Interview – Vize-Präs. Günther Wawrowsky: Vor vertragsfreiem Zustand – Störfeuer der SVA

25.04.2010 | Politik

Rundschreiben der SVA an niedergelassene Ärzte und an ihre Versicherten haben unter Ärzten Unmut und Empörung ausgelöst, weil Ärzte und Patienten offensichtlich verunsichert werden sollen. Kurienobmann Günther Wawrowsky gibt im Gespräch mit Kurt Markaritzer seine Einschätzung der Lage wieder. 

ÖÄZ: Die Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft hat vor der jüngsten Verhandlungsrunde Briefe an niedergelassene Ärzte geschrieben, ihren Standpunkt dargelegt und die Haltung der ÖÄK kritisiert.
Wawrowsky: Es ist charakteristisch für die Verhandlungspartner, dass sie nicht Argumente vorbringen, sondern sich in Stimmungsmache flüchten, die Verunsicherung bei der Ärzteschaft bringen soll. Sie gießen polemisch Öl ins Feuer, das zeigt, dass sie gar nicht an einem Einvernehmen interessiert sind.

Die SVA behauptet, sie habe zuletzt angeboten, die Tarife für mehr als 95 Prozent der Ärzte um vier Prozent zu erhöhen. Lediglich Laborfachärzte und Laborgruppenpraxen hätten eine Tarifsenkung hinnehmen müssen. Dieses Angebot entspreche genau dem, was die Ärztekammer gefordert hat.
Auch das ist typisch für die SVA, dass sie mit Halbwahrheiten argumentiert. Es stimmt, das zuletzt vorgelegte Angebot entspricht in weiten Teilen dem, was wir in den mehr als ein Jahr dauernden Verhandlungen vorgeschlagen und zuletzt vereinbart haben. Aber als alles perfekt zu sein schien, ist diese Vereinbarung von der SVA-Spitze unvermutet gekippt worden. Da kann sich jeder selbst ein Bild machen, wie glaubhaft die jetzigen Beteuerungen sind. Würden sie das Angebot ernst meinen und wäre es ehrlich, hätten sie es ja vor der Vertragskündigung einhalten können.

Immerhin gesteht die SVA jetzt Tariferhöhungen zu.
Das sieht auf den ersten Blick so aus. Was sie aber verschweigen ist, dass sie mittel- bis langfristig die Honorare an das Niveau der Gebietskrankenkassen anpassen wollen. Das ist und bleibt für uns nicht akzeptabel, aus Gründen, die gerade eine Vertretung der Wirtschaft verstehen müsste. Auch Ordinationen sind letztlich Unternehmen, die nach wirtschaftlichen Bedingungen geführt werden müssen. Ein Diktat mit mittelfristig schweren Einkommenseinbußen ist nicht hinnehmbar.

Das Schreiben an die Ärzte ist von SVA-Generaldirektor Stefan Vlasich und Obmann-Stellvertreter Martin Gleitsmann unterzeichnet.
Ja, das ist bemerkenswert. Und zwar deshalb, weil sich der Obmann der SVA und Chef der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, auch in der jetzigen, durchaus kritischen Situation persönlich nicht zu Wort meldet. Er war während der ganzen Verhandlungszeit in der Versenkung verschwunden und ist bis heute dort geblieben. Vielleicht besinnt er sich aber doch noch seiner Verantwortung und schaltet sich in die Diskussion ein, dann gäbe es wenigstens eine neue Gesprächsbasis. Das Vertrauen zu den bisherigen Verhandlungspartnern ist nach ihrem Verhalten so beeinträchtigt, dass es mit ihnen wohl keine Lösung mehr geben kann.

Das Klima ist also nachhaltig gestört?

Die SVA hat einen Stil entwickelt, wie es ihn noch nicht gegeben hat, das ist nicht mehr die Versicherung, wie sie früher war. Ich verhandle auf Bundes- und Landesebene auch mit anderen Sozialversicherungen. Da geht es immer wieder hart zu, denn natürlich gibt es da und dort Interessensgegensätze. Aber letztlich finden wir zu einer Einigung, weil wir Ärzte mit verantwortungsbewussten Funktionären von Sozialversicherungen ein Anliegen gemeinsam haben: Es geht uns allen darum, das Wohl der Patienten zu sichern. Bei der jetzigen SVA empfinden wir diese Gemeinsamkeit nicht: Die hat nur die Interessen der Versicherung selbst im Auge, nicht mehr jene der Versicherten.

Gegenüber ihren Versicherten beteuert die SVA, es werde sich durch einen vertragsfreien Zustand bei den Abrechnungsmodalitäten nicht viel ändern.
Diese Schönfärberei werden die Herrschaften gegenüber ihren Versicherten verantworten müssen, wenn sich zeigt, dass die Behauptung nicht zutrifft. Tatsächlich wird die SVA gravierende administrative Probleme bekommen, wenn der vertragsfreie Zustand da ist. Die Abrechnung wird hausintern aufwändiger, man wird dafür Personal einstellen müssen und die Patienten werden auf ihr Geld länger warten müssen. Wenn das die Verantwortlichen in der SVA noch einmal gründlich überlegen, werden sie vielleicht kompromissbereit. Ich gebe die Hoffnung jedenfalls nicht auf, dass man bei der Sozialversicherung doch noch klug genug für eine tragfähige Lösung ist.

Derzeit sieht es aber eher so aus, als wollte die SVA eine Bresche in die Phalanx der Ärzteschaft schlagen und ihr Heil in Einzelvereinbarungen suchen. Nach einer von ihr initiierten Telefonumfrage zeigt sich angeblich die Hälfte der Ärzte bereit, auch im Falle eines vertragsfreien Zustands mit der SVA zusammenzuarbeiten.
Zu den Zahlenangaben fällt mir das Bonmot ein: „Vertraue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast …“ Im Ernst: Selbst wenn die SVA dem einen oder anderen Arzt jetzt ein Angebot unterbreitet, das Verbesserungen bringt, ist das höchstens eine einmalige Aktion. Von da an geht‘s mit den Tarifen bergab. Ich kann in Kenntnis der handelnden Personen allen Kollegen nur dringend empfehlen, darauf nicht einzugehen, sie schaden sich damit auf Dauer sehr.

Was sollen Ärzte jetzt tun?

Ich rate Ihnen dringend, sich schon jetzt auf die vertragsfreie Zeit ab 1. Juni einzustellen und auch ihre Patienten vorsorglich zu informieren. Die Ärztekammer ist dabei gerne behilflich. In diesen Tagen geht ein Informationspaket an alle Ordinationen, mit einem Wartezimmerplakat und mit einem Folder, der zur Weitergabe an die Patienten gedacht ist. Informationen über den aktuellen Stand der Dinge finden alle Kolleginnen und Kollegen im Internet unter www.sva-vertragsfreie-zeit.at, die über einen Link auch von der Homepage der ÖÄK www.aerztekammer.at erreichbar ist.

Wie können Ärzte um Verständnis bei den Versicherten werben?
Die SVA ist bekanntlich die Versicherung für Selbstständige, bei denen man ein ökonomisches Grundverständnis voraussetzen kann. Sie werden einsehen, dass sich die Ärzteschaft nicht weiter hinhalten lassen konnte. Schließlich gab es von 2004 bis 2008 vier Jahre lang keine Tariferhöhungen, sondern lediglich eine Einmalzahlung, die pro Arzt und Monat gerade einmal elf Euro ausmachte. Tatsächlich ersparten die Ärzte durch den vierjährigen Verzicht auf echte Honorarerhöhungen der Kasse insgesamt rund 38 Millionen Euro – irgendwann einmal war da die Grenze des Zumutbaren erreicht.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2010