Gender-Medizin: Adipositas: „Vermeidbarer Killer“

15.12.2010 | Politik

Wenn die Prävention der Adipositas zu spät greift, kommt die bariatrische Chirurgie zum Einsatz. So kann etwa durch einen Magenbypass ein BMI binnen Jahresfrist von 57 auf 36 reduziert werden, wie ein Experte bei einem viel beachteten Vortrag im Rahmen der Tagung „Die Frau in der Medizin“ Ende November in Wien erklärte.
Von Marion Huber

Gender-Medizin und die Feminisierung in der Medizin waren die zentralen Themen der diesjährigen Tagung der Organisation der Ärztinnen Österreichs. Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Walter Dorner, betonte in seinen Grußworten die wichtige Rolle der Frau in der Medizin: „Der Arztberuf wird nicht nur weiblich – er ist es über weite Strecken bereits“. Ihre sozialen und emotionalen Kompetenzen seien es, weshalb Frauen für den ärztlichen Beruf besonders gut geeignet sind. Dorner sprach auch die notwendigen Anpassungen der Strukturen – zum Beispiel in punkto Arbeitszeiten und Kinderbetreuung – an, die es den Frauen erleichtern würden, „ihrer Berufung als Ärztin nachzugehen und diesen herausfordernden Beruf mit privaten Lebenskonzepten unter einen Hut zu bringen“.

Adipositas bei Kindern

Von den zahlreichen Vorträgen fand jener von Univ. Doz. Manfred Prager, Vorstand der Abteilung für Chirurgie und Gefäßchirurgie am Krankenhaus Oberwart (Burgenland), besondere Aufmerksamkeit. Er widmete sich dem Thema „Geschlechtsunterschiede bei morbider Adipositas: Prävalenz – konservatives Management – bariatrische Therapie“. Übergewicht und Adipositas seien globale Probleme, bei denen Männer und Frauen ähnlich oft betroffen sind. Dazu kommt, dass bereits 16 bis 18 Prozent der Kinder an Adipositas leiden – und die Zahl steigt stetig an. Besonders Besorgnis erregend ist diese Entwicklung, wenn man in Betracht zieht, dass 50 bis 70 Prozent der Kinder die Adipositas ins Erwachsenenalter mitnehmen. In der Folge hat diese Tatsache deutliche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf. „Die Mortalität von Erwachsenen mit Adipositas, die bereits in der Kindheit an dieser Erkrankung litten, ist deutlich erhöht“, betonte Prager. Abgesehen davon, dass mit zunehmendem Übergewicht die Diabetes-Wahrscheinlichkeit und das Karzinom-Risiko steigen, zählen auch Hypertonie, Hyperurikämie, nicht-alkoholische Fettleberhepatitis (NASH) sowie bei Frauen vor allem Subfertilität und Harn-Stress-Inkontinenz zu den Komorbiditäten von Adipositas.

Weight Loss Surgery

Dennoch ist exzessives Übergewicht ein „vermeidbarer Killer“, wie Prager erklärte. Natürlich steht Prävention an erster Stelle – wo Prävention aber nicht mehr greift, ist Weight Loss Surgery (WLS) oder bariatrische Chirurgie in Form eines Magenbandes, Magenbypasses oder einer Magen-Sleeve-Resektion eine Option. Obwohl Männer und Frauen gleich häufig an Adipositas leiden, erfolgen 70 Prozent der Eingriffe bei Adoleszenten bei weiblichen Patienten und nur 30 Prozent bei männlichen. Bei den Erwachsenen ist dieser Unterschied noch deutlicher erkennbar: Hier sind 83 Prozent der Weight Loss Surgery-Patienten Frauen. Prager schreibt dies vor allem dem höheren Gesundheitsbewusstsein der Frauen und ihrer erhöhten Sensibilität für Übergewicht zu. „Männer tendieren dagegen zur Nachsorgemedizin. Sie gehen meist erst nach Krankheitseintritt zum Arzt,“ wie Prager erklärte.

Als Selektionskriterien für einen bariatrischen Eingriff nannte der Experte einen BMI > 40 oder einen BMI ≥ 38, Komorbidität, Kooperationsfähigkeit und Compliance des Patienten sowie die Tatsache, dass eine konservative Therapie erfolglos blieb. Außerdem nannte er Altersgrenzen für Patienten, ab denen ein bariatrischer Eingriff in Frage kommt. Bei Mädchen sei eine Operation frühestens ab dem 13. Lebensjahr denkbar, bei Burschen ab 15. Als Obergrenze bei Erwachsenen könnte man ungefähr das 65. Lebensjahr sehen.

Schließlich unterstrich Prager die Effektivität der bariatrischen Chirurgie anhand von Zahlen. Während nach einer Verhaltenstherapie ein BMI von 47 innerhalb eines Jahres nur um einen Punkt auf einen BMI von 46 sinkt und dabei gleichzeitig die Komorbidität unverändert bleibt, verringert sich ein BMI von 57 nach einem Magenbypass im selben Zeitraum auf 36 – und auch die Komorbidität wird dadurch stark reduziert.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2010