Arznei & Vernunft Antiinfektiva: Resistente Gefahr

25.11.2010 | Politik


Österreich weist im internationalen Vergleich einen generell niedrigen Antibiotikaverbrauch auf. Dennoch werden einzelne Substanzen wie etwa Fluorchinolone und Oral-Cephalosporine der dritten Generation zu häufig eingesetzt. Die neue Leitlinie „Arznei & Vernunft“ dazu wurde kürzlich präsentiert.

Von Birgit Oswald

Auf dem Gebiet der Antiinfektiva sind in den letzten zehn Jahren große Forschungserfolge zu verzeichnen, mehr als 80 neue Medikamente konnten in diesem Zeitraum zur Verfügung gestellt werden, wie Pharmig-Präsident Robin Rumler im Rahmen der Präsentation der neuen Arznei & Vernunft Leitlinie „Antiinfektiva – Behandlung von Infektionen“ im November in Wien erklärte. Die Initiative Arznei & Vernunft ist eine in Europa einzigartige Zusammenarbeit zwischen Pharmawirtschaft, Sozialversicherung sowie der Ärzte- und Apothekerkammer.

Mit 13 Prozent Marktanteil werden Antibiotika von allen Medikamentengruppen weltweit am häufigsten verordnet, wie Josef Probst, Generaldirektor-Stellvertreter des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger, erläuterte. Dennoch hat der häufige Einsatz von Antibiotika auch eine Schattenseite. Zwar sind diese Substanzen sehr effektiv bei der Bekämpfung vieler Krankheiten; ihr unkritischer Einsatz jedoch verursacht unnötige Kosten im Gesundheitssystem und führt zur Resistenzentwicklung. „Obwohl rund 95 Prozent aller Infekte viral bedingt sind und eine Antibiotikatherapie somit wirkungslos ist, werden viel zu oft dennoch Antibiotika verordnet, insbesondere bei Infektionen der Atemwege“, fügte Univ. Prof. Klaus Klaushofer, Leiter der Expertengruppe und Ärztlicher Direktor im Hanusch-Krankenhaus Wien, hinzu. Dadurch ergeben sich laut dem Experten auch Gefahrenmomente, da eine unkritische Anwendung Schaden und Resistenzbildung zur Folge haben kann.

Kaum Resistenzen in Österreich

25.000 Patienten sterben einem Bericht des European Centre for Disease Control und der Europäischen Zulassungsbehörde EMA zufolge EU-weit jährlich an Infektionen, die durch multiresistente Bakterien verursacht werden. Prinzipiell treten Resistenzen aber in jenen Ländern seltener auf, die Antibiotika weniger häufig verordnen, dazu zählen neben Österreich auch die Niederlande, Norwegen und Dänemark. „Unser Ziel ist die in Europa vergleichsweise günstige Resistenzlage in Österreich beizubehalten, sodass die optimale Versorgung der Versicherten langfristig gewährt wird,“ betonte Probst und sieht die Vorgangsweise des Hauptverbands – nämlich bei der Aufnahme von Antibiotika in den Erstattungskodex eher restriktiv vorzugehen – bestätigt.

Österreich weist im internationalen Vergleich einen generell niedrigen Antibiotikaverbrauch auf. Einzelne Substanzen seien aber auch hier zu Lande zu häufig verordnet; Fluorchinolone und Oral-Cephalosporine der dritten Generation sind laut Klaushofer stark überrepräsentiert.

Kostenfaktor Resistenzen

Neben eingeschränkten Therapiemöglichkeiten und einer erhöhten Morbidität und Mortalität stellen die steigenden Resistenzen aber auch einen enormen Kostenfaktor für das Gesundheitswesen dar. „Eine britische Studie zeigt, dass die ambulante Behandlung von Harnwegsinfektionen im Fall von Resistenzen um 70 Prozent teuerer ist als ohne Resistenzen“, erklärte Probst. Auch durch den wirkungslosen Einsatz von Antibiotika gegen viral bedingte Infektionen kommt es zu einer Verschwendung teurer Medikamente.

Und auch bezüglich der Krankenstände spielen Infektionskrankheiten eine tragende Rolle. Epidemiologisch betrachtet sind dem Sprecher der Bundessektion Fachärzte der Österreichischen Ärztekammer, Lothar Fiedler, zufolge Infektionen ein Hauptgrund für Krankenstände und im Vergleichszeitraum 1991 bis 2009 erheblich gestiegen. Die Zahl der Kassenärzte ist dabei aber seit Jahren konstant: So kommt statistisch gesehen ein Arzt auf 1.000 Einwohner. Laut Fiedler sorgen 4.298 niedergelassene Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag und rund 4.155 Kassen-Fachärzte für eine „zeitgerechte, zielgenaue und nachhaltige Behandlung der Infektionen“. Priorität habe dabei das Wohl der Patienten, dennoch sei der optimale Einsatz der Ressourcen wichtig. Die Leitlinie könne zielsicher dazu beitragen, betonte Fiedler.

Entwicklung der Antibiotika

Ende der 1960er Jahre glaubte man noch, den Kampf gegen Infektionen endgültig gewonnen zu haben. Doch durch die Entwicklung von Resistenzen steht die Medizin heute vor erneuten Schwierigkeiten, wie Univ. Prof. Florian Thalhammer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten, im Rahmen der fachlichen Präsentation der Leitlinie erläuterte. Der Experte ging besonders auf die Entwicklung der Antiinfektiva-Therapie seit der Entdeckung des Penicillins bis zur Behandlung im 21. Jahrhundert ein. Dabei erklärte Thalhammer das „Goldene Zeitalter der Antibiotika“ für beendet, denn speziell gegen bakterielle Infektionen gäbe es heute kaum neue Antibiotika-Präparate. 80 Prozent der Staphylokokken seien mittlerweile resistent gegen Penicillin. Schuld an der steigenden Zahl der Resistenzen seien viele Patienten, die sich – anstatt zum Arzt zu gehen – im Internet über eventuelle Krankheiten informieren und unkritisch Antibotika kaufen würden. Nicht zu vergessen ist auch der effiziente Einsatz der Medikamente, denn wie Thalhammer betonte, „helfen Antibiotika nicht bei Grippe, Erkältungen oder akuter Bronchitis“. Oftmals würden auch Ressourcen nutzlos eingesetzt werden, viele angeordnete Borrelien-Serologien seien beispielsweise unnötig, da diese mit großer Wahrscheinlichkeit keine neue Befundkonstellation ergeben und daher auch keine Auswirkung auf die Therapie hätten.

Leitlinie unterstützt Ärzte

Die neue Auflage der Arznei & Vernunft Leitlinie enthält im Gegensatz zur Auflage aus dem Jahr 1998 zusätzlich zur Darstellung der Krankheitsbilder Kapitel zu Resistenzentwicklung, Allergien und Diagnostik. Die Leitlinie und die Patienten-Broschüre sollen dazu beitragen, Krankheiten effizient, patientenfreundlich und ökonomisch zu behandeln. Die Leitlinien wurden unentgeltlich und unabhängig von Experten nach neuesten wissenschaftlichen Kriterien erstellt. Die Patienten-Broschüren werden in allen österreichischen Apotheken, Arztpraxen aller Allgemeinmediziner, zahlreichen Facharztpraxen und Krankenanstalten-Abteilungen aufliegen.

Tipp:

Die Leitlinien und die Patienten-Broschüre gibt es als Download unter:
www.aerztekammer.at
www.sozialversicherung.at/arzneiundvernunft
www.apotheker.or.at
www.pharmig.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2010