. Mühlgassner

Zwei Gipfelgespräche zwischen den Spitzenvertretern von ÖÄK und SVA – eines davon am 19. Mai, das andere am 25. Mai – scheiterten. Und führten in den Tagen darauf zu hektischer Betriebsamkeit: So kam es am letzten Mai-Wochenende zu einem nächtlichen Verhandlungsmarathon zwischen dem Bundeskurienobmann der Niedergelassenen Ärzte, Günther Wawrowsky sowie dem ÖÄK-Vizepräsidenten Artur Wechselberger mit SVA-Chef Christoph Leitl. Wawrowsky sprach von einem „intensiven und sachlichen“ Verhandlungsklima, Wechselberger betonte den „vertrauensfördernden Charakter“ der Gespräche.

Walter Dorner, der sich nach wie vor „gesprächsbereit“ zeigte, sich jedoch zu diesem Zeitpunkt im Ausland befand, erklärte, unmittelbar nach seiner Rückkehr mit Leitl Kontakt aufnehmen zu wollen. Im Zuge der intensiven telefonischen Kontakte präsentierte Leitl nach der Vorstandssitzung der SVA ein – wie er es formulierte – „finales“ Angebot: die Fortsetzung der bisherigen Horonartarife bis zur Einigung auf einen neuen Vertrag – was einem weiteren Moratorium gleich gekommen wäre – sowie eine Einmalzahlung an die Ärzte in nicht bezifferter „Millionenhöhe“. Ebenso war in diesem Papier die Implementierung eines „Managed Care-Systems“ vorgesehen, was eine fixe Fallpauschale für die Behandlung von Patienten bedeutet hätte. Um 17h war es dann klar: Für die ÖÄK war dieses Angebot inakzeptabel und die Verhandlungen somit gescheitert. Seit 1. Juni herrscht vertragsfreie Zeit zwischen ÖÄK und SVA.

Während dieser intensiven Verhandlungsphase riefen die SVA-Versicherten über die Internet-Plattform „Facebook“ für den 1. Juni zu einer Demonstration zunächst nur vor der Wirtschaftskammer in Wien, dann auch vor der Ärztekammer in der Weihburggasse auf. Hatten via Facebook noch 200 Versicherte ihre Teilnahme an der Kundgebung zugesagt, waren es schließlich dann 100 Personen, die sich tatsächlich einfanden. Die Forderungen der Demonstranten: weitere Verhandlungen, gleiche Beträge für gleiche Leistung, nur noch eine Sozialversicherung für alle. Übrigens: In Wien gibt es insgesamt 162.000 SVA-Versicherte; davon sind 111.000 Pflichtversicherte (Aktive und Pensionisten) sowie 51.000 Angehörige.

Johannes Steinhart, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in Wien, stellte sich der Diskussion mit den Demonstranten. Seine Einschätzung der Situation: „Es geht hier nicht um einen Tarifstreit, sondern um eine Systemänderung. Das können wir aufgrund unserer ärztlichen Haltung und unserem Zugang zu den Patienten nicht akzeptieren.“ Dafür stehe man jetzt auch, auch wenn es das Problem mit sich bringe, dass man sich nun im vertragslosen Zustand mit der SVA befinde. In Bezug auf die unterschiedlichen Honorare bei Angestellten und Selbstständigen meinte er: „Man muss aber den Katalog der ärztlichen Leistung als Gesamtheit sehen. Man kann nicht einzelne Positionen, wie das derzeit polemisch von der SVA versucht wird, herausnehmen und als Diskussionspunkt für ein ganzes System fest machen. Es geht um ein System und hier ergibt sich im Durchschnitt ein Ausgleich zwischen den anderen Katalogen.“ Was jedoch laut Steinhart das Entscheidende sei: Die SVA plane, ein System aufzuziehen, in dem die ärztliche Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werde und „wir nicht mehr die individuelle Zuwendung zum Patienten und entsprechende Therapie gestalten können, so wie wir uns das vorstellen. A la longue wird das zu Einsparungen bei den Patienten führen. Das können wir nicht vertreten.“

Den Vorschlag des stellvertretenden Obmanns der SVA, Martin Gleitsmann, die ÖÄK solle ihren Ärzten empfehlen, bei sozial bedürftigen Patienten die E-Card zu akzeptieren, lehnt die ÖÄK ab. Laut Dorner und dem ersten Vizepräsidenten der ÖÄK, Artur Wechselberger, habe die SVA dieses sozialpolitische Problem verschlafen. „Die Gewerbeversicherung hat lange genug Zeit gehabt, für dieses Problem vorzusorgen“, so Dorner. Die SVA habe von sich aus die nun angesprochenen Versicherten – nämlich die neuen Selbstständigen sowie die Ein-Personen-Unternehmen – rekrutiert, obwohl diese strukturell gar nicht in eine Kasse wie die SVA mit generellem Selbstbehalt gehörten. Die SVA sei aufgefordert, bei diesen Personen auf Selbstbehalte zu verzichten und dies aus den Rücklagen der sozialen Krankenversicherung – immerhin in dreistelliger Millionenhöhe – zu finanzieren. Indessen erklärte Gleitsmann auch, dass es für Versicherte mit einem geringen Einkommen, die sich in einer schwierigen Lage befinden, einen so genannten Artkosten-Vorschuss für dringend erforderliche Arztbesuche gibt.

Die Ärztekammer rät allen SVA-Ärztinnen und Ärzten, die E-Card NICHT zu stecken. Der Versicherungsstatus kann von den Mitarbeitern in der Ordination auch mündlich erfragt werden. Jedes Stecken der E-Card wird vom Hauptverband registriert und gegen die Ärzte verwendet. Ausnahmen davon sind: Mehrfachversicherte, Vorsorgeuntersuchungen und Untersuchungen im Rahmen des Mutter-Kind-Passes. Sollte irrtümlich ein Regelfall bei der SVA gebucht werden, soll diese Buchung wieder storniert werden. 

Wieso letztlich auch das zweite Gipfelgespräch gescheitert ist, erklärte Wawrowsky folgendermaßen: „Die Verhandlungspartner auf Seiten der SVA haben uns zehn Tage vor dem endgültigen Auslaufen des Vertrages ein völlig neues Konzept vorgelegt, das wir Hals über Kopf akzeptieren sollten. In so kurzer Zeit sind seriöse Gespräche nicht möglich, sondern nur Scheinverhandlungen – und das muss die Gegenseite wissen. So kann man mit Ärzten und Patienten nicht umgehen.“ Johannes Zahrl, Rechtsexperte der ÖÄK, präzisierte: „Eine vernünftige Basis hätte das seinerzeitige Paket sein können, das von der SVA-Spitze im letzten Augenblick trotz fixer Vereinbarung abgelehnt wurde.“

 

Reaktionen

Die Politik zeigte sich verärgert über die Nicht-Einigung. Gesundheitsminister Alois Stöger etwa meinte: wenn sich in den nächsten zwei Monaten nichts tue, werde er eingreifen. In so einem Fall müsste man ein Schlichtungsverfahren überlegen. Weiters müsse man die Frage stellen, ob es eine Existenz-Berechtigung für die SVA gebe, wenn sie ihr Kerngeschäft nicht erledige. So könne man diskutieren, ob die SVA-Versicherten nicht auch bei der GKK versichert sein könnten. Auf die Frage, ob er für einen Gesamtumbau des Systems eintrete, meinte Stöger: „Man soll aus einer Situation heraus nicht gleich das Gesamte in Frage stellen.“

SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter forderte in einer Aussendung die möglichst rasche Beendigung der vertragsfreien Zeit; die Lage sei „untragbar“. Dass es ein „Gebot der Stunde sei, endlich die Kassen zusammenzulegen“, sagte FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein. Ebenso wie die FPÖ verlangen auch die Grünen eine Neuordnung des Krankenversicherungs-Systems, aber auch eine Vereinheitlichung der Honorarvereinbarungen mit den Ärzten. BZÖ-Chef Josef Bucher sprach von einem „unwürdigen Streit“ auf dem Rücken der Selbstständigen. Auch er verlangt eine Systemreform. Von Seiten der ÖVP gab es keine Stellungnahme.


Tipp:

Weitere Informationen und Details über die vertragsfreie Zeit gibt es unter www.sva-vertragsfreie-zeit.at sowie unter www.aerztekammer.at

 

Details zur vertragsfreien Zeit mit der SVA

Mit der vertragsfreien Zeit ergeben sich für die niedergelassenen Ärzte viele Fragen. Hier die Antworten zu den dringendsten Problemen.

Wer ist betroffen?
Der vertragsfreie Zustand betrifft Versicherte der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA), unabhängig davon, ob es sich um Sach- oder Geldleistungsberechtigte handelt. Sie sind daher nicht mehr als Kassenpatienten zu behandeln. An den Verträgen mit den sonstigen Versicherungsträgern – das sind die § 2-Krankenkassen (GKK, SVB, Betriebskrankenkassen), Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau (VAEB) und Krankenfürsorgeanstalten (KFA) – ändert sich nichts. Die Versicherten dieser Kassen und ihre Angehörigen können von Vertragsärzten der jeweiligen Kasse weiterhin unter Verwendung der E-Card behandelt werden.

Um wie viele Patienten geht es?
Unmittelbar betroffen sind etwa 410.000 der insgesamt rund 675.000 SVA-Versicherten. Der Rest ist zusätzlich auch bei einem anderen Sozialversicherungsträger versichert, hauptsächlich bei einer Gebietskrankenkasse. Diese Patienten können bei einem Arztbesuch ihre Leistung einfach über den anderen Versicherungsträger abrechnen
lassen.

Welche Verträge fallen weg?
Mit dem vertragslosen Zustand fallen der Gesamtvertrag und damit die kurativen Einzelverträge mit der SVA weg. Nicht mehr anwendbar ist außerdem die Vereinbarung über die E-Card, die aber trotzdem wichtig bleibt. Zahlreiche SVA-Versicherte sind nämlich auch bei anderen Trägern krankenversichert. Solche Mehrfachversicherungen kann man nur über eine Abfrage mittels E-Card feststellen. Auch Zusatzanwendungen der E-Card werden für SVA-Versicherte jetzt gegenstandslos. SVA-Versicherte müssen sich beispielsweise im vertragslosen Zustand selbst um allfällige Genehmigungen durch den chef- und kontrollärztlichen Dienst kümmern, weil es für sie kein ABS gibt. Auch eine allfällige Rezeptgebührenbefreiung – gleichgültig aus welchem Titel – haben die Patienten selbst mit ihrer Kasse zu klären.

Was sagt man den Patienten zu ihren Ansprüchen?
SVA-Versicherte haben einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Kostenerstattung. Für Sachleistungsberechtigte leistet die SVA nur einen Kostenersatz in Höhe jenes Betrages, der als Sachleistung aufzuwenden gewesen wäre. Geldleistungsberechtigte bekommen nach Vorlage der saldierten Honorarnote von der SVA einen Kostenersatz nach dem „Vergütungstarif“ der SVA. Vergütet werden maximal 80 Prozent der tatsächlichen Kosten. Die Honorarnote mit dem Zahlungsnachweis muss vom Patienten innerhalb von 42 Monaten nach der Behandlung eingereicht werden. Jeder Versicherte kann selbst entscheiden, ob er die Rechnungen einzeln nach jeder Behandlung oder gesammelt vorlegt. Grundsätzlich müsste man die Originalbelege einreichen, die SVA hat aber erklärt, dass sie in der vertragsfreien Zeit auch Einreichungen per Fax oder E-Mail akzeptiert.

Wo bekommt man weitere Informationen?

In jeder Landesärztekammer gibt es Ansprechpartner, die Bescheid wissen, außerdem wird die Österreichische Ärztekammer ihre Mitglieder ständig über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden halten. Die wesentlichsten Informationen inklusive der Honorarempfehlungen findet man auf der Internetseite www.sva-vertragsfreie-zeit.at

Was ist mit Vorsorgeuntersuchungen und dem Mutter-Kind-Pass?
Der Gesamtvertrag und die Einzelverträge über die Vorsorgeuntersuchungen (inklusive VU-Coloskopie) bleiben aufrecht. Sie können nach wie vor unter Verwendung der E-Card abgerechnet werden. Zusätzliche Leistungen, die im Untersuchungsprogramm nicht enthalten sind wie zum Beispiel EKG etc., müssen privat verrechnet werden. Auch Mutter-Kind-Pass-Leistungen können weiterhin auf Kassenkosten durchgeführt und abgerechnet werden, wenn der Arzt mit mindestens einer Kasse (abgesehen von der SVA) einen aufrechten Einzelvertrag hat. Wenn kurative Leistungen in Folge der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen erbracht werden, sind sie privat abzurechnen.

Nicht mehr „alle Kassen“
Der Vertragsarzt-Stempel darf für Formulare, die einen Versicherten der SVA betreffen, nicht verwendet werden. Für die Formulare der übrigen Krankenkassen ist der Vertragsarztstempel natürlich weiter zu verwenden. Genau genommen dürfen auf Formularen für SVA-Versicherte auch keine Stampiglien aufgedruckt werden, welche die Bezeichnung „Alle Kassen“ enthalten. Am besten ist es daher, bei SVA-Patienten ausschließlich Privatstempel zu verwenden. Weil die Ärzte in der vertragsfreien Zeit keine Vertragsärzte der SVA mehr sind, sollten sie auf ihrem Ordinationsschild darauf aufmerksam machen. Gleiches gilt für Homepages, Drucksorten und dergleichen.

Zahlungen für bisherige Leistungen
Die SVA ist verpflichtet, alle bis zum definitiven Beginn des vertragslosen Zustands mit
1. Juni 2010 angefallenen Honorare gemäß der bis dahin geltenden Verträge an die Vertragsärzte auszuzahlen. Bei Beginn des vertragslosen Zustands sollten Ärzte ihre Honorare umgehend abrechnen.

Was ist mit den Lockangeboten der SVA?
Sollte die SVA einzelnen Ärzten während des vertragsfreien Zeit Verrechnungsabkommen anbieten oder mit ihnen abschließen, so handelt sie gesetzwidrig. In diesem Fall würde eine Aufsichtsbeschwerde beim zuständigen Bundesministerium erfolgen, das ein solches Vorgehen der SVA unterbinden kann. Den Arzt träfe dann das Risiko, dass er für erfolgte Abrechnungen trotz der ursprünglichen Zusage der SVA kein Honorar bekommt.

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010