Disput um ELGA: Patienten brauchen Selbstbestimmung

10.03.2010 | Politik

Wenn demnächst die ersten Pilotprojekte im Rahmen von ELGA in drei Regionen in Österreich starten, haben Datenschützer vehemente Vorbehalte: Sie fordern eine stärkere Berücksichtigung der Patientenrechte.
Von Kurt Markaritzer

Alexander Schanner, Programm- Manager der Arbeitsgemeinschaft Elektronische Gesundheitsakte, welche die Errichtung der Elektronischen Gesundheitsakte vorantreiben soll, kündigte bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien für 2010 erste ELGA-Pilotprojekte auf regionaler Ebene an, wenn die Finanzierung durch die öffentliche Hand sichergestellt wäre. Er räumte allerdings ein, es gebe bei dem Projekt ein „inhomogenes Spannungsfeld“, weshalb zuerst das Misstrauen zwischen den Beteiligten abgebaut werden müsse. Spannungen bestünden zum Beispiel zwischen Sozialversicherung und Bund, aber auch zwischen einzelnen Ländern. Im Zug von ELGA ist nach Angaben von Schanner nunmehr auch ein Portal geplant, über das die Bürger auf ihre Daten zugreifen und einsehen könnten, wer wann welche Daten abgerufen hat. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge sollen diese Abfragen über die Bürgerkarte erfolgen, wobei Schanner einräumen musste, dass sie „nicht wahnsinnig weit verbreitet“ ist. Überlegt werden auch andere Technologien – etwa Handy- TANs -, der Prozess sei aber keineswegs einfach: „Wir haben noch mehrere Triathlons zu absolvieren bis wir am Ziel sind.“

Der Hürdenlauf mit dem Ziel ELGA dürfte also noch einige Zeit beanspruchen, denn die praktische Erprobung lässt noch auf sich warten. Für die Pilotprojekte wäre ein Beschluß der Bundesgesundheitskommission notwendig, der noch nicht vorliegt. Schanner dazu: „Derzeit ist auch nicht abzuschätzen, wann es so weit sein wird.“ Eventuelle Verzögerungen wären freilich eine Chance, Schwachstellen des Systems zu beseitigen und auch Verbesserungen im Sinne der Patienten zu erreichen. Harald Lakatha, Sales Director der Wiener Firma IT Solution GmbH, urgiert vor allem Überlegungen zur Selbstbestimmung der Patienten, die bei den ersten ELGA-Pilotprojekten unbedingt berücksichtigt werden müssten: „Es wäre eine vertane Chance, dabei nicht Erfahrungen auch zu diesem wesentlichen Aspekt zu sammeln und sie für das Projekt zu verwerten.“

Ein System wie ELGA müsse unbedingt das Selbstbestimmungsrecht der Patienten berücksichtigen, sowohl bei den inhaltlichen Überlegungen als auch bei der technischen Ausführung. Vor allem muss nach Ansicht des Experten für Informationstechnologie sichergestellt werden, dass der Patient selbst festlegen kann, welcher Arzt in welche Teile seines elektronischen Gesundheitsaktes Einsicht nehmen kann. Lakatha: „Alle Daten, die mit der Gesundheit zu tun haben, sind natürlich sehr persönlich, deshalb will jeder möglichst wenig davon preisgeben. Und man kann mit technischen Mitteln heute leicht die Möglichkeiten schaffen, diese Souveränität des Patienten sicherzustellen – man muss es nur wollen.“ Nach dem derzeitigen Stand der Planungen werden für ELGA die von verschiedenen Gesundheitsdienste- Anbietern und vom Patienten selbst gesammelten Daten und Informationen in einem oder mehreren verschiedenen Informationssystemen gespeichert (virtueller Gesundheitsakt). Laut Darstellung der Arbeitsgemeinschaft Elektronische Gesundheitsakte stehen diese Daten „orts- und zeitunabhängig am Ort der Behandlung allen berechtigten Personen entsprechend ihren Rollen und den datenschutzrechtlichen Bedingungen in einer bedarfsgerecht aufbereiteten Form zur Verfügung“.

Kritiker bemängeln, dass damit nicht nur der jeweilige Hausarzt, sondern vielleicht auch der Betriebsarzt, der Masseur, die Hebamme, die Physiotherapeutin oder auch der Lebensberater auf das System zugreifen können und trotz aller gegenteiligen Beteuerungen die Gefahr des Datenmissbrauchs nicht ausgeschlossen werden kann. IT-Spezialist Lakatha betont zwar, man müsse wegen einzelner Problemfelder nicht gleich das ganze Projekt ablehnen, aber in jedem Fall sicherstellen, dass der Patient entscheidende Mitgestaltungsmöglichkeiten hat: „Im Datenschutzgesetz ist das Recht jedes Individuums verankert, die über ihn gespeicherten Daten einzusehen, bei Nichtbedarf zu löschen und bei Fehlerhaftigkeit korrigieren zu lassen. Diese drei Grundsätze müssen auch im Gesundheitsbereich angewandt werden!“

Voraussetzung für diese Selbstbestimmung ist einerseits, dass der Patient selbst jederzeit Einblick in seine Gesundheitsakte nehmen und feststellen kann, wer Daten daraus abgerufen hat, und andererseits, dass es ihm möglich ist, den Zugriff auf das Datenmaterial einzuschränken. Dieser Aspekt wird derzeit kaum diskutiert, hat aber große praktische Relevanz. Der Fachmann für Informationstechnologie bringt ein pointiertes Beispiel: „Wenn ich zum Zahnarzt gehe, muss der nicht das Ergebnis meiner letzten Darmspiegelung sehen, wenn mir das unangenehm ist – und das könnte bei vielen Leuten der Fall sein.“
Einen Ausschluss in die Einsichtnahme könnten Patienten auch dann wünschen, wenn sie eine zweite Meinung einholen wollen. Lakatha: „Da wird es vielen günstiger erscheinen, wenn der dazu befragte Arzt nicht durch die Meinung seines Kollegen beeinflusst werden kann.“

Ein drittes lebensnahes Beispiel, das für die Selbstbestimmung der Patienten spricht: Eine Frau, die in einem Dorf am Land lebt und eine Abtreibung hinter sich hat, möchte nicht, dass der Hausarzt im Ort davon erfährt, weil er als strikter Abtreibungsgegner bekannt ist. Sie müsste ausschließen können, dass er auf jene Daten zugreifen kann, die sich auf die Abtreibung beziehen, sondern dass die nur ihrem Gynäkologen zur Verfügung stehen, der sie kennen muss.

Im Regelfall wird allerdings gerade der Hausarzt derjenige sein, mit dem man eventuelle Einschränkungen des Zugriffs bespricht und veranlasst, glaubt Lakatha: „Man könnte die Beschränkungen – wenn sie einmal im System vorgesehen wären -, selbst vornehmen, wenn man ein entsprechendes Portal hat und Online direkt auf die Akte zugreifen kann. Aber das wird vielen Menschen nicht möglich sein, weil sie die technischen Voraussetzungen nicht haben und sich vor allem als ältere Patienten bei ELGA einfach nicht auskennen. Da wird man sich mit dem Arzt seines Vertrauens zusammensetzen und eine Lösung finden. So gesehen sind Maßnahmen zur Stärkung der Selbstbestimmung auch eine Aufwertung des Hausarztes!“

Aus IT-Sicht sind solche Zugriffsbeschränkungen ohne Weiteres machbar betont der Fachmann: „Im Verteidigungsbereich sind derartige Maßnahmen üblich, da hat man vorbildliche Lösungen, die man problemlos adaptieren könnte. Voraussetzung ist eine klare Formulierung der Sicherheitsziele: Was wird an Verfügbarkeit angestrebt, mit welchen Schritten ist die Zuordnung der Berechtigung zu erreichen, welche Maßnahmen müssen dazu gesetzt werden und wie bildet man das alles informationstechnologisch ab? Das hört sich kompliziert an, ist aber in anderen Systemen bereits umgesetzt. Warum sollte es dann bei ELGA nicht möglich sein?“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2010