Generika: Rettungsanker des Gesundheitswesens?

25.05.2010 | Politik

Zwar konnten durch den Einsatz von Generika zwischen 2002 und 2007 rund 360 Millionen Euro eingespart werden, ob sie allerdings tatsächlich der finanzielle „Rettungsanker“ des Gesundheitswesens sind, sei dahingestellt – immerhin liegt der Anteil der Medikamentenkosten derzeit bei rund 12 Prozent.
Von Ruth Mayrhofer

Generika werden in Österreich seit mehr als 20 Jahren eingesetzt. 2007 wurden von österreichischen Ärzten nach Angaben des Österreichischen Generikaverbandes rund 23 Millionen Packungen Generika verordnet. 2008 betrug der Generikaanteil laut Zahlen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger 22 Prozent der Gesamt-Verordnungen. Das entspricht 42 Prozent des Generika-fähigen Marktes.

Was ein Generikum ausmacht

Generika müssen so wie alle Arzneimittel im Rahmen der Zulassung in Österreich genauso wie in allen anderen EU-Ländern strenge Qualitäts- und Wirksamkeitskontrollen durchlaufen. „In Österreich werden alle Anträge zur Zulassung von Arzneimitteln von der AGES PharmMed bearbeitet. Durch das zugeordnete Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen ergeht schließlich auf Empfehlung der Fachgutachter der AGES PharmMed der Bescheid, ob ein Medikament, also auch ein Generikum, die Zulassung für Österreich erhält oder nicht“, erklärt Christoph Baumgärtel, Abteilungsleiter für Medizinisch-Klinische Zulassung bei der AGES PharmMed.

Im heimischen Arzneimittelgesetz (AMG, § 1, Abs. 19) ist festgelegt, dass ein Arzneimittel dann ein Generikum ist, wenn es die gleiche qualitative sowie quantitative Zusammensetzung wie das Referenz-Arzneimittel (Originator) hat. Die verschiedenen Salze, Ester, Ether, Isomere, etc. gelten dabei als ein und derselbe Wirkstoff, es sei denn, ihre Eigenschaften unterscheiden sich erheblich bezüglich Sicherheit oder Wirksamkeit. In diesem Fall müssen vom Antragsteller ergänzende Daten beigebracht werden. Die Darreichungsform muss dabei stets die gleiche sein, wobei jedoch verschiedene orale Darreichungsformen mit rascher Wirkstofffreigabe, das heißt Tabletten, Kapseln, etc. als ein und dieselbe Darreichungsform gelten. Zusätzlich muss ein Nachweis der Bioäquivalenz des Generikums mit dem Referenz-Arzneimittel durch eine geeignete Bioverfügbarkeits- beziehungsweise Bioäquivalenzstudie erbracht sein. Unterschiede zwischen Originator und Generikum sind lediglich bei der Zusammensetzung der Hilfsstoffe gestattet (zum Beispiel Maisstärke statt Laktose). Diese Unterschiede dürfen aber nachweislich keinen Einfluss auf die therapeutische Wirkung haben. Genauso kann sich der Herstellungsprozess von dem des Originators unterscheiden; allerdings muss auch in diesem Punkt nachgewiesen sein, dass dieselben Qualitätskriterien, wie vom Originator verlangt, erfüllt sind.

„Der oft zitierte Preisvorteil eines Generikums kommt vor allem dadurch zustande, dass Generika-Hersteller mehr oder weniger eine ‚Kopie‘ des Originals herstellen und sich abgesehen von der Bioäquivalenzstudie die teils enormen Forschungskosten der ansonsten bei neuen Wirkstoffen zwingend vorgesehenen präklinischen und klinischen Studien ersparen“, weiß Christoph Baumgärtel. Als Referenzarzneimittel beziehungsweise Originator kommt dabei für Generika eine in Österreich oder in einem anderen EWR-Land bereits zugelassene Arzneispezialität in Betracht.

Forschung belohnen!

Stichwort Forschungskosten: Die Entwicklung eines einzigen Original-Arzneimittels von der Entdeckung eines geeigneten Moleküls – das oft aus Tausenden möglichen Molekül-Kandidaten herausgefiltert wird – bis hin zur Marktreife kostet mittlerweile bis zu einer Milliarde Euro und dauert im Schnitt acht bis zehn Jahre. „Das unternehmerische Risiko für das forschende Pharmaunternehmen ist dabei ein enormes: Nicht selten kommt es vor, dass sie noch während der Klinischen Erprobung in Phase II oder III Rückzieher machen müssen. Jenes Geld, das bis zu diesem Zeitpunkt in die Forschung geflossen ist – oft dreistellige Millionen-Euro-Beträge – ist dann verloren“, betont Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Branchenverbandes Pharmig, der Original- genauso wie Generikafirmen zu seinen Mitgliedern zählt.

Originalhersteller haben – nachdem ihre Produkte 20 Jahre patentgeschützt sind – somit rund zehn bis zwölf Jahre Zeit, um ihre Forschungskosten wieder herein zu spielen beziehungsweise in neue Forschungsprojekte zu investieren. „Das gelingt Schätzungen zufolge jedoch nur bei etwa 40 Prozent aller Original-Arzneien“, so der Pharmig-Chef. Daher plädiert er für „faire Preise“ für Originalpräparate, denn schließlich „gehört Forschung belohnt“.

Generika gelten – speziell bei den Krankenkassen – als Hoffnungsträger, was die angestrebte Ausgabenreduktion bei Arzneimitteln betrifft und werden außerdem vielfach – nämlich dann, wenn man möglichst viel von ihnen einspart – als „Rettungsanker für das Gesundheitswesen“ betrachtet. Für Huber sind diese vorgeblichen Sparanstrengungen schlicht „lächerlich“.

Die Arzneimittelpreise in Österreich liegen um 18,6 Prozent unter dem EU-15 Schnitt. Der Anteil der Arzneimittel an den gesamten Gesundheitskosten beträgt aktuell 12,6 Prozent. Hubers Conclusio: „Es wird nicht funktionieren, dass man mit nicht einmal 13 Prozent die restlichen 87 Prozent der anfallenden Kosten managen kann“. Bernd Leiter, Obmann des Österreichischen Generikaverbandes (OEGV), sieht das differenzierter: „Durch die Marktdynamik werden Generika auch später immer wieder billiger“, betont er, und: „Es ist ja erwiesen, dass zwischen 2002 und 2007 gemäß Zahlen des Hauptverbandes immerhin 360 Millionen Euro in Österreich durch den Einsatz von Generika eingespart werden konnten“.

Und so dreht sich die Preisspirale kontinuierlich nach unten: Kommt das erste Generikum auf den Markt, muss es 48 Prozent Preisabschlag zum Originalmedikament gewähren. Das Originalpräparat muss nach drei Monaten den Preis um 30 Prozent senken, wenn es im Erstattungskodex (EKO) bleiben will. Wird ein zweites Generikum verfügbar, muss seine Preisdifferenz zum ersten Generikum 15 Prozent betragen. Generikum Nummer Drei muss nochmals zehn Prozent vom Preis abziehen. Drei Monate, nachdem das dritte Generikum auf den Markt gekommen ist, müssen alle Anbieter den Preis des dritten Generikums anbieten. In Folge gilt das Spiel der freien Markt- Kräfte. Leiter: „Durch diese weiteren Preissenkungen sind ersetzbare Erstanbieter durchschnittlich um rund 30 Prozent teurer als Generika“.

Wenn Patente verletzt werden

Kommt ein neues Generikum auf den Markt, wird es im Regelfall schnell und unkompliziert schon allein aus Kostengründen in den Erstattungskodex der Sozialversicherung aufgenommen. In manchen Fällen müssen aber Generika-Anbieter aufgrund von einstweiligen Verfügungen, die in Zusammenhang mit Patentstreitigkeiten ausgesprochen werden, ihre Produkte wieder vom Markt zurückziehen. Ob Patentrechtsverletzungen vorliegen, muss der Hauptverband übrigens nicht nachprüfen.

Dass dies für Originalhersteller nicht erfreulich ist, liegt auf der Hand. Aber auch für die Patienten können Patentrechts- Streitigkeiten durchaus Nachteile – vor allem hinsichtlich der Compliance – bringen. Nämlich dann, wenn Ärzte sie auf ein ‚neues‘ Generikum umstellen, welches in Folge – aufgrund des Rechtsstreits – vom Generika-Hersteller wieder vom Markt genommen werden muss. Jan Oliver Huber: „Zunächst wird der Patient auf das Generikum umgestellt, anschließend wieder auf das Originalpräparat. Daher trifft den Hauptverband auch die hohe moralische Verpflichtung gegenüber dem Patienten, dass dieser nicht wie ein Versuchskaninchen behandelt wird. Das ist unzumutbar“.

Was die Zukunft bringt

Waren früher Originalhersteller und Generika-Anbieter oft in zwei feindliche Lager gespalten, hat sich dieses Bild nicht zuletzt deswegen gewandelt, weil seit geraumer Zeit viele Originalanbieter auch den Generikamarkt für sich entdeckt haben. Jan Oliver Huber: „Warum denn nicht? Diese Firmen haben die Originale erforscht und auf den Markt gebracht und können so auch noch nach einem Patentablauf von ihnen profitieren“.

Jedenfalls: Den Originalherstellern bläst derzeit vielfach ein rauer Wind ins Gesicht. Erst im Jänner 2010 meldete das Schweizer Anlegerportal stocks.ch*: „Während Konzerne wie Pfizer vor großen Patentabläufen stehen, bleiben andere noch von der Umsatzerosion durch Generika verschont.

Der Cholesterinsenker Lipitor von Pfizer verliert 2011 sein Patent; 2008 war die Arznei mit fast 13 Milliarden US-Dollar das umsatzstärkste Medikament weltweit“. Bis 2015 verlieren Medco Health Solutions zufolge Medikamente mit einem Umsatz von 100 Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz. IMS Health nennt bis 2013 ein Volumen von rund 135 Milliarden US-Dollar. Hauptsächlich betroffen sind der Rating Agentur zufolge neben Pfizer außerdem Eli Lilly, Bristol Myer-Squibb, Takeda und Sanofi-Aventis. Markus Manns von Union Investment, einer der größten deutschen Asset Manager für private und institutionelle Anleger, schätzt, dass „die Pharmabranche 2010 eher nicht oder nur minimal wachsen könnte“.

Was den „Nachschub“ an Innovationen – sprich neuen Medikamenten – betrifft, zeigen die Zulassungstrends in den USA eine leicht ansteigende Tendenz. Die Rating Agentur Fitch weist darauf hin, dass im Jahr 2009 bis inklusive November 26 neue Wirkstoffe von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassen wurden. Das sind zwei Substanzen mehr als im gesamten Jahr 2008. 2007 wurde übrigens mit nur 18 US-Zulassungen ein 25-Jahres-Tief markiert°.

Dahingegen dürften Generika-Anbieter vergleichsweise rosigen Zeiten entgegen gehen: Bis 2013 prognostizieren ihnen Experten bei Mitteln etwa gegen Osteoporose, Asthma und COPD, Depressionen oder Fettstoffwechselstörungen Marktanteile zwischen 80 und 90 Prozent. Der Österreichische Generikaverband tritt für eine Verordnungsquote von Generika von 80 Prozent ein, die in Österreich schon in den kommenden Jahren erreicht werden könnte.

* Quelle: Stocks ch, Fokus, 11.1.2010
° Quelle: Financial Times, 14.12.2009

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2010