Elektronische Gesundheitsdaten: ELGA auf Finnisch

10.04.2010 | Politik

Rund neun Jahre Erfahrung hat man mit Pegasos, der elektronischen Software für die Speicherung der Gesundheitsdaten, in Finnland. Details dazu und Einblicke in ein straff durchorganisiertes Gesundheitssystem.
Von Agnes M. Mühlgassner

In Finnland wird die kommunale Selbstverwaltung von 340 „Gemeinden“ wahrgenommen; diese müssen auch die Gesundheitsleistungen für ihre Bürger zur Verfügung stellen. In Helsinki-Stadt erfolgt dies in Form von 26 Health Care Stations und 39 Dental Care Clinics für die rund 600.000 Einwohner; das größte Gesundheitszentrum in Finnland ist das Helsinki-Health Department, wie deren stellvertretende Leiterin Riitta Simoila vor Journalisten erklärte. In den Gesundheitszentren erfolgt die medizinische Basisversorgung, die Mutter-Kind-Betreuung, die Gesundheitsvorsorge sowie die medizinische Betreuung von Schülern und Studenten: Eine Krankenschwester ist erste Anlaufstelle und entscheidet, ob der Patient zum Arzt kommt. Eine zentrale Stellung haben die Schwestern auch bei der Betreuung von Schwerkranken zu Hause: insgesamt 140 Teams, jeweils aus einem Arzt und zwölf Schwestern bestehend, werden von sechs Stellen aus koordiniert. 

Das Helsinki Health Department beschäftigt insgesamt 8.300 Personen: 335 Allgemeinmediziner, 183 Spitalsärzte, 102 Psychiater, 220 Zahnärzte, 5.400 Krankenschwestern und 2.060 anderweitig Beschäftigte. Die Health Care Stations überweisen – sofern erforderlich – an die fünf Spitäler in Helsinki; wenn es komplizierter wird, erfolgt die Transferierung an die Universitätsklinik. Die Spitäler in der Peripherie bieten nur eine Basis-Versorgung an. Eine Notfallversorgung wird für interne Notfälle angeboten; weiters gibt es Kliniken für die ambulante Betreuung in Innerer Medizin, Geriatrie, Neurologie und physikalischer Behandlung. In fünf Kliniken erfolgt die ambulante psychiatrische Betreuung, für die stationäre Versorgung gibt es ein psychiatrisches Krankenhaus sowie eine psychiatrische Notfalleinheit, die ganzjährig Tag und Nacht medizinische Betreuung anbietet. Die Health Care Centers sind üblicherweise bis 16h geöffnet, manche bis 18h, einige bis 20h. In Helsinki-Stadt gibt es zwei Health Care Center, die rund um die Uhr geöffnet haben; diesen Service bieten auch die Kinder-Gesundheitszentren an. 

„Die zentrale politische Frage derzeit ist: wie können wir die Zahl der Health Care Stations und der Dental Care Clinics verringern“, sagt Simoila. Man wolle nicht die Services verringern, sondern die kleineren Gesundheitszentren, in denen beispielsweise nur vier Ärzte – normalerweise sind es 20 – tätig sind, schließen.

 Pegasos erfasst Daten

Sobald man als Patient ein Health Care Center betritt, werden im Rahmen von „Pegasos“ – so der Name der Software, mit Hilfe derer die finnischen Gesundheitsdaten gespeichert werden – automatisch alle Daten erfasst; ein freiwilliges Opting out ist nicht möglich. Die Vorarbeiten für Pegasos haben bereits in den 1980er Jahren begonnen, genutzt wird das System der Datenerfassung seit 2001, wie die Allgemeinmedizinerin Kirsiliina Leinonen, die in der Datenverarbeitungszentrale des Helsinki City Health Departments tätig ist, erläutert. Übersiedelt man allerdings von einer „Gemeinde“ in eine andere, kann man die Gesundheitsdaten nicht mitnehmen, weil nur 50 Prozent der Health Care Center Pegasos verwenden und dieses mit den sonst verwendeten Datensystemen nicht kompatibel ist… 

Was kann Pegasos? Damit können Terminvereinbarungen im Health Care Center erfolgen, narrative Texte (etwa Anamnese oder Epikrise) digital diktiert werden – was allerdings von den wenigsten Ärzten genutzt wird; meist müssen die Texte getippt werden; gespeichert werden weiters Labor- und Röntgen-Befunde; die Verschreibungen und die Medikation; Überweisungen zu spezialisierten Einrichtungen oder Universitätsspitälern; Rehabilitationsleistungen sowie Betreuungsleistungen zu Hause. Über eine enge Software-Anbindung an die Stadt Helsinki werden rasch Informationen bei Änderungen von Personenbezogenen Daten – wie etwa eine Adressänderung – ausgetauscht. Die im Rahmen von Pegasos gespeicherten Daten sind unmittelbar nach der Erstellung rund um die Uhr, sieben Tage die Woche verfügbar. Einen eingeschränkten mobilen Zugriff gibt es für diejenigen, die Patienten zu Hause betreuen. „Derzeit wird nach einer Lösung gesucht, wie alle mobil Zugang zu den Daten haben können“, berichtet Leinonen.

Zu Beginn der Erfassung von Gesundheitsdaten hatte jeder Patient zwischen fünf und zehn Krankenakten; mittlerweile gibt es pro Patient nur noch eine Krankenakte. Die Einsicht in Patientendaten ist durch Zugriffsrechte definiert und beschränkt; je nach Tätigkeit und Erfordernis. Frei zugängig für alle sind Informationen über Verordnungen und die Medikation, Labor- und Röntgenbefunde, Informationen über Allergien sowie spezielle Risken eines Patienten. Sehr eingeschränkt – jedenfalls zu Beginn – war der Zugang zu psychiatrischen Daten. Bei der Inbetriebnahme von Pegasos hatten ihn nur Psychiater; mittlerweile gab es schon drei Änderungen: Zuerst hat man die anderen Gesundheitsdaten für Psychiater freigeschalten, in einem nächsten Schritt erhielten auch die Mitarbeiter der Health Care Centers sowie die Spitalsärzte Zugang und zuletzt wurde dies auch den psychiatrischen Schwestern, die in der Betreuung der Patienten zu Hause tätig sind, ermöglicht. Wie geht man vor, wenn jemand von außerhalb des Helsinki Health Center Gesundheitsdaten von einem Patienten möchte? Kirsiliina Leinonen dazu: „Diese bekommt er nur mit Zustimmung des Patienten oder auf gesetzliche Verfügung“.  

Für die Erfassung der zahnärztlichen Daten gibt es ein spezielles System namens Effica. Die mit der zahnärztlichen Notfallsversorgung betrauten Einheiten haben nur limitierten Zugang zu Pegasos: und zwar zu Informationen über spezielle Risken, die Medikation, Labor und Röntgenbefunde und einen Teil der narrativen Texte.

Schrittweise wurden auch elektronische Überweisungen möglich; zu Beginn der Einführung innerhalb des Gesundheitszentrums in Helsinki, ab 2002 schrittweise auch zur Universitätsklinik Helsinki. Eine elektronische Epikrise vom Universitätsspital Helsinki wird seit 2004 übermittelt. Weiters besteht die Möglichkeit, innerhalb von Pegasos eine Nachricht zu verschicken: entweder zu dem Arzt, der die Überweisung (etwa aus einem anderen Spital) geschrieben hat oder zum Arzt im Health Care Center.

Und am weiteren Ausbau der elektronischen Vernetzung wird intensiv gearbeitet, wie Leinonen berichtet: die elektronische Verschreibung, deren nationale Erfassung und Archivierung der Daten sowie an eKanta: Dabei handelt es sich um ein einheitliches nationales Datenarchiv und die elektronische Erfassung von Patientenakten, was auch nationale Guidelines für die Struktur derselben erfordert. Weitere Ziele: die Integration der Informationssysteme von öffentlichen und privaten Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen, die einen real-time Zugang zu Krankenakten und Verschreibungen ermöglicht, eine einheitliche Datenstruktur sowie die permanente Verfügbarkeit der Daten über Registrierungsgrenzen hinweg. Allerdings: Für all diese Vorhaben ist die Zustimmung des Patienten erforderlich.

Einige Privat-Krankenhäuser – wenn auch kleine – gibt es sehr wohl, ergänzt Riitta Lehtonen, Leiterin der Organisation von Universitätsklinik und dem Krankenhausdistrikt Helsinki-Uusimaa-Provinz. Von den privaten Krankenhäusern werden Leistungen zugekauft, wenn die Wartelisten für bestimmte Operationen – wie etwa bei Katarakt, Hüftendoprothesen oder Hallux – zu lange sind. Einer gesetzlichen Regelung zufolge, die vor einigen Jahren eingeführt wurde, müssen die Betroffenen innerhalb von sechs Monaten operiert werden. Weil in der Region Helsinki im Vorjahr 20.000 Menschen auf diesen Wartelisten waren – 1.600 davon länger als sechs Monate – wäre eine Geldstrafe in der Höhe von drei Millionen Euro die Folge gewesen. Mit dem Endeffekt, dass einerseits Leistungen aus privaten Spitälern zugekauft wurden und andererseits die Mitarbeiter in den Spitälern Überstunden leisten mussten um die Warteliste „abzuarbeiten“. Das war Ende April; nur wenige Monate später war die Warteliste wieder genauso lang. Der Grund: die Sommer-Urlaube. Wie Lehtonen eingestand, war das Zukaufen der Privatleistungen zwar „teuer“, aber immer noch billiger als die Bezahlung der Strafe.

Die Arbeitsbedingungen insgesamt für Ärzte in Spitälern sind offensichtlich gut:
mit einer Wochen-Arbeitszeit von 38 Stunden und 15 Minuten – laut finnischem
Ärztebund – und zusätzlichen zehn Stunden Dienst. Dazu gibt es pro Jahr insgesamt 38 Urlaubstage. Und: Burnout bei Ärzten ist kein Thema. 

Zugriff auf Pegasos

Derzeit haben folgende Personen und Institutionen Zugriff auf die im Rahmen von Pegasos gespeicherten Gesundheitsdaten:

  • 1.000 Personen in Health Care Stations;
  • 1.700 Personen, die für die Betreuung der Patienten zu Hause zuständig sind;
  • 1.200 Personen in den Spitälern
  • 1.200 Psychiater und psychiatrische Schwestern
  • Andere: rund 500 (wie zum Beispiel Laborbedienstete oder RTAs)

 

Jede Leistung kostet

Gesundheit kostet auch etwas – und zwar bei jeder Leistung, die ein Patient in Anspruch nimmt, wie Jussi Lind, Planungsmanager des Helsinki Health Departments, darlegt. Die jeweiligen Gebühren sind gesetzlich festgelegt: Pro Patient ist jährlich ein Maximum von 633 Euro vorgesehen; nicht mit eingeschlossen darin sind die zahnärztliche Versorgung sowie die Langzeitbetreuung.

Die Kosten für den Patienten:

  • Arztkonsultation im Health Care Center: 13,70 Euro; maximal dreimal pro Jahr;
  • Konsultation der Schwester im Health Care Center: gratis
  • Ambulanter Spitalspatient: 27,40 Euro
  • Besuch in einer Dentalklinik: Kosten variieren; sie betragen im Schnitt 30 Prozent der tatsächlichen Kosten (bei über 18-Jährigen);
  • Ambulante psychiatrische Betreuung: gratis
  • Akute, stationäre Versorgung in einem Krankenhaus (Aufnahme): 32,50 Euro pro Tag;
  • Langzeitbetreuung: basiert auf dem Einkommen der Patienten, maximal 85 Prozent des Netto-Einkommens. Weniger als 20 Prozent der tatsächlichen Kosten der Langzeitbetreuung sind dadurch gedeckt.

Das Gesundheitssystem wird zu 75 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert: von den Gemeinden, dem Staat und dem Nationalen Versicherungsinstitut. Darüber hinaus hat nicht nur der Staat das Recht, Steuern einzuheben; auch die Gemeinden können dies tun. In Finnland werden 8,2 Prozent des BIP für das Gesundheitswesen aufgewendet. Die eingehobenen Gebühren entsprechen durchschnittlich 7,5 Prozent der tatsächlichen Kosten. Auch Helsinki muss sparen, wie Jussi Lind erklärte: „Ein bis zwei Prozent des Budgets – wegen der globalen Wirtschaftskrise“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2010