Aktuelle IFES-Studie zu Spitalsärzten: Extrembelastung wird ärger

25.05.2010 | Politik

Zu viel Aufwand für bürokratischen Kleinkram, trotz überlanger Arbeitszeiten zu wenig Zeit für die Patienten – die Belastung für Ärzte an österreichischen Spitälern ist viel zu hoch und deutlich höher als in anderen Berufen, zeigt eine aktuelle Studie.
Von Kurt Markaritzer

Ein Drittel ihrer Arbeitszeit müssen die Ärztinnen und Ärzte in den Spitälern für nicht-medizinische Tätigkeiten aufwenden. Diese Zeit fehlt ihnen für das, was nur sie können: die Behandlung der Patienten nach bestem medizinischen Wissen!“, kritisierte Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer bei einer Pressekonferenz in Wien, bei der die Ergebnisse einer Umfrage unter heimischen Spitalsärzten präsentiert wurde.

Durchgeführt wurde die Studie vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES). Befragt wurden 2.003 Ärztinnen und Ärzte in allen Bundesländern und das Ergebnis, so Projektleiter Georg Michenthaler von IFES, war durchgehend das Gleiche: „Die Belastung für Spitalsärzte ist deutlich größer als in anderen Branchen, dennoch haben Ärzte mehr Freude an ihrem Beruf als die meisten anderen Beschäftigten!“ Angesichts der Fakten, die sich bei der Umfrage gezeigt haben, kommt diese Freude etwas überraschend, denn die Bedingungen für die heimische Ärzteschaft sind hoch belastend. Und, was ebenso schwer wiegt, sie bessern sich nicht, sondern werden zum Teil schlechter. Das zeigen Vergleiche mit Umfragen, die IFES in den Jahren 2003 und 2006 bei den Spitalsärzten durchgeführt hat.

An der Spitze der Belastungspyramide stehen Verwaltungsaufgaben und der hohe Zeitaufwand für die Patientendokumentation. 49 Prozent der Ärztinnen und Ärzte fühlen sich dadurch „stark belastet“, um sieben Prozent mehr als 2003. Dazu Spitalsärztechef Mayer: „Natürlich müssen wir Ärzte Dokumentationen machen, aber das heißt doch nicht, dass wir jeden Handgriff selbst erledigen sollen. Die Hälfte der bürokratischen Tätigkeiten könnten von eigenen Kräften, etwa von Dokumentationsassistenten, erledigt werden, ohne dass wir deswegen die Verantwortung abgeben müssen. Das würde den Ärzten Zeit für die Arbeit am Patienten verschaffen, die dringend nötig ist!“

Rang 2 in der Belastungsskala nimmt der zunehmende Zeitdruck ein, unter dem Spitalsärzte arbeiten müssen. 37 Prozent klagen in der aktuellen Umfrage darüber, die Tendenz ist im letzten Jahrzehnt steigend. Harald Mayer: „Die Zahl der Patienten hat zugenommen, die Verdichtung der Arbeit ebenso, ohne dass dies durch Personalaufstockungen wettgemacht worden wäre. Durch den Einsatz der Ärzteschaft ist die medizinische Versorgung der Patienten auf hohem Niveau dennoch sichergestellt – aber auf Dauer kann es so nicht weiter gehen!“

An der dritten Position der belastenden Faktoren steht der Nachtdienst, der den Ärzten immer mehr zu schaffen macht. Galt er vor zehn Jahren noch nicht als zentraler Belastungsfaktor, so hat sich das inzwischen gründlich geändert: Heute stöhnen bereits 36 Prozent der Ärzte über die Strapazen des Nachtdienstes. Kurienobmann Mayer verweist in dem Zusammenhang auf die Altersstruktur der Spitalsärzte: „Man muss daran erinnern, dass zunehmend ältere Jahrgänge im Spital Dienst versehen, die natürlich nicht mehr so belastbar sind wie jüngere. Was man mit 30 Jahren noch locker wegsteckt und mit 40 Jahren auch noch hin nimmt, wird mit 50 Jahren bereits mühsam und mit 60 nahezu unerträglich. Ohne entsprechende Entlastung kann das System nicht funktionieren.“

Unmittelbar hinter den Nachtdiensten rangieren Überstunden und überlange Dienstzeiten. 34 Prozent empfinden das als Belastung, um fünf Prozent mehr als vor zehn Jahren. Überraschend sind diese Beschwerden nicht. Die maximale Durchschnittsarbeitszeit für Spitalsärzte ist – sofern eine Arbeitzeitbetriebsvereinbarung abgeschlossen wurde – mit 60 Stunden begrenzt. Projektleiter Michenthaler: „27 Prozent der Ärztinnen und Ärzte haben bei der Umfrage aber angegeben, dass sie in der Woche länger arbeiten. Bei der in einzelnen Wochen zulässigen Maximalarbeitszeit von 72 Wochenstunden ist es noch ärger: Sie wird von 37 Prozent der Ärzte überschritten.“ Die Spitzenreiter in dieser Negativstatistik sind die Chirurgen, von denen 57 Prozent regelmäßig mehr arbeiten als erlaubt und 19 Prozent sogar auf eine maximale Wochenarbeitszeit von mehr als 99 Stunden kommen.

Für Harald Mayer sind die oftmaligen Überschreitungen des seit 14 Jahren geltenden Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes eine Zumutung für die Ärzte, er konstatiert allerdings eine geringfügige Verbesserung der Situation: „Seit 2008 werden Sanktionen gegen die Spitalserhalter verhängt, wenn sie nicht für die Einhaltung der Arbeitszeiten sorgen. Die Maßnahme hat da und dort gewirkt, ist aber, wie man sieht, noch immer nicht ausreichend. Wir hätten deshalb nichts gegen mehr Schwerpunktkontrollen in den Spitälern durch das Arbeitsinspektorat.“ Eine Forderung ist für den Spitalsärztechef unabdingbar: „Es muss eine gesetzliche Regelung her, welche eine maximale Arbeitszeit von 25 Stunden pro Dienst als absolute Obergrenze vorschreibt.“ Zugleich zeigte er Verständnis für die Sachzwänge der Spitalserhalter: „Sie haben von der Politik oft viel zu wenig Unterstützung und müssen mit zu engen Budgets auskommen. Wir wollen sie deshalb bei ihren Bemühungen um eine faire Finanzierung unterstützen, vor allem im Ambulanzbereich. Dort nimmt der Patientenandrang zu, der Zuwachs wird den Spitälern aber nicht extra honoriert, deshalb haben sie kein Interesse und keine Mittel, die notwendigen Personalaufstockungen vorzunehmen. Das muss sich ändern! Hier gehört das gesundheitspolitische Konzept der ÖÄK endlich umgesetzt“.

Im Vergleich zu den vier Hauptbelastungen im Spitalsalltag spielen andere Widrigkeiten keine so große Rolle. Im Zug der Umfrage wurden unter anderem „chaotische Arbeitsorganisation“, „seelisch belastende und aufreibende Arbeit“ und „schwierige Patienten“ als Negativfaktoren genannt, allerdings treffen diese Belastungen weniger als ein Viertel der Ärzteschaft.

Dennoch sind die Spitalsärzte besorgt, weil sie seit Jahren das Gefühl haben, dass sich an der schwierigen Situation nichts ändert. 48 Prozent empfinden vielmehr, dass die Arbeit im Krankenhaus in den letzten fünf Jahren unangenehmer geworden ist, vor allem durch die Personalknappheit, den bürokratischen Aufwand und die ansteigende Zahl der Patientenaufnahmen. Michenthaler dazu: „An der Wahrnehmung bezüglich der Entwicklungen im Gesundheitswesen hat sich also seit der letzten Befragung nichts geändert“.

Angesichts der zum Teil alarmierenden Untersuchungsergebnisse findet Spitalsärztechef Mayer klare Worte: „Die Verantwortlichen müssten erkennen, dass die Arbeitsbedingungen für Spitalsärztinnen und Spitalsärzte unverändert kritisch sind und sich zum Teil sogar noch weiter verschlechtert haben. Die Belastungsgrenze ist schon längst erreicht. Politik und Sozialversicherungen sind herausgefordert, kreative Lösungen zu finden. Es ist ein Gebot der Stunde, für mehr ärztliches Personal zu sorgen und innerhalb der Spitäler die Arbeit so umzuverteilen, dass die Ärzte in ausreichendem Maß das tun können, wofür sie da sind: Die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu behandeln! Schließlich wissen wir aus zahlreichen Studien, dass die Zuwendung zum Patienten mit den wesentlichsten Faktor der Behandlung und letztlich auch des Behandlungserfolges darstellt.“

„Die Belastung für Spitalsärzte ist deutlich größer als in anderen Branchen.“
Georg Michenthaler

„Die Belastungsgrenze für Spitalsärzte ist schon längst erreicht.“
Harald Mayer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2010