Interview – Prof. Konrad Ehlich: Medizin und Ethik: Wo steht der Mensch?

10.10.2010 | Politik

Unter diesem Motto veranstaltet das Europäische Forum Alpbach zusammen mit der ÖÄK und der Ärztekammer für Wien Mitte November ein Symposium. Dass es auch darum geht, Kommunikationsprobleme stärker ins Bewusstsein zu bringen, erklärte Konrad Ehlich, Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit Birgit Oswald.

ÖÄZ: Was sind die Inhalte Ihres Vortrags mit dem Titel „Die Sprache der Medizin“?
Ehlich: Es wird darum gehen, die schwierigen Kommunikationsprozesse zwischen Ärzten und Pflegern einerseits sowie Ärzten und Patienten andererseits aus linguistischer Sicht zu betrachten. Lange ist die Frage nach der Sprache, in der sich Ärzte und Patienten miteinander verständigen, kaum beachtet worden, weil man davon ausgegangen ist, dass diese sich von selbst versteht. Allenfalls gab es ein Problembewusstsein, wenn es um die Fachterminologie der Medizin ging. Inzwischen sind die Kommunikationsprobleme wesentlich stärker bewusst geworden, vor allem dadurch, dass eine Kooperation zwischen Linguistik und Medizin stattfindet – wobei gerade die Wiener Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft Vorreiter war und auf dem Gebiet auch weiter führend tätig ist.

Worum geht es bei dieser Problematik insgesamt?
Ärzte haben eine spezifische Fachlichkeit in ihrer Sprache, Patienten verfügen über eine Sprache des Alltags, in der sie ihre Schwierigkeiten so beschreiben, dass die Ärzte mit ihren diagnostischen Möglichkeiten ansetzen können. Nach Diagnose und Therapiekonzept entsteht das Problem, dass das, was die Ärzte den Patienten für das weitere Verfahren mitteilen, verständlich sein muss, es aber oft nicht ist. Wir haben dann häufig eine große Nicht-Kooperation zwischen Patienten und Ärzten in der Folgezeit, weil die Kommunikation mit den Patienten nicht gelingt. Das drückt sich etwa darin aus, dass Medikamente nicht eingenommen werden. Man spricht hier von einer mangelnden Compliance, einer mangelnden „Komplizenschaft“ zwischen den beiden beteiligten Seiten. Hier muss sehr massiv weitergearbeitet werden.

Gibt es weitere zentrale Punkte?
Ein zweiter wichtiger und zentraler Punkt ist, sich deutlich zu machen, dass die Patienten nicht als „Fälle“ zum Arzt kommen, sondern als Menschen mit einem Leiden, die darüber sprechen wollen. Die heutige Organisationsform von Ordinationen und Krankenhäusern lässt oft sehr wenig Möglichkeit, für solche Gespräche Zeit vorzusehen, unter anderem auch, weil diese nicht abrechnungsfähig sind. Ich glaube, das ist ein Denkfehler im ganzen System, weil solche Gespräche für die Heilung und den psychophysischen Zusammenhang von ganz großer Bedeutung sind. Das wird allmählich auch deutlicher erkannt. Indem entsprechende Verfahren gefunden werden, um das angemessen zu honorieren, könnte die Leistungsfähigkeit des hoch entwickelten medizinischen Systems gesteigert werden, ein Punkt der für die Kassen sehr interessant wäre. Denn diese kommunikativen Dinge gehören mit zur Expertise des Arztes! Ein dritter Punkt ist die Sensibilisierung der Ärzte in ihrer Ausbildung. Sie müssen ein Problembewusstsein entwickeln. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass jeder Abiturient die sprachliche Qualifikation für solche hoch spezialisierten Kommunikationsaufgaben einfach mitbringt. An einigen Stellen in der universitären Ausbildung, oft unter dem Stichwort der Medizinischen Psychologie, ist dies bereits zum Teil in eine Pflichtveranstaltung umgesetzt worden. Diese Dinge bedürfen aber einer intensiveren Theorie-Praxis-Beachtung, als es augenblicklich der Fall ist.

Wie schätzen Sie die Möglichkeiten in der Ausbildung der Jungmediziner ein, empathische Kommunikation und verständliche Sprache zu trainieren und zu verbessern?
Jemand, der Arzt werden will, bringt einen hohen Empathie-Vorschuss mit. Es geht hier um eine Professionalisierung und Sensibilisierung in der Gesprächsführung, die man lernen kann. Im Bezug auf den ärztlichen Beruf ist es ein wichtiger Punkt, die Möglichkeiten zur kommunikativen Professionalisierung stärker auszuarbeiten. Das ist eine Aufgabe für die linguistische Fachforschung. Da sind wir in den letzten 15 Jahren gut voran gekommen, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Hier liegt vor allem auch eine große Aufgabe für die Organisation der Studiengänge. Wir haben hier aber auch ein grundlegendes Problem in der Medizinphilosophie, im Konzept des Menschen, das in der Medizin praktiziert wird. Das alte Modell des Menschen sozusagen als Apparat – in der Aufklärung gebrauchte man den Begriff „l‘homme machine“ -, der dann irgendwann repariert werden muss, geht an der Realität des psychophysischen Ensembles Mensch vorbei. Hier sind es dann auch Alternativen innerhalb der Medizinauffassung, die sich sehr stark auf die Kommunikation einlassen. Die ganzheitliche Medizin ist da leider noch viel zu sehr randständig. Es bedarf einer stärkeren Einpassung im Gesamtaufbau der Medizinausbildung.

Werden Sie auch die Sprache zwischen Ärzten beziehungsweise dem medizinischen Personal fokussieren?
Auch das wird eine Rolle spielen. Hier haben wir die medizinische Variante der allgemeinen wissenschaftlichen Sprachsituation. Innerhalb der medizinischen Forschung verliert das Deutsche als Wissenschaftssprache zunehmend an Boden, und das ist nicht gut. Der Versuch der Forschung, sich nur auf die USA auszurichten und fast nur noch das Englische als Wissenschaftssprache zu benutzen, ist schädlich für die wissenschaftliche Entwicklung in etwa den deutschsprachigen Ländern. Hier brauchen wir ein stärkeres Bewusstsein für die wissenschaftliche Mehrsprachigkeit. Die Möglichkeit, über wissenschaftliche Themen in einer entwickelten deutschen Fachsprache zu sprechen, ist ein Faktor, der auch für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit von hoher Bedeutung ist – bei der Medizin, aber auch auf anderen Feldern. Wenn wir etwa an all die medizin-ethischen Fragen denken, die gegenwärtig gestellt werden, Fragen nach dem Tod und der apparatemedizinischen Lebensverlängerung, Fragen des Schwangerschaftsabbruchs und viele andere mehr, dann sehen wir, wie relevant eine wirkliche Kommunikationsmöglichkeit zwischen wissenschaftlicher Forschung einerseits und Öffentlichkeit beziehungsweise Politik andererseits ist.

Details zum SymposiumKommunikation in Theorie und Praxis
Veranstalter: Europäisches Forum Alpbach, ÖÄK, Ärztekammer für Wien
Beginn: Mittwoch, 17. November 17:00 Uhr
Ort: Schloss Schönbrunn Tagungszentrum, Apothekertrakt, 1130 Wien
Programm: http://www.alpbach.org
Informationen: Mag. Magdalena Rostkowska-Müllner, Tel. 01/718 17 11/21

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2010