Bekennt­nis zur Sicher­heit: Inter­view Bri­gitte Ettl

25.02.2010 | Politik


Bekennt­nis zur Sicherheit

Wel­che Bedeu­tung einer offe­nen und akti­ven Kom­mu­ni­ka­tion nach einem medi­zi­ni­schen Zwi­schen­fall zukommt, erklärt die ärzt­li­che Direk­to­rin des Kran­ken­hau­ses Hiet­zing und Obfrau der Öster­rei­chi­schen Platt­form Pati­en­ten­si­cher­heit, Bri­gitte Ettl, im Gespräch mit Bir­git Oswald. 


ÖAZ: Wel­che Maß­nah­men sind im Ernst­fall – wenn also etwas pas­siert ist – ent­schei­dend?

Ettl: Als beson­ders wich­tig emp­finde ich es, offen und aktiv auf den Pati­en­ten und die Ange­hö­ri­gen zuzu­ge­hen und zu sagen, dass etwas pas­siert ist. Das gilt sowohl für Medi­zi­ner als auch für Pfle­ge­kräfte. Wei­ters soll eine ehr­li­che Ent­schul­di­gung aus­ge­spro­chen wer­den, die aber nicht auto­ma­tisch als Schuld­be­kennt­nis ver­stan­den wer­den soll, son­dern als Tat­sa­che, dass ein uner­war­te­tes Ereig­nis pas­siert ist.

Wie kann sich ein Kran­ken­haus auf einen mög­li­chen Zwi­schen­fall vor­be­rei­ten?

Den Mit­ar­bei­tern kön­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­schu­lun­gen ange­bo­ten wer­den, wie das bereits vom Wie­ner Kran­ken­an­stal­ten­ver­bund gemacht wird. Das läuft unter dem Titel „Kom­mu­ni­ka­tion Mit­men­schen“, wo spe­zi­ell die Kom­mu­ni­ka­tion in Kri­sen­fäl­len behan­delt wird. Auch andere Insti­tu­tio­nen wie etwa die ÖQMed, bie­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­schu­lun­gen für Füh­rungs­kräfte und Schu­lun­gen zur Kom­mu­ni­ka­tion im Kran­ken­haus grund­sätz­lich an.

Gibt es spe­zi­elle Trai­ner, die diese Schu­lun­gen abhal­ten?

Ja, es gibt spe­zi­ell geschulte Trai­ner und Coa­ches, die spe­zi­elle Gesprächs­und Kri­sen­si­tua­tio­nen mit dem medi­zi­ni­schen Per­so­nal trai­nie­ren und so den Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern Know-how ver­mit­teln kön­nen.

Gibt es in die­sem Zusam­men­hang Richt­li­nien und kon­kre­tes Voka­bu­lar, das von den Trai­nern ver­mit­telt wird oder wird ver­sucht auf die jewei­lige Situa­tion indi­vi­du­ell ein­zu­ge­hen?

Richt­li­nien sind hier kon­tra­pro­duk­tiv, da es indi­vi­du­elle Men­schen und Situa­tio­nen sind. Es gibt gewisse Vor­ga­ben wie etwa das aktive Zuge­hen auf einen Pati­en­ten, dass man die Tat­sa­che, dass etwas pas­siert ist, anspre­chen muss und eine ehr­li­che Ent­schul­di­gung vor­brin­gen soll. Stan­dard­sätze kön­nen hier viel­leicht hilf­reich sein, sie müs­sen aber ehr­lich vor­ge­bracht werden. 

In den Leit­li­nien* wird erwähnt, dass eine ein­fühl­same Kom­mu­ni­ka­tion mit dem Pati­en­ten und den Ange­hö­ri­gen emp­feh­lens­wert ist. Auf der einen Seite wird also ein empa­thi­sches Ver­hal­ten nahe gelegt, auf der ande­ren Seite auf kon­krete Schu­lun­gen ver­wie­sen. Ist das nicht ein Wider­spruch?
Nein, das ist kein Wider­spruch. Indem Ärzte und Pfle­ge­kräfte in die­sen Schu­lun­gen auf sol­che Situa­tio­nen vor­be­rei­tet wer­den, haben sie mehr Raum, um den Pati­en­ten ein­fühl­sam und empa­thisch zu begeg­nen. Diese Situa­tio­nen wer­den von den meis­ten als sehr unan­ge­nehm emp­fun­den und sind nicht sel­ten von Angst­ge­füh­len beglei­tet. In die­sem Span­nungs­feld auf jeman­den zuzu­ge­hen, einen Feh­ler zu kom­mu­ni­zie­ren und Empa­thie zu über­mit­teln ist sehr schwie­rig. Wenn Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter gut geschult und auf sol­che Situa­tio­nen vor­be­rei­tet sind, kön­nen sie damit pro­fes­sio­nell umgehen. 

Kann man diese Emp­feh­lun­gen auch auf den nie­der­ge­las­se­nen Bereich umle­gen?
Ich denke, dass die Anre­gun­gen nicht nur für den sta­tio­nä­ren Bereich, son­dern auch für den nie­der­ge­las­se­nen Bereich wert­voll sind. Das Kom­mu­ni­zie­ren von Zwi­schen­fäl­len fin­det ebenso zwi­schen Pati­en­ten, Ange­hö­ri­gen und Medi­zi­nern statt, im Kran­ken­haus wie in der Ordi­na­tion. 

Wann ist es not­wen­dig, einen Ver­ant­wort­li­chen zu sus­pen­die­ren?

Eine Sus­pen­die­rung ist ein juris­ti­scher Begriff aus dem Dienst­recht und gilt für prag­ma­ti­sierte Bediens­tete. Sie wird von der MA 2 aus­ge­spro­chen, wenn wei­tere schwer­wie­gende Fol­ge­schä­den befürch­tet wer­den müs­sen. Dies, im Zusam­men­hang mit Feh­lern aus­ge­spro­chen, ist extrem sel­ten.

Wird das medi­zi­ni­sche Per­so­nal im Vor­feld über die Kon­se­quen­zen von etwa­igen Feh­lern und Zwi­schen­fäl­len aus­rei­chend infor­miert?

Das wird sehr unter­schied­lich gehand­habt. Zum Bei­spiel gibt es hier in unse­rem Kran­ken­haus eine soge­nannte Start­aus­bil­dung für neu ein­tre­tende Ärzte, diese beinhal­tet Risk­ma­nage­ment, Auf­klä­rung, Doku­men­ta­tion und vie­les mehr. Ich denke, dass eine posi­tive Feh­ler­kul­tur not­wen­dig ist, um die Pati­en­ten­si­cher­heit zu stei­gern. Zu die­ser Sicher­heits­kul­tur gehört, dass dem medi­zi­ni­schen Per­so­nal ver­mit­telt wird, dass nicht auto­ma­tisch Feh­ler ein­zel­ner Mit­ar­bei­ter sofort eine Bestra­fung zur Folge haben, son­dern dass dadurch eine genaue Feh­ler­ana­lyse durch­ge­führt wird. Feh­ler haben auch ein Lern­po­ten­tial und gut ana­ly­sierte Feh­ler­ur­sa­chen kön­nen zukünf­tige Feh­ler ver­hin­dern. Um Feh­ler zuzu­ge­ben, gehört Mut dazu! Eine gute Kom­mu­ni­ka­tion und Infor­ma­tion in einem Kran­ken­haus kann dies nur unterstützen. 

*) Leit­li­nien: „Wenn etwas schief geht“ – Kom­mu­ni­zie­ren und Han­deln nach einem Zwi­schen­fall. Ein Kon­sens-Doku­ment der Harvard-Spitäler 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2010