Alten- und Pflegeheime: Zu rasch ins Krankenhaus!

10.09.2010 | Politik

In der medizinischen Versorgung in Pflege- und Altenheimen geschieht noch viel zu wenig. Und das, was geschieht, ist oft unkoordiniert – wie aktuelle Studien aus Oberösterreich und Kärnten zeigen.
Von Kurt Markaritzer

Wolfgang Ziegler, Referent für Altersmedizin und Hauskrankenbehandlung in der Ärztekammer Oberösterreich, fasst die Lage kurz und bündig zusammen: „Wir müssen bessere Lebensbedingungen für die Bewohner in Alten- und Pflegeheimen schaffen. Der Bedarf an grundlegenden Reformen ist offenkundig, denn derzeit herrscht in Sachen Pflege in ganz Österreich eher das Chaos. Es gibt viele Träger, Betreiber und Finanziers von Heimen, aber höchst unklare Qualitätskriterien, soweit solche überhaupt existieren.“

So ist zum Beispiel die medizinische Betreuung in den Heimen ganz unterschiedlich geregelt. In Wien werden einige Heime von Ärzten geleitet, in anderen Bundesländern hat man sich für andere Lösungen entschieden. Ziegler: „Bei uns in Oberösterreich gilt das Hausarztmodell. Der Hausarzt, der einen Patienten viele Jahre lang behandelt hat, betreut ihn auch dann weiter, wenn er in einem Heim untergebracht ist.“ Die Regelung ist zwar patientenfreundlich, schafft aber in der alltäglichen Praxis oft Probleme. Ziegler: „In größeren Heimen sind bis zu 30 verschiedene Ärzte tätig, die Abstimmung mit dem Pflegepersonal ist dann alles andere als einfach.“

Eine praktische Schwierigkeit ist auch die gut gemeinte Einschätzung der Pfleglinge durch die verantwortlichen Sozialpolitiker. Die älteren Frauen und Männer gelten nicht als krank, sondern schlicht als Heimbewohner. Bei einer solchen Sichtweise ist eine kontinuierliche ärztliche Betreuung im Heim nicht unbedingt notwendig – und das bringt Schattenseiten mit sich. Zum einen kommt es immer wieder vor, dass die Heimbewohner nach einem Spitalsaufenthalt zu früh entlassen und in ihrem Heim wegen Kommunikationsproblemen zwischen Spital, Hausarzt und Heimleitung nicht adäquat betreut werden. Zum anderen ist eine durchgehende fachärztliche Versorgung von Heimbewohnern nicht geregelt und das hat zur Folge, dass Heimbewohner oft aus geringfügigen Anlässen ins Spital gebracht werden. Ziegler dazu: „Es wäre wünschenswert, dass Fachärzte wie zum Beispiel Neurologen oder Augenärzte regelmäßig in die Heime kommen, sich dort um die Bewohner kümmern und sie an Ort und Stelle behandeln. Das wäre in den meisten Fällen möglich und würde nicht nur die Transportkosten spürbar reduzieren, sondern den Patienten auch unnötige Belastungen ersparen.“ Unterstützt wird diese Ansicht auch vom burgenländischen Ärztekammer-Präsidenten und Leiter des Geriatrie-Referats in der ÖÄK, Michael Lang: „Das würde auch die Spitalsambulanzen entlasten und den Patienten unnötige Belastungen durch Transporte und lange Wartezeiten in überlasteten Ambulanzen ersparen.“

In der medizinischen Versorgung in Pflege- und Altenheimen geschieht noch viel zu wenig. Und das, was geschieht, passiert oft unkoordiniert, hat sich bei der Studie in Oberösterreich gezeigt. Das Resultat sind Versorgungsmängel bei älteren Patienten, die zum Beispiel nach Jahren eine neue Brille oder einen neuen Zahnersatz brauchen.

Auffällig: Systemfehler

Auffallend sind auch Systemfehler, wie sie zum Beispiel bei der Kontrolle der Blutgerinnung erkennbar wurden. Die Gerinnung sollte monatlich überprüft werden, es besteht aber keine verbindliche Regelung. In manchen Heimen gibt es dafür keine Geräte und dort, wo welche zur Verfügung stehen, unterliegen sie meist keiner Qualitätskontrolle. Manche Ärzte bringen ihre eigenen Apparaturen in das Heim mit, aber das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Der Ausweg: Viele Heimbewohner werden für die Tests ins Spital gebracht. Im Vorjahr wurden in Oberösterreich Hunderte Fahrten unter dem Titel „Blutgerinnungsbestimmung“ durchgeführt. Ziegler: „Da könnte man durch ein sinnvolle Organisation viel Geld sparen. Und für die Patienten wäre es auch angenehmer, die Überprüfung gleich im Heim zu machen – ins Spital geht schließlich von den alten Leuten keiner gerne …“

Das System hat gravierende Schwachstellen, die durch vergleichsweise einfache Maßnahmen gemildert oder beseitigt werden könnten.

  • In Heimen, wo viele Ärzte mit vielen Pflegekräften zusammenarbeiten sollen, wäre es sinnvoll, einen Arzt als Kontaktperson zu nominieren, der bei den Besprechungen der Heimleitung anwesend ist und dort medizinisch fundierte Ratschläge gibt. Dieser „ärztliche Kommunikator“ könnte zum Beispiel Vorschläge für die medikamentöse Versorgung der Heimbewohner machen und bei der Ausarbeitung von Notfallplänen maßgeblich mitwirken.
  • In den Heimen selbst sollten mehr Fachärzte zur Verfügung stehen, die einfache Behandlungen an Ort und Stelle erledigen. Ein entsprechender Einsatzplan müsste entwickelt werden.
  • Es gibt kaum Heime, in denen physikalische Therapien gemacht werden können. Die notwendigen Apparaturen stehen nicht zur Verfügung, sie ins Heim zu transportieren ist zu aufwendig – also geschieht gar nichts, obwohl die Therapie den alten Leuten helfen würde. Die Einrichtungen dafür könnten mit einem vertretbaren Aufwand geschaffen werden.


Ob und wie weit derartige Vorschläge umgesetzt werden, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Ziegler: „Die Sozialabteilung des Landes und die Krankenkassen sind sich nicht einig über die Finanzierung und über die Aufteilung eventueller Ersparnisse. Aber vielleicht kommt es da doch zu einer Lösung.“

Aus ärztlicher Sicht wäre sie zu wünschen, denn noch im heurigen Herbst sollen Pilotprojekte zur verbesserten medizinischen Betreuung in Altenheimen gestartet werden. Wo sie durchgeführt werden, ist derzeit noch offen, wie Ziegler erklärt: „Es gibt etliche Heime, die an der Teilnahme an einem solchen Projekt sehr interessiert sind.“

Präzise Daten aus Kärnten

Ein zentraler Punkt, wenn es um Verbesserungen für die Patienten geht, ist die Regelung der Transporte von Heimbewohnern in das Spital und wieder zurück, für die derzeit in vielen Fällen drei Begriffe zutreffen: umständlich, unangenehm und unnötig! Georg Pinter, Leiter der Medizinisch-Geriatrischen Abteilung am LKH Klagenfurt und Referent für Geriatrie der Kärntner Ärztekammer, hatte diesen Verdacht schon lange: Jetzt wurde seine Meinung durch eine wissenschaftliche Studie in Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt bestätigt. Fazit: 22 Prozent der Transporte erwiesen sich als vermeidbar! Das bedeutet, dass es auf diesem Sektor ein beachtliches Einsparungspotenzial gibt. Immerhin erfolgten laut dem Roten Kreuz im Jahr 2008 nicht weniger als 10.754 Transporte von Pflegeheimen in Krankenhäuser in Kärnten. In den Bezirken Klagenfurt und Klagenfurt-Land wurde jeder Heimbewohner im statistischen Durchschnitt mindestens drei Mal ins Krankenhaus transportiert. Die Gründe dafür: Erkrankungen (44 Prozent), Kontrolluntersuchungen (21 Prozent), Dialyse (10 Prozent), Unfälle (8 Prozent) sowie Therapie (6 Prozent).

Angesichts des Alters der Heimbewohner ist ein Spitalsaufenthalt oft nicht zu vermeiden. Im Kalenderjahr 2008 erfolgten im LKH Klagenfurt insgesamt 4.149 Einlieferungen aus Alten- und Pflegeheimen in Kärnten. Von diesen Fällen wurden 2.647 ambulant behandelt, immerhin 1.502 wurden stationär aufgenommen. Univ. Prof. Herbert Janig von der Universität Klagenfurt zeigt an einem Beispiel auf, aus welchen Motiven Patienten ins Spital gebracht werden, obwohl es bessere Lösungen gäbe. Es geht dabei um das Setzen von Blasenkathetern bei Männern. Dies wäre – so wie bei Frauen – laut Gesundheits- und Krankenpflegegesetz 1997 eine mitverantwortliche Tätigkeit, die nach ärztlicher Anordnung von diplomiertem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal durchgeführt werden kann. Bei Frauen geschieht der Katheterwechsel tatsächlich im Heim, hat die Studie ergeben. Janig: „Für männliche Patienten zeigt sich jedoch ein vollkommen anderes Bild. In 13 der 16 Heime wird in jedem Fall versucht, den Katheterwechsel beim Mann im Heim abzuwickeln. Sieben Pflegedienstleiterinnen und Pflegedienstleiter gaben jedoch ausdrücklich an, dass diese Tätigkeit nicht vom diplomierten Pflegepersonal durchgeführt wird.“ Psychologe Janig weiter: „80 Prozent der betroffenen Männer müssen deshalb den Transport in das Krankenhaus in Kauf nehmen, der für alle pflegebedürftigen Personen natürlich eine Belastung darstellt und Ängste auslöst. So gesehen ist dieser Strukturfehler im System nicht nur kostspielig, sondern auch nachteilig für die Gesundheit.“ Nach der Studie „Krankenhaustransporte aus Alten- und Pflegeheimen in Kärnten“, die demnächst veröffentlicht wird, folgt 2011 ein weiteres Projekt. Pinter: „Für Anfang nächsten Jahres ist eine Interventionsstudie mit zwei Klagenfurter Heimen und niedergelassenen Ärzten geplant.“ Dabei soll vor allem die Kooperation zwischen dem Heimpersonal und den Ärzten optimiert werden. Der Arzt soll dabei eine Koordinierungsfunktion haben, zudem wird eine Hotline für Akutfälle eingerichtet, um im Fall des Falles raschest reagieren zu können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2010