Barrierefreiheit: Ab 2016 drohen Strafen

25.11.2010 | Politik

Spätestens 2016 müssen nach dem jetzigen Stand der Dinge alle Ordinationen für Patienten barrierefrei zugänglich sein. Denn nach derzeitiger Gesetzeslage laufen dann die diesbezüglichen Übergangsfristen aus.
Von Kurt Markaritzer

Um Patienten, die ärztliche Hilfe brauchen, Enttäuschungen zu ersparen und ihnen die Chance zu geben, rechtzeitig einen Arzt zu finden, dessen Praxis ihre jeweilige Beeinträchtigung berücksichtigt, hat die ÖQMed, die Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung & Qualitätsmanagement GmbH, gemeinsam mit dem Sozialministerium vor einigen Jahren eine Informationsplattform eingerichtet (www.arztbarrierefrei.at), wo sich Patienten mit eingeschränkter Mobilität, Sehbehinderungen beziehungsweise Blindheit, Schwerhörigkeit beziehungsweise Gehörlosigkeit oder eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten nach für sie geeigneten Ordinationen erkundigen können.

Kennzeichen

Viele Ordinationen in dem Register sind mit einem goldenen Stern gekennzeichnet, der besagt, dass die Angaben der Ärzte von einer Behindertenorganisation kontrolliert wurden. Ordinationen, bei deren Adresse ein blauer Stern steht, wurden von einem geschulten Qualitätssicherungs-Beauftragten der ÖQMed überprüft. Die Aufstellung ist aussagekräftig, sie wird aber weiter präzisiert, wie Eva Fleischhacker, Leiterin Riskmanagement, Patientenbefragung & Barrierefreiheit in der ÖQMed, erklärt: „In Zusammenarbeit mit dem 2008 eingerichteten Nutzerbeirat wurde der Fragebogen für Ärzte überarbeitet und erweitert. Wir erhoffen uns davon ein noch genaueres Bild der aktuellen Gegebenheiten.“

Annemarie Srb-Rössler, Mitglied des Nutzerbeirates, meint dazu: „Bei uns arbeiten Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen zusammen. Wir ersuchen alle, die mit dem Ausfüllen des Fragebogens betraut werden, sich ausreichend Zeit dafür zu nehmen, um auf die detaillierten Fragen eingehen zu können und diese umfassend zu beantworten. Genaue Informationen über die Beschaffenheit von Ordinationen zu erhalten, ist für Menschen mit Behinderung von großer Wichtigkeit.“ Die Patientenvertreterin nennt konkrete Beispiele, worauf es ankommen kann. Allgemeine Angaben wie zum Beispiel die Maße der vorhandenen Toilette und ob ein Haltegriff vorhanden ist, sind Voraussetzung für Menschen im Rollstuhl, um festzustellen, ob sie die Toilette benützen können. Sehbehinderte und blinde Patienten müssen wissen, ob Gegensprechanlage, Klingel und Türtaster in Brailleschrift oder in erhabener (taktiler) Großschrift ausgeführt sind. Für schwerhörige und gehörlose Patienten ist die Möglichkeit einer Anmeldung per Fax oder per Mail unerlässlich. Für Patienten mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten wiederum ist es wichtig, dass lange Wartezeiten möglichst vermieden werden.

Zumindest was Bewegungsbehinderungen betrifft, müssen bis 2016 alle Ordinationen barrierefrei sein, betont Sektionschef Manfred Pallinger im Gespräch mit der ÖÄZ. Wie es dabei mit den finanziellen Belastungen für die Ärzteschaft aussieht, hat der Gesetzgeber vorerst offen gelassen, die Bedingungen haben sich sogar verschlechtert. Alois Alkin, Geschäftsführer des Ärztlichen Qualitätszentrums in Linz, sagt: „Wir bedauern sehr, dass das Sozialministerium die Förderungen für barrierefreie Umbauten in Arztpraxen seit Februar 2010 eingestellt hat. Da die Begründung für den Ausschluss der Ärzte von der Förderung aus unserer Sicht rechtlich nicht haltbar ist, bemüht sich die Ärztekammer darum, wieder eine Förderung für barrierefreie Umbauten von Arztpraxen zu erreichen.“

Oberösterreich selbst ist in Sachen Patienteninformation ein Vorzeige-Bundesland: Rund zwei Drittel aller Ordinationen, sowohl solche mit Kassenvertrag als auch Wahlärzte, sind im Barrierefreiheitsregister eingetragen. Damit steht für Patienten eine gute Quelle zur Suche einer geeigneten Ordination zur Verfügung. Auf Landesebene haben sich die Oberösterreichische Ärztekammer und die Gebietskrankenkasse auf eine Regelung für Kassenärzte geeinigt, die seit Februar dieses Jahres angewendet wird. Vertragsärzte, die eine neue Ordination beziehen, sollen barrierefrei zugängliche Räumlichkeiten auswählen – allerdings nur dann, wenn „solche Räumlichkeiten zu wirtschaftlich zumutbaren Bedingungen im Versorgungsgebiet zur Verfügung stehen“.

Die Anforderungen an barrierefreie Ordinationen betreffen

  • die Herstellung eines stufenlosen Zugangs zum und ins Gebäude, in dem die Praxis liegt,
  • die Gestaltung der horizontalen und vertikalen Bewegungs- und Verbindungsflächen und
  • die bauliche Gestaltung des WCs.

Ob die Räumlichkeiten geeignet sind und den Anforderungen gerecht werden, wird vom Ärztlichen Qualitätszentrum geprüft. In den anderen Bundesländern gelten ähnliche Bestimmungen. Grundsätzlich drängt in den Ordinationen, die den Kriterien noch nicht entsprechen, die Zeit: Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet Anbieter von Waren und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, praktisch barrierefrei anzubieten. Dazu zählen natürlich auch die Ärzte. Gestaffelt nach den Kosten und den notwendigen Maßnahmen gelten derzeit noch Übergangsfristen, die aber in sechs Jahren auslaufen.

Interview – Sektionschef Manfred Pallinger

Nachgefragt

Im Gespräch mit der ÖÄZ erläutert Sektionschef Manfred Pallinger die aktuelle Situation. So zurückhaltend er es formuliert: Die Chance auf finanzielle Unterstützung für die Ärzteschaft ist anscheinend nicht sehr groß.

ÖÄZ: Welchen Stellenwert hat eine barrierefreie Ordination aus der Sicht des für Menschen mit Behinderungen zuständigen Ministeriums?
Pallinger: Barrierefreiheit ist für das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in erster Linie von Bedeutung im Hinblick auf das Gleichstellungsrecht. Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet Anbieter von Waren und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, diese in nicht diskriminierender Weise, das heißt praktisch barrierefrei anzubieten.

Ist die gegenwärtige Situation, soweit man sie kennt, den Umständen entsprechend nicht zufriedenstellend, akzeptabel oder gut?
Die Gebietskrankenkassen schließen in den meisten Bundesländern neue Kassenverträge nur mehr mit Ärzten mit baulich barrierefrei zugänglichen Ordinationen ab. Die Qualitätssicherungsverordnungen der Ärzte- und Zahnärztekammer definieren Barrierefreiheit als Ziel. Gleichzeitig ist bekannt, dass insbesondere im innerstädtischen Altbaubestand, also vor allem in Wien, noch zahlreiche bestehende Ordinationen existieren, die von baulicher Barrierefreiheit weit entfernt sind. Zuständigkeitshalber – da es sich hier um Fragen der Gesundheitsvorsorge beziehungsweise Infrastruktur handelt – hat das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hier kein Datenmaterial. Tatsache ist aber, dass auch Ärzte nach Auslaufen der Übergangsfristen damit rechnen müssen, gegebenenfalls wegen mangelnder Barrierefreiheit (mittelbare Diskriminierung, Anm.) geklagt zu werden.

Gibt es staatliche Förderungen für Ärzte, die ihre Ordinationen behindertengerecht adaptieren? Wenn ja: Ist hier im Zuge der allgemeinen Sparwelle mit Kürzungen beziehungsweise Einschränkungen zu rechnen?

Es sind nur beschränkte finanzielle Mittel für investive Maßnahmen vorhanden. Diese kommen aus dem Bundeshaushalt und sind zweckgebunden. Die Kriterien für die Vergabe solcher Zuschüsse sind daher eng, insbesondere für wirtschaftlich potente Anbieter von Waren und Dienstleistungen, denen auch aus gleichstellungsrechtlichen und allgemeinen gesellschaftspolitischen Erwägungen eine besondere Verantwortung für ihre Kunden zugemutet werden kann. (Barrierefreiheit nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern auch für ältere Menschen, Eltern mit Kinderwägen etc., Anm.).

Gibt es von Seiten des Ministeriums eine Zeitvorstellung, bis wann Ordinationen zumindest einen Mindesstandard an Barrierefreiheit aufweisen müssen?
Diesbezügliche Übergangsfristen (gestaffelt nach Kostenaufwand erforderlicher Maßnahmen) laufen nach derzeitiger Rechtslage 2016 aus (§ 19 Abs. 2 ff. BGStG). Ärzte sind damit gesellschaftspolitisch in die Pflicht genommen und gesetzlich verpflichtet, ihre Leistungen ebenfalls barrierefrei anzubieten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2010