Spitäler und Spitalsärzte – Veränderungen tun not: Interview Rainer Münz

25.02.2010 | Politik


Spitäler und Spitalsärzte: Veränderungen tun not

Allein die demografischen Entwicklungen verlangen nach einem Umdenken in und bei den Spitälern. Wie in diesem Bereich die Zukunft aussehen muss, erklärt der Bevölkerungswissenschafter Univ. Prof. Rainer Münz im Gespräch mit Ruth Mayrhofer.

ÖÄZ: Wie stellt sich die demografische Situation der Zukunft dar?
Münz: In unserem Jahrhundert wird die Zahl der Alten weltweit weiter ansteigen. 1950 waren lediglich 130 Millionen Menschen über 65 Jahre alt. Derzeit sind es 480 Millionen. Das entspricht fünf Prozent der Weltbevölkerung. Im Jahr 2050 werden 1,5 Milliarden Menschen über 65 Jahre alt sein, also 16 Prozent der Weltbevölkerung. In Österreich leben heute 1,9 Millionen Personen im Alter über 65. Laut Prognose der Statistik Austria werden es 2050 etwa 3,3 Millionen sein. Und wir wissen bereits, wer diese Personen sein werden, denn die Älteren von morgen sind heute alle schon auf der Welt! Außerdem erleben wir derzeit eine Situation, in der ein wachsendes und ein schrumpfendes Österreich nebeneinander existieren. Die Schrumpfung erfolgt vor allem in den südlichen Teilen Österreichs, das Wachstum vor allem nördlich des Alpenhauptkammes. Das Wachstum ist durch Binnenmigration, aber auch durch internationale Zuwanderung bedingt.

Was muss geschehen, um die Zukunft der Alten – aber auch die der Jungen – weitestgehend abzusichern?

Es wird in Österreich in Zukunft zwei gleich große Gruppen von Menschen geben: die der unter 50-Jährigen und die der über 50-Jährigen. Zwar wird die letztere Gruppe insgesamt länger gesund und mobil sein als die Gleichaltrigen von heute. Dennoch werden die chronischen und chronisch-degenerativen Krankheiten altersbedingt zunehmen. Das stellt große Anforderungen an das Gesundheitswesen und an die Pflege. Zugleich stellt sich die Frage nach der Finanzierung. Denn Maßnahmen, die nicht zu einer Rehabilitation führen – dazu gehört insbesondere die Langzeitpflege – werden bekanntlich von den Krankenkassen nicht übernommen. Da die meisten Menschen den Wunsch und das Bedürfnis haben, in den eigenen vier Wänden alt zu werden, werden Heimpflege-Leistungen stärker nachgefragt werden als Senioren-Residenzen. Wir müssen uns allerdings im Klaren sein, dass diese Leistungen auch Geld kosten. Deshalb sollten wir sowohl über die Finanzierung, als auch über einen effizienteren Einsatz der Mittel nachdenken. Hauptthema sind dabei sowohl die Kosten der Spitäler als auch jene der Langzeitpflege.

Stichwort Spitäler: Wie werden diese sich auf die veränderte Situation einstellen müssen?

In den Spitälern wird sich der Betreuungsbedarf ändern – jedenfalls mehr Geriatrie, weniger Geburtshilfe und Kinderheilkunde. Damit wird sich künftig auch der spezifische Bedarf an Fachärzten orientieren. Das heißt, dass angehende Fachärzte genauer darüber nachdenken sollten, welche Fachausbildung sie absolvieren. Für bereits arbeitende Spitalsärzte könnte sich durchaus ein Fachwechsel lohnen.

Nun besteht in Österreich schon jetzt durchaus ein Fachärztemangel und diese Lücke wird künftig noch größer werden…
Das Berufsbild eines Spitalsarztes ist zugegebenermaßen von den Arbeitsbedingungen beziehungsweise den Gehältern her für Berufsanfänger nicht sehr attraktiv. Daher wird man Wege finden müssen, um zu Anreizmechanismen für Ärzte zu kommen. Auch die Klagen über die große Zahl deutscher Medizinstudenten würden sich relativieren, wenn es gelänge, ausländische Studienabsolventen nach der Promotion in Österreich zu halten. Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass dort in einigen Kantonen nicht nur das Pflegepersonal, sondern auch die Ärzteschaft mehrheitlich ausländischer Herkunft ist.

Wie sieht es mit Krankenhaus- Standorten aus? Auf welche Veränderungen sollte man sich Ihrer Meinung nach in diesem Bereich einstellen?
Wir haben derzeit zwar ausreichend oder sogar zu viele Spitalsbetten, allerdings nicht dort, wo man sie braucht. Viele Standorte werden eher aus politischen als aus medizinischen Gründen am Leben erhalten. Damit tut man unter Umständen weder den Patienten noch dem Krankenhauspersonal etwas Gutes. Der Anspruch, ein Krankenhaus in der Nähe zu haben, ist gut. Aber bei der Behandlung sollte Qualität wichtiger sein als Nähe zum Wohnort. Man muss daher sehr ernsthaft überlegen, Betten- und Behandlungskapazitäten bestimmter Abteilungen dorthin zu transferieren, wo ärztliche und pflegerische Leistungen nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft angeboten werden können.

Wie schätzen Sie die Situation bei Pflegebetten ein?

Ich sage lieber „Alters-Betten“. Diese wird man vor allem dort brauchen, wo viele Menschen leben, also in Ballungsräumen, obwohl die meisten Menschen sich wünschen, im Alter in den eigenen vier Wänden bleiben zu können. Hier ist Nähe zum Wohnort tatsächlich ein wichtiges Kriterium, wenn man bedenkt, dass es Angehörigen und Freunden möglich sein soll, regelmäßige Besuche zu machen. Das kommt der Lebensqualität der Betroffenen eindeutig zugute.

Welche Zusatzqualifikationen beziehungsweise „soft skills“ werden Spitalsmitarbeiter in Zukunft vermehrt benötigen?
Speziell im städtischen Bereich wird es notwendig sein, dass sowohl das ärztliche als auch das Pflegepersonal sich zusätzliche Sprachkompetenzen aneignen, weil es zukünftig noch mehr Patienten mit Migrations- Hintergrund geben wird. Zudem sollten qualifizierte Informationen über kulturelle und ethnische Eigenheiten der aus dem Ausland zugezogenen Patienten zur Verfügung gestellt werden, damit man sich auf diese Patientengruppe besser als bisher einstellen kann.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2010