Alois Stache: Arzt und „Architekt“

10.06.2010 | Politik


Er ist und war immer Arzt mit Leib und Seele, außerdem gestaltender Politiker und jemand, der Problemen nie aus dem Weg gegangen ist: Univ. Prof. Alois Stacher. Auch heute noch scheut er Diskussionen nicht. Ein Porträt zum 85. Geburtstag des Wegbereites der Hämatologie in Österreich.

Von Ruth Mayrhofer

Das Medizinstudium begann Alois Stacher nach dem Zweiten Weltkrieg, den er am Ende schwerst verletzt und zu 70 Prozent arbeitsunfähig zwei Jahre lang in der Gefangenschaft im Lazarett verbracht hatte. Der Wunsch, Arzt zu werden, war erst dort gereift. Zuvor konnte er sich nicht vorstellen, „es immer mit so grauslichen Sachen“, also mit Krankheit und Tod, zu tun zu haben und erwog ein Architekturstudium, eine Überlegung die er, weil er „Mathematik immer gehasst hat“, schnell fallen ließ. Allerdings: In seinem weiteren Leben sollten sich die beiden Aspekte immer wieder vereinen, wenn auch der Begriff Architektur in diesem Fall vielleicht besser mit „Aufbau“ übersetzt werden sollte.

Studium: „Geschwindigkeit zählt“

1947 – 22 Jahre jung und seit kurzem verheiratet – führte den späteren Hämatologen von Weltruf sein erster Weg in Wien zum Jugendarbeitsamt, bei dem man für ein späteres Studium beraten wurde. Dort beschied man ihm, es sei schlicht „Blödsinn“, Medizin studieren zu wollen, weil es schon genügend Ärzte gäbe. Stacher ließ sich nicht beirren, erzählt heute lachend, dass er „für Blödsinn immer schon zuständig war“, schaffte mit allerlei Tricks den Zugang zum Medizinstudium doch und promovierte exakt fünf Jahre später zum Dr. med. univ. Während des Studiums verfolgte er übrigens eine Maxime: Die Geschwindigkeit, mit der die Ausbildung absolviert werden konnte, war wichtig, nicht die Noten.

In sein späteres Spezialgebiet, die Hämatologie, rutschte er durch Zufall. Nach immerhin sieben Monaten Wartezeit auf einen Arbeitsplatz kam er im Wiener Hanusch-Krankenhaus unter und erhielt die Gelegenheit, unter Hanns Fleischhacker, dem damals führenden Hämatologen Österreichs, zu arbeiten. Für den jungen Arzt war es „eine tolle Chance, die ich genützt habe“. Ausschlaggebend dafür, dass er sich tatsächlich zum Hämatologie-Spezialisten entwickeln konnte, war sicher auch der Auftrag seines Chefs, die inhaltliche Korrektur eines Hämatologie-Buches, das dieser gerade verfasst hatte, durchzuführen. „Ich habe das Buch kritisch mit Hilfe sämtlicher damals zur Verfügung stehender Literatur auseinandergenommen“, erzählt der Mediziner, und erwarb mit der Erledigung dieser Aufgabe endgültig großes theoretisches Wissen und den Respekt seines Vorgesetzten.

Als im Hanusch-Krankenhaus 1955 nach der französischen Besatzung ein Pavillion frei und unter Fleischhacker für den Aufbau einer ersten hämatologischen Station Österreichs genutzt werden sollte, ergriff der junge Arzt Stacher – damals zwar schon Facharzt für Interne Medizin, aber noch nicht Oberarzt – freudig die Gelegenheit, Pionierarbeit zu leisten. Und es treten Lachfalten in seinem Gesicht zutage: „Das größte Problem war, Patienten für diese Station zu bekommen. Also habe ich mich mit der Bettenzentrale in Verbindung gesetzt und denen gesagt, sie sollen mir Patienten mit den ‚richtigen Diagnosen‘ schicken. Nach 14 Tagen war die Station voll“, freut sich Stacher noch heute.

Erstes medizinisches Boltzmann-Institut

Stacher ist der Gründer des Boltzmann-Institutes für Leukämieforschung und Hämatologie in Österreich (1968) und damit des ersten medizinischen Institutes der Ludwig Boltzmann-Gesellschaft. Die Gründung wurde durch Bundespräsident Jonas möglich, der, um die Krebsforschung zu forcieren, Stacher Geldmittel immerhin im Ausmaß von 280.000 Schilling zur Verfügung stellte. So stürzte sich der Wissenschaftler ab diesem Zeitpunkt mit Elan in Untersuchungen in Sachen Leukämieforschung und organisierte das erste internationale Leukämie-Symposium in deutscher Sprache.

Stacher etablierte sich also in der medizinischen Welt und jener der Wissenschaft. 1960 sorgte er in Fachkreisen für Aufregung, weil er sich als erster Schulmediziner mit Homöopathie und Akupunktur beschäftigte. „Damit habe ich mir nicht nur Freunde geschaffen“, resümiert der Arzt heute, „das war damals wirklich ganz revolutionär. Sogar meine Habilitation 1967 geriet in Gefahr, weil ich es gewagt hatte, kurz davor einen Vortrag über Akupunktur bei einem Symposium zu halten“. Warum aber wirklich gerade Homöopathie und Akupunktur? „Man muss sich vorstellen, dass früher Leukämie-Patienten todgeweiht waren. Therapiert wurde nach Schema, eine individuelle Therapie galt im wissenschaftlichen Bereich als unmöglich beziehungsweise als Unsinn. Nun konnte man aber schon damals durch Homoöpathie, Neuraltherapie, Akupunktur und Physiotherapie den Patienten wohl keine Heilung, aber subjektive Erleichterung bringen. Nur der Nachweis fehlte. Wir haben also eine Arbeitsgruppe gegründet, und unser Physiker Maresch konnte bereits nach sechs Wochen nachweisen, dass Akupunkturpunkte elektrisch messbar waren.“ 1969 begründete Stacher mit prominenten Klinikchefs wie Fellinger, Deutsch und Fleischhacker die Österreichische Gesellschaft für Hämatologie, deren Präsident er in den Jahren von 1975 bis 1981 war.

Ein Wiedersehen mit Folgen

1973 traf er nach langen Jahren eine Jugendbekanntschaft, Leopold Gratz, damals bereits Bürgermeister in Wien, im Hanusch-Krankenhaus wieder. Nach einem regen Austausch über die Situation in den Wiener Spitälern (Stacher: „Ich hab‘ ihm gesagt, da gibt es insbesondere in Sachen Hygiene und Organisation unerträgliche Zustände“!) konnte Gratz den streitbaren Arzt überzeugen, als erster SP-Stadtrat für Gesundheit und Soziales in die Wiener Landesregierung zu wechseln. Aber: „Für mich war die Annahme dieses Amtes mit der Beantwortung einer Frage und einer Conditio sine qua non verbunden“, erläutert Stacher. „Die Frage: Was macht ein Gesundheitsstadtrat eigentlich? Und die Bedingung: Ich wollte unbedingt im Hanusch-Krankenhaus weiter arbeiten“. Nach (mehr oder weniger) klarer Beantwortung der Frage sowie der Zusicherung der weiteren medizinischen Tätigkeit im Hanusch-Krankenhaus sagte er zu und wurde am 23.11.1973 vom Gemeinderat zum Amtsführenden Stadtrat für Gesundheit und Soziales gewählt. Seine Geschäftsgruppe umfasste alle Gesundheitsfragen, die Spitäler sowie das Sozialwesen.

In seine Amtszeit als Stadtrat fiel Historisches: die Fertigstellung des AKH Wien (Universitätskliniken), die Psychiatriereform mit dem Aufbau eines flächendeckenden psychosozialen Dienstes und einer drastischen Reduktion der psychiatrischen Spitalsbetten, die Reform der Unikliniken mit der gleichzeitigen Reform des UOG (Universitäten-Organisations-Gesetz), die Änderung des Krankenanstalten-Gesetzes. Überdies erfolgten in seiner Amtszeit beispielsweise die Planung und der Baubeginn des Wiener SMZ Ost und die Fertigstellung der Krankenanstalt Rudolfstiftung.

Weiteres Arbeitspensum „so zwischendurch“

„So zwischendurch“ absolvierte Stacher ein weiteres Arbeitspensum: Er organisierte zum Beispiel als Präsident des Wiener Roten Kreuzes ab 1977 die finanziellen Mittel für die Renovierung und den Neubau zum St. Anna Kinderspital, holte sich mit Univ. Prof. Helmut Gadner einen international bekannten Kinder-Hämatologen. Dieser baute ein „tolles Team“ (Stacher) auf und schuf damit die Basis für den damals entstandenen und heute noch bestehenden internationalen Ruf dieses Krankenhauses. Genauso widmete er sich vielen anderen Einrichtungen und Organisationen mit Energie und Freude.

1988 gründete er schließlich die „Wiener Akademie für Ganzheitsmedizin“ und ist heute noch deren Ehrenpräsident. „Ich bin stolz darauf, dass ganzheitliche Medizin aktuell auch im Bewusstsein der Ärzteschaft einen hohen Stellenwert hat“, meint Stacher, plädiert für die Schaffung eines Facharztes für Ganzheitsmedizin und betont, dass seiner Meinung nach Allgemein- und Ganzheitsmedizin auch wissenschaftlich zusammengehalten werden müssten.


Bürokratie als Pensionierungsgrund

Derzeit stört den Arzt in der Gesundheitspolitik die Bürokratie – eine Kritik, die er auch für die Spitäler parat hat. „Ich bin 1990 im Hanusch-Krankenhaus in Pension gegangen, weil mir in der eigenen Abteilung die Bürokratie zu viel geworden ist. Die Dokumentationspflicht war mir ein Horror; man hatte keine Zeit mehr, mit den Patienten zu reden!“ In Sachen Gesundheitspolitik will er heute keine Ratschläge erteilen, allein: „Jeder Gesundheitspolitiker braucht Ärzte als Berater, denen er vertrauen kann“. Diese Einstellung hat Stacher – obwohl selbst Arzt – in seiner politischen Laufbahn stets verfolgt.

Alois Stacher ist – man muss es anführen – nicht nur Autor von 26 wissenschaftlichen Büchern und knapp 400 wissenschaftlichen Arbeiten auf den Gebieten Hämatologie, Leukämie- und Lymphomforschung, Innere Medizin, Regulations- und Ganzheitsmedizin, sowie zum sozialen und gesundheitspolitischen Sektor. Genauso kann er auf zahlreiche öffentliche und medizinische Ehrungen – darunter das Goldene Ehrenzeichen der Österreichischen Ärztekammer (1978) – Ehrenmitgliedschaften und auf ein Ehrendoktorat verweisen. Vom Wiener Gemeinderat wurde er zum „Bürger der Stadt Wien“ ernannt. Aber vorrangig ist er trotz aller Erfolge immer Arzt geblieben, ein Arzt, dem die ihm anvertrauten Menschen das Wichtigste sind.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010