Interview – Stadträtin Sonja Wehsely: „Mauern niederreißen!“

25.06.2010 | Politik



Die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely bezieht im Gespräch mit Ruth Mayrhofer unter anderem Stellung zu aktuellen Fragen im Spitalsbereich und dazu, wie in Wien eine maximal mögliche Versorgungswirksamkeit erreicht werden könnte.

ÖÄZ: Sie haben Anfang dieses Jahres bei einer Diskussionsveranstaltung gesagt, dass … „wir Strukturen in den (Wiener, Anm.) Spitälern schaffen wollen, die betriebswirtschaftlich sinnvoll sind und gleichzeitig Arbeitsplätze sichern“. Wie werden Sie konkret vorgehen, um dieses Ziel zu erreichen?
Wehsely: Der Schlüssel zur noch stärkeren Schwerpunktsetzung ist der Bau des Krankenhauses Nord. Wir schaffen in Wien damit die Möglichkeit, kleine Standorte – Krankenhaus Floridsdorf, die Semmelweis-Frauenklinik und das Orthopädische Krankenhaus Gersthof – komplett inklusive Teams dorthin zu transferieren. Darüber hinaus wandern eine Reihe von Abteilungen aus ganz Wien an den neuen Standort. Wir haben in Wien eine hervorragende Versorgungssituation – mit dem neuen Spital können wir die einzelnen Puzzlesteine optimal und unserer Zeit angemessen neu zusammenfügen.

Im April 2010 haben Sie das Kompetenzzentrum für Kardiologie im Wiener Kaiser Franz Josef-Spital eröffnet. Welche Rolle werden medizinische Kompetenzzentren in den kommenden Jahren an den Krankenhäusern spielen, welche Pläne gibt es dazu und mit welchen Effekten wird durch sie gerechnet?
Wie Sie wissen, gibt es für Wien den Regionalen Strukturplan Gesundheit, der das Wiener Gesundheitswesen zukunftsfit macht. Gemeinsam mit der Wiener Ärztekammer und der WGKK haben wir damit die Neuverteilung der Angebote im Gesundheitsbereich erarbeitet. Alle Wienerinnen und Wiener sollen die Leistung erhalten, die sie brauchen. Neben der Verschiebung von rund 300 Betten aus dem Akut-Spitalsbereich wird der Pflegebereich auch darüber hinaus ausgebaut. Wir bauen unter anderem sechs neue Pflegewohnhäuser des Wiener Krankenanstaltenverbunds, drei innovative Wohn- und Pflegeprojekte und sanieren das Pflegewohnhaus Donaustadt von Grund auf. Insgesamt stocken wir die Zahl der Pflegeplätze von 9.100 aktuell auf 10.000 im Jahr 2015 auf. Natürlich spielen bei der Neuordnung der Gesundheitsdienstleistungen Kompetenzzentren eine zentrale Rolle. Mein Ziel ist es, die Kompetenz der unterschiedlichsten Disziplinen in der Wiener Top-Medizin zu bündeln. Das KFJ ist hier ein hervorragendes Beispiel: Hier arbeiten Radiologen und Kardiologen Hand in Hand mit den medizinischtechnischen Assistenten. Durch die Zusammenarbeit entsteht ein neuer Kenntnis- und Wissenstransfer. So kommen Spitzenleistungen direkt und ohne Umwege den Patienten zugute.

Gerade in Wien sind Spitalsärzte tagtäglich mit Menschen mit Migrationshintergrund konfrontiert. Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, aber auch mit den Angehörigen leidet dadurch vielfach wegen Sprachproblemen beziehungsweise des unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds. Welche Schritte haben Sie gesetzt beziehungsweise werden Sie setzen, um diese Facette des Spitalsalltags für alle Beteiligten zu vereinfachen?
Leider scheitert die Kommunikation auch immer wieder, wenn Arzt und Patient den gleichen sprachlichen oder kulturellen Hintergrund haben. Zu Ihrer Frage: Seit 1989 arbeiten „Muttersprachliche Beraterinnen“ in den Wiener Spitälern, die bei der Überbrückung sprachlicher und kultureller Barrieren helfen. Jedes Haus verfügt über Dolmetscherlisten von ihren mehrsprachigen Mitarbeitern, um rasch Übersetzungsdienste vor Ort zu haben. Druckwerke werden grundsätzlich in mehreren Sprachen entwickelt. Schulungen und Seminare verbessern stetig die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter.

2010 feiert die Wiener Psychiatriereform ihren 30. Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums haben Sie betont, dass „die Psychiatriereform weiter vorangetrieben“ wird. Wie sehen Ihre diesbezüglichen Pläne/Aktionen hierbei speziell für die Spitäler aus?
ie Dezentralisierung der Wiener Psychiatrie macht große Fortschritte. Der nächste große Schritt steht unmittelbar bevor. Mit der für heuer geplanten Fertigstellung der neuen Krankenpflegeschule im Kaiser-Franz-Josef-Spital kann der Schulstandort im Herbst von der Rudolfstiftung dorthin übersiedeln. Mitten im dicht verbauten dritten Bezirk wird damit Platz für die neue Psychiatrische Abteilung für den dritten und elften Bezirk geschaffen.

Sie wollen, wie Sie vergangenen November in einer Aussendung unterstrichen haben, weiterhin „Spitzenmedizin für alle“ in Wien sicherstellen, sagen jedoch zur Finanzierung des Gesundheitswesens Anfang 2010 offen, dass „wir um eine gesellschaftspolitische Diskussion um eine Umverteilung nicht herumkommen“ werden. Wie sehen dazu Ihre Vorstellungen konkret aus?
Es muss unser stetiges Bestreben sein, das Leistungsniveau durch wachsende Effizienz zu halten. Im Mittelpunkt stehen die Patienten, mit deren Mitteln das Gesundheitswesen auch finanziert wird. Die Politik tut hier das Ihre dazu, gefragt sind alle Ebenen. Das alte Denken, das Gesundheitswesen teilt sich in zwei Bereiche, intra- und extramural, die miteinander nichts zu tun haben, hat sich überholt. Diese Mauern gehören niedergerissen, der Regionale Strukturplan Gesundheit für Wien zeigt hier den Weg. Zur Illustration: 82 Prozent der Finanzierung der Ambulanzen des Krankenanstaltenverbunds kommen aus Mitteln des Spitalserhalters, der Stadt Wien, obwohl viele der angebotenen Leistungen eigentlich zum extramuralen Bereich gehören würden. Alle Bereiche müssen eine maximal mögliche Versorgungswirksamkeit erreichen. Aber auch dann ist klar: Wer glaubt, im Gesundheitsbereich lässt sich ohne Leistungseinschränkungen tatsächlich Geld einsparen – im Sinn von: es kostet danach weniger als heute – irrt sich oder behauptet bewusst die Unwahrheit.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2010